My Radio

„Anke, in Varese ist es jetzt 8.00 Uhr.“

Ich bin mit dem Auto auf dem Weg ins Büro und starre entgeistert aufs Display im Cockpit. Das kann doch nicht, … der weiß doch wohl nicht, … die haben doch nicht etwa mich gemeint? Längst ist der Sprecher zu den Nachrichten übergegangen, denen ich kaum Gehör schenke, so sehr bin ich fasziniert und erschrocken zugleich. Da gibt es jetzt also auch schon personalisierte Radioansagen. Mich wundert ja gar nichts mehr, bei dem Affentempo, das der digitale Fortschritