Mittag

Wer nicht muss, geht nicht raus um diese Zeit. Es sei denn, er ist Tourist und zum Herumlaufen hergekommen. Ich laufe mit meiner Tochter im Gänsemarsch durch Florenz, immer dicht an den Häuserwänden entlang auf der richtigen Seite. Die richtige Seite ist Mitte August die, die gerade im Schatten liegt. Es ist Mittagszeit, die Temperaturen sollen heute Rekordwerte von bis zu 40 Grad erreichen. Florenz steht auf der Liste der italienischen Städte mit Hitzewarnung. Previsioni da codice rosso. Höchste Warnstufe Rot. Wir wählen von Touristen verschmähte Gassen, eine erhoffte Abkürzung, um vom Hotel auf dem kürzesten Weg zu den Uffizien zu gelangen. So haben wir die schattige Straßenseite für uns und kommen obendrein in den Genuss, ein Gefühl vom wahren Leben der Stadt, vom Alltag seiner Menschen zu erhaschen. Wir hören Teller klappern, Fett in der Pfanne brutzeln. Typische Mittagsdüfte von Pasta, Pancetta und Pomodoro umschmeicheln unsere Nasen. Im Telegiornale sprechen diese Tage alle von leichter, frischer Kost, die sie bei extremer Hitze zu sich nehmen. Die Realität sieht anders aus. Nichts geht über einen ordentlichen Teller Pasta zum Pranzo. Wollen wir irgendwo klopfen und fragen, ob wir uns dazugesellen dürfen? Meine Tochter spricht aus, was ich denke: „Sind sie nicht typisch italienisch, diese Küchengeräusche aus geöffneten Fenstern?“ Ich grübele angestrengt nach, auch ich kann mich nicht erinnern, es irgendwann einmal in Deutschland beim Spazierengehen zur Mittagszeit aus allen Fenstern klappern und brutzeln gehört zu haben. „Die Leute kochen dort nicht“, mutmaßt meine Tochter. Sie knufft mir augenzwinkernd in die Seite, als sie hinzufügt: „Du bist das beste Beispiel.“ 

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

27 Kommentare zu „Mittag

  1. Eine wundervolle Momentaufnahme. Man riecht förmlich den Duft von gebratenem Speck, der durch die Gasse zieht, untermalt vom Klappern des Kochgeschirrs. In meiner Phantasie gehört noch das Geschrei der Köchinnen, die sich durch die geöffneten Fenster über die Gasse hinweg unterhalten…

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    1. Da geht deine Fantasie aber mächtig mit dir durch. 😉 Ich muss dich enttäuschen, das Geschrei gab es in Florenz nicht. Das gehört vielleicht eher zur Szenerie der kleinen Bergdörfer. Es freut mich, wenn meine Beschreibung so anregend war! 😊

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  2. Also deine Tochter hat auf jeden Fall recht, was das Klappern angeht. Ansonsten habe ich bei uns in der Nachbarschaft rein geruchstechnisch das Gefühl, irgendwer brät mindestens jeden zweiten Tag Frikadellen🤣 … oder irgendwas anderes mit Fleisch und Zwiebeln. Vielleicht fällt es mir auch nur auf, weil bei uns die Frikadellen meist aus Getreide oder Hülsenfrüchten plus Käse bestehen.

    Jedenfalls macht dieser kleine Mittagsspaziergang mit euch Spaß und Appetit auf Pasta und Tomaten. Auf Pancetta kann ich verzichten (das würde mein Mann essen). Ich wünsche euch ein kühles Plätzchen zum Genießen.

