Sacro Monte von Varese

„Sehen Sie“, sagte er, nachdem er sich gefasst hatte, und streckte seinen Arm in Richtung der Ebene aus. „Auch Sie kommen nicht umhin, in all dem die Hand Gottes zu erkennen!“ Ein karminroter Streifen umrandete eine Alpenkette am Horizont: entfernte Bergkämme in Richtung Gran Paradiso, die sich gerade noch in der Dunkelheit abzeichneten. Der See unter uns war weinrot gefärbt und ebenfalls im Begriff, in der Nacht zu verschwinden.“

Piero Chiara

Eigene Übersetzung, italienisches Originalzitat aus der Erzählung „La mano di Dio“ in Il nobil uomo Batosti e altri racconti*, Oscar Mondadori, 1. Auflage Oscar scrittori moderni September 2013. Seite 22.

Vierundvierzig Schnecken oder der Pilger, der keiner war

Zugegeben, mein Foto kommt der wunderbaren Beschreibung, die Piero Chiara (1913 Luino ‒ 1986 Varese) in seiner Erzählung gibt, nur annähernd nahe. Sicher spielt dabei eine Rolle, dass ich es im September aufgenommen habe, während die Geschichte im Winter spielt. Chiara, Ich-Erzähler der sympathischen Kurzgeschichte, beschreibt seinen Spaziergang entlang der Kapellen hoch zur Wallfahrtskirche Santa Maria del Monte an einem Wintersonntag nach einem Mittagessen, das zu üppig ausgefallen war. Er hatte vierundvierzig Schnecken verdrückt. Die können schon mal schwer im Magen liegen, also mischt er sich unter die sportlichen Wanderer und Gläubigen, die für den Besuch der Messe im Heiligtum über Varese den langen Weg auf sich nehmen. Während des Aufstiegs kommt es erst zu einer peinlichen Begegnung und dann zu einem Missverständnis zwischen dem Erzähler und einem bekannten Geschäftsmann aus Varese. Chiara beschreibt auf vergnügliche Art sein verzweifeltes Bemühen, die Dinge klarzustellen.  

Was uns betrifft, begeben wir uns normalerweise nicht für einen Verdauungsspaziergang auf den Sacro Monte, wir wohnen allerdings auch nicht am Fuße des Berges. Für uns war der Aufstieg schon oft ein schöner Tagesausflug. Wir wandern hoch, um Appetit zu bekommen, damit wir uns oben in einem der kleinen Lokale den Bauch vollschlagen können, während wir die schöne Aussicht genießen. Hinunter braucht man sich dann nur noch rollen zu lassen. Allerdings bevorzugten wir für unsere Ausflüge bisher die warmen Monate. Nach der Lektüre von Piero Chiara möchte ich meiner Familie den Aufstieg im Winter schmackhaft machen. Dann gelingt vielleicht auch mir ein Foto, das den magischen Moment am frühen Abend einfängt. Dieses Panorama, wie von der Hand Gottes gezeichnet.

Lust auf die ganze Geschichte? Dann lest meine deutsche Übersetzung unter dem Titel „Die Hand Gottes“. Keine Bange, es wird kein mühsamer Aufstieg, die kurzweilige Lektüre geht nur über zwei Seiten:

Mehr zum Thema:

Hier erfahrt ihr mehr über den Sacro Monte von Varese, UNESCO-Weltkulturerbe.

Die in der Erzählung beschriebene Siebte Kapelle wird auf dieser Seite vorgestellt.

Ein Kurzportrait des Schriftstellers Piero Chiara findet ihr bei Wikipedia.

*Werbung, wie immer unbezahlt.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

35 Kommentare zu „Sacro Monte von Varese

      1. Also die Sache mit der „Hand Gottes“ hatte ich vielleicht mal im Vorbeigehen gehört, aber nicht direkt präsent. 1986 verfolgte ich allerdings auch noch keinen Fußball.😂

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      2. Stimmt, da war ich auch noch mit anderen Dingen beschäftigt – aber Maradonna ist dennoch eine Koryphäe, die nicht einfach so an mir vorbei zog. 🙂 Schönen Abend und liebe Grüße Bea

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  1. Puh, 44 Schnecken, das könnte mir sicher nicht passieren – ich würde vermutlich keine einzige hinunter bekommen. Ich erfreue mich daher lieber an Deinen wunderbaren Fotos. Mille grazie e buona serata!

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    1. Wir waren mal in einem Nachbarort bei einer „Sagra delle lumache“, einem eigens dieser Spezialität gewidmetem Volksfest. Ich probierte damals tapfer die Polenta mit Schnecken. Auch nicht so meins, aber man muss es mal probiert haben. Vierundvierzig waren es nicht! 😂 Buona serata anche a te!

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      1. Ich habe eine E-Mail geschickt mit einem neuen Dokument. Also wenn du Lust hast, bei Gelegenheit, hast du die große Schrift. Buona notte!

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  2. 14 Kapellen, auch ohne 44 Schnecken intus, müssen erst einmal passiert werden – im Aufstieg!! Deine Bilder machen Laune auf den Süden..🌞🌞Salute!🍷

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      1. Schön, dann hast du am eigenen Leib erfahren, wovon hier die Rede ist. 😀 Ich werde jetzt mal den Winteraufstieg planen, auch mit dem guten Argument, dass man nicht so schnell ins Schwitzen kommt. Das könnte meinen Mann überzeugen. 😉

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  3. Eine schöne Idee, in Deutsch und in Italienisch zu veröffentlichen. Ich lese gerade von unten nach oben nach und habe deinen italienischen Text gelesen und dann gesehen dass er hier auch noch auf Deutsch steht. Den habe ich nicht gelesen und ich glaube nur dass es sich um den gleichen handelt. Vielleicht sollte ich lieber noch mal nachschauen 😉. Tolle Fotos und sehr schön zu lesen. Liebe Grüße

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    1. Ja, das rührt vom Ursprung des Blogs, der im ersten Moment der Veröffentlichung meiner Lockdown-Umfrage in beiden Ländern diente. So habe ich auch italienische Leser. Anfangs wollte ich immer alles in zwei Sprachen publizieren, merkte aber, dass es zu aufwändig ist. Bei Themen, die die Italiener besonders interessieren könnten, italienische Literatur und meine Interviews mit Italienern zum Beispiel, mache ich es weiterhin. Mit Hilfe meines Mannes und meiner älteren Tochter als Lektoren.😊 Danke und hab ein schönes Wochenende in München. Falls du Trost brauchst und noch im Italienfernweh schwelgst: Hier ist es auch längst frostig kalt. 😉

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      1. Warum auch immer du im Spam gelandet bist….mit Verspätung danke für den Trost. Das Fernweh ist immer ein bisschen da, aber zum Glück mag ich meine Heimatstadt München auch 😉

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