Bene ma non benissimo

Der Italiener und das Befinden

Come va?

Auf die Frage, wie es denn so geht, antwortet der Italiener normalerweise:

Bene, dai. Gut, geht schon.

Sehr beliebt sind auch:

Non ci lamentiamo. Wir beschweren uns nicht.

Si tira avanti. Wir kommen zurecht, wörtlich: Man schleppt sich so weiter.

Solita vita. Alles wie üblich, wörtlich: Das übliche Leben.

Vor Jahren hatten wir eine sehr liebe Babysitterin, sie war Sizilianerin. Bevor sie zu uns kam, schlossen mein Mann und ich gern Wetten ab, welchen dieser drei Standardsätze wir als Antwort bekämen. Dabei hätten wir uns ehrlich darüber gefreut, ein enthusiastisches „Benissimo“ von ihr zu hören, oder dass sie uns ihr Herz ausgeschüttet hätte. Aber das unverfängliche, nur angedeutete Lamentieren war einfach ihre Art.

So richtig Lust, eine ehrliche Antwort zu geben, hat in Italien selten jemand. Jedenfalls erlebe ich es so. Floskeln sind unverbindlich und beliebt. Man will sich nicht beschweren, also fragt bitte nicht nach.

Als Deutsche in Italien ertappe ich mich manchmal dabei, in den unpassendsten Situationen ehrlich antworten zu wollen. Dann kläre ich den arglosen Frager über mein exaktes momentanes Befinden auf oder erzähle ihm brühwarm, was ich gerade erlebt habe.

Ja, ganz gut, aber … stellen Sie sich mal vor …  

Sei es der Nachbar auf der Treppe, der wie ich mit dem Wäschekorb oder leeren Flaschen auf dem Weg in den Keller ist, sei es die Mutter der Mitschülerin, die mit mir gemeinsam vor dem Schultor wartet, oder die Kassiererin an der Supermarktkasse. Meine armen Opfer, die mich mit „Come va? begrüßen, müssen sich dann anhören, was mich gerade aufregt.

Ich frage mich schon, ob das Jammern eine deutsche Eigenart ist. Dabei jammere ich gar nicht, ich bin auch kein Pessimist, wie meine italienische Familie mir immer weismachen will. Ich sehe die Dinge einfach realistisch. Ehe ich behaupte, irgendetwas liefe fantastisch, wäge ich meine Antwort ab. Ganz gut, aber es könnte besser sein.

Vielleicht gefiel mir deshalb der Song des italienischen Rappers Shade „Bene ma non benissimo“ sofort. Darin heißt es:

Se mi chiedi come va: Va bene … ma non benissimo. Wenn du mich fragst, wie es läuft: Gut … aber nicht toll.

Richtig so! Hey, gebt doch bitte zu, wenn etwas besser laufen könnte. Habt den Mut, davon zu erzählen. Vielleicht hat einer, wenn nicht gleich eine Lösung, zumindest einen hilfreichen Tipp parat. Könnte doch sein, oder? Und manchmal hilft es ja schon, rein psychologisch gesehen, sich mitgeteilt zu haben. Das muss nicht bedeuten, es so krass wie im Songtext zu halten, wo es weiter heißt:

Pratico ansia a livello agonistico.

Eine geniale Formulierung, klingt wörtlich übersetzt leider so doof wie: Ich betreibe den Sport des mir Sorgen Machens auf professionellem Niveau. Nur, um euch die Aussage zu vermitteln, die originell gelungen ist, wie ich finde.

Ängste pflegen und sich Sorgen machen, vor allem um Dinge, die noch nicht geschehen sind und die auch mit großer Wahrscheinlichkeit nie eintreten werden ‒ noch so eine Spezialität der Deutschen? Da kommen wir auch gleich zu der Frage, ob wir das Leben hier und jetzt genießen können (wie die Italiener, ihr wisst schon La dolce vita und so), oder ob wir uns von qualvollen Gedanken um imaginäre Probleme in der Zukunft die Stimmung vermiesen lassen (wie die Deutschen?). Aber dazu ein andermal mehr, ich denke es lohnt sich, dieser Frage auf den Grund zu gehen.