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    1. Danke, das haben wir gefunden. Nicht direkt kühl, aber schattig. Oh ja, gebratene Zwiebeln … in Deutschland die Basis aller Pfannengerichte 😂

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  3. „Wer nicht muss, geht nicht raus um diese Zeit. Es sei denn, er ist Tourist und zum Herumlaufen hergekommen.“ Bis zu dieser Stelle dachte ich, du sprichst über den verregneten, deutschen, eiskalten August, nur um uns dann geschickt ins bezaubernde Florenz zu schicken. 🤩 Ein bezaubernder Ausflug und eine blitzgescheite Tochter mit einer tollen Beobachtungsgabe hast du. Hab einen warmen, aber nicht allzu heißen Sonntag und danke für die italienischen Impressionen. 🌷☀️

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    1. Gerne! Mittlerweile ist es tatsächlich angenehm: sonnig und warm, ohne dass man groß ins Schwitzen kommt. Mein ideales Sommerwetter! Leider gibt’s das zu selten, in Deutschland genau wie in Italien. Immer schlägt es ins Extreme aus. Herbststimmung im August ist ja auch nicht gerade das Nonplusultra, so wenig wie es die 40 Grad bei uns waren. Aber bestimmt kommt für euch ein warmer September zum Trost! Und, liebe Eva, zum Kistenpacken sind ein paar Grad weniger doch eh von Vorteil! 😉💪

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      1. Wie recht du hast. Richtig zufrieden ist man selten mit dem Wetter: Entweder zu nass oder zu trocken, zu schwül-warm oder zu eiskalt. Irgendwas ist ja immer… 😄. Umso schöner zu lesen, dass sich die richtige Temperatur bei euch eingestellt hat. ☀️
        Und zum Umzug: Besser hätte ich es nicht in Worte fassen können. Lieber kalter Regen als bullenheißer Saharawind. 😅

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  4. Hihi…hab gerade bei Lieferando bestellt. Also: korrekt. Leider. Hier kannste aber auch nicht die Fenster offen lassen. Weil es zu kalt und zu stürmisch ist….
    Wie man es macht oder hat ist es verkehrt 😊

    Beneide Euch!

    LG Nicole

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    1. Ich hoffe, Lieferando war pünktlich und es hat geschmeckt! Nie ist das Wetter richtig, aber was drüberziehen geht immer, im anderen Fall muss man sich frische Gedanken machen. 😎

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      1. Nein, ich meinte frische oder vielmehr erfrischende Gedanken, im Fall, dass es zu heiß ist (wenn man mit Klamottenausziehen am Ende ist 😉)

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    1. Das Foto hat meine Tochter gemacht. Sie hilft mir oft aus der Patsche, wenn ich zu den Momenten, von denen ich schreiben möchte, kein passendes Bild gemacht hatte …. Teamwork in Familia!

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  5. Appetitlich, deine Geschichte. In Deutschland riecht es, wenn es riecht, mittags nach Braten oder Gulasch, so meine Wahrnehmung. Aber weniger aus den Restaurants als aus den Familienhäusern. In Italien war ich erst einmal. Aber als Kind mehrmals in Ungarn. Ich erinnere mich an den Geruch von Palatschinken mit Knoblauchsoße, aber vor allem an die duftenden Obststände. Ein Gemisch aus Paprika, Aprikose und Pfirsich.

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    1. Braten und Gulasch lass ich mir gefallen, ich erinnere Kohlsuppe als weniger appetitlichen Küchendunst in unserem Treppenflur in Strausberg. Palatschinken mit Knoblauch? Hm … ich glaub, den hätte ich lieber süß mit Obstsalat oder Schokosoβe (wie in Tschechien) 🤭😋

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  6. Firenze – liebe Anke, du hast meine Erinnerungen geweckt.
    Gibt es denn die kleine Wiese vor dem Bahnhof noch? Hier haben wir übernachtet, ein paar junge Erwachsene, in unseren Schlafsäcken mit einer Flasche Rotwein im Rucksack. Wie lange ist es her?
    Wir konnten uns darauf verlassen, dass uns die Carabiniere am Morgen wecken würden. Dann machten wir uns auf die Suche nach einem Cappuccino und einem Panini und danach widmeten wir uns der Kultur.
    Dein Bericht ist herzerwärmend, aber am besten gefällt mir das großartige Foto.

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    1. Liebe Elsa, leider kann ich dir nicht sagen, ob es da noch die Wiese gibt, an die du dich erinnerst. Wir waren mit dem Auto dort, die Stazione habe ich diesmal gar nicht besucht. Deine Erinnerungen klingen nach Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre? Wie schön, unbeschwerte Zeiten hast du da genossen. Dein Kompliment für das Foto gebe ich gerne an meine Tochter weiter. Saluti nach Österreich! 😊

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