Kein Montag wie immer

Es ist Ende Juni, die Kinder sind bereits seit drei Wochen in den Ferien, und für mich beginnt der Ernst des Lebens. Ich nehme genau dieselben Straßen, die ich seit Ewigkeiten tagtäglich wie im Schlaf gefahren bin. Es gab in all den Jahren wenige Unterbrechungen, für kurze Ferien und einmal länger, für die Geburt und die ersten zehn Monate unserer zweiten Tochter. Es sind Straßen, auf denen nichts Neues mehr geschehen konnte und ich immer achtgeben musste, dass ich nicht vor lauter Gewohnheit einen Fußgänger übersah, der plötzlich wie aus dem Nichts an einer unpassenden Stelle, zum Beispiel direkt am Kreisverkehr, auftauchte. Diesmal bin ich hellwach, geradezu nervös, und fühle mich wie auf dem Weg zu einem neuen Lebensabschnitt. Ich fahre eine Straße, die ich an jeder zweiten Ecke nicht wiedererkenne. Noch ein Kreisverkehr mehr. (Von diesem italienischen Phänomen berichtete ich bereits.) Als links ein nagelneuer Supermercato auftaucht, zucke ich zusammen. Habe ich mich verfahren?

An der Grenze zur Schweiz keine Frage. Ein „Wo waren Sie so lange?“ wäre doch nett gewesen. Schade, ich hatte das Finestrino auf der Fahrerseite vorsorglich heruntergekurbelt. Früher wäre mir das nicht im Traum passiert.

Im Büro sorgt mein T-Shirt für Aufsehen. Wie geplant. Ich grinse vor mich hin und zucke nur vielsagend mit den Schultern. Was soll ich sagen. Ein bisschen Motivation braucht es schon, wenn man nach 16 Monaten wieder an seinen Schreibtisch kommt.

Auch auf dem Rückweg sehe ich Neues. Strahlend weiße Einfamilienhäuser. Vendesi. Zu verkaufen. Zwei oder drei von ihnen sind bereits bewohnt. Beruhigend zu sehen, dass das Leben nicht stehen geblieben ist. Wo gebaut wird, gibt es Zukunft.

Und dann, zurück in der Wohnung, die wirkliche Überraschung. Die Wiederentdeckung eines verloren gegangenen Gefühls: nach Hause kommen. Gar nicht so übel. Wenn ich mich jetzt am Nachmittag mit dem Laptop auf den Balkon setze, dann nennt sich das wieder Freizeit. Es war alles etwas durcheinandergeraten in den letzten anderthalb Jahren.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

23 Kommentare zu „Kein Montag wie immer

  1. Unterschreibe ich alles! 11 Jahre Kindererziehung (3 Kinder) zu Hause. 10 Jahre Selbstständigkeit mit Atelier in den eigenen vier Wänden 😏. Ich genieße jetzt das Gefühl nach meinem Bürojob, dreimal in der Woche, nach Hause zu kommen und bereits etwas geleistet zu haben. Freizeit hat wieder ihre ursprüngliche Bedeutung 😉

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    1. Nicht wahr?! Dabei leistet man auch daheim, manchmal sogar mehr. Aber es fühlt sich weniger wert an. Dumm eigentlich. Heute habe ich anderthalb Stunden neben meinem Platz gestanden und gemeinsam mit dem IT-Kollegen dem PC beim Update zugeschaut (der hatte auch 16 Monate im Schrank gestanden, der PC, meine ich), ehe ich tatsächlich arbeiten konnte. Zuhause hätte ich ein „schlechtes Gewissen“ gehabt und das Gefühl, nix geschafft zu haben.

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      1. 👍 Das alles muss jetzt wieder am Nachmittag stattfinden. Aber ein gutes Gespräch mit den Kollegen hatte auch gefehlt und so war Gelegenheit dazu.😊

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      1. 💪😉 Meine Temperatur war wieder leicht erhöht, ein Zehntel Grad Celsius mehr, und mir wäre der Eintritt verweigert worden. Zum Glück konnte ich beim Test meine „Unschuld“ beweisen. Alles pure Aufregung! 😆

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  2. Schön, dass Du an Deinem Feierabend auch noch Zeit und Muße zum Bloggen findest. Deine Beiträge sie sind immer so herrlich positiv und lebensbejahend. Danke dafür! Buona notte und genieße Deinen wohlverdienten Feierabend! Herzliche Grüße, Barbara

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