In der Zwischenzeit hoffe ich, dass es euch gut geht. So einigermaßen, oder vielleicht sogar sehr gut. Und dass ihr ‒ in beiden Fällen ‒ mit jemandem darüber sprechen könnt. Das fände ich dann richtig gut.

Bene, molto bene!

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

11 Kommentare zu „Bene ma non benissimo

    1. Hallo Eva, vielen Dank für deine netten Worte und herzlich Willkommen bei Tutto paletti! 😎 Bin neu in der Bloggerwelt, seit drei Monaten online, und habe mich gestern auch gefreut, dich gefunden zu haben. Liebe Grüße nach Rom! Anke

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      1. Vielen Dank! 😃 Ich freue mich schon auf viele weitere tolle Artikel! Momentan sind wir in Frankfurt „stationiert“ – wer weiß, was die Zukunft bringt – aber Rom ist immer eine Option! Liebe Grüße nach Italien 💛

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      2. Ach so, am Taunus seid ihr derzeit. Das hatte ich noch nicht verstanden bzw. gelesen. Dann kann dein Mann ja seine Sicht auf das Leben in Deutschland berichten. Auch interessant! Viel Glück bei allem! Und hoffen wir, dass wir nächstes Jahr wieder unbeschwert zwischen beiden Ländern und Familien hin und her reisen können! 🤞

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      3. Genau – also die „andere Version“ deiner Geschichte. 😄 Danke, dir auch. 💛 Alle Daumen sind gedrückt, dass die Situation (zumindest im nächsten Jahr) reisetechnisch einfacher wird.

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  1. Ciao Anke, interessante questo tuo punto di vista sugli italiani. Sul fatto che non riusciamo ad essere per natura diretti come i tedeschi è un vero dato di fatto, sicuramente da voi sto imparando ad essere piu‘ sincera sul mio stato emotivo anche se, ti dico la verita‘, il piu‘ delle volte i miei colleghi mi domandano come faccia ad essere sempre cosi‘ positiva nelle situazioni. Sara‘ un allenamento o qualcosa di innato in una persona, riuscire a vedere il bicchiere sempre mezzo pieno? Un abbraccio

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    1. Fai bene a vedere il bicchiere mezzo pieno! 😎 Spesso lotto con la mia intenzione di essere onesta, a rischio di sembrare distante. Ma mi piace anche essere contagiata dalla gioia di vivere della gente qui in Italia. Questa gioia è molto più presente che in Germania, è vero! 😊
      Un caro saluto a te e saluti alla mia fredda Germania! 😉

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  2. In Deutschland wie in Italien kommt es darauf an, wer fragt. Einem beiläufigen, aus Höflichkeit Fragenden schütte ich in keiner Sprache mein Herz aus. Mit „gut“ kann man nichts falsch machen.

    Ich finde die deutsche Angewohnheit des Vorausdenkens übrigens ebenso praktisch wie lästig. Natürlich macht man sich so manchen Gedanken umsonst, aber es ist auch nicht schlecht, wenn man im entsprechenden Moment einen Plan B aus der Tasche ziehen kann. Meine italienischen Kollegen schätzen das sehr. 😉

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    1. Ja, in der Arbeit ist Vorausplanen und Alternativen vorbereiten manchmal nützlich. Da glaube ich dir gern, dass du deine Kollegen beeindrucken kannst. 💪Und sie dich manchmal mit ihrer Improvisationsgabe, oder nicht? 😉

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      1. Dahingehend habe ich mich schon italienisiert; besonders merke ich das, wenn ich fünf Minuten vor der Angst meinen Unterricht vorbereite. 😉

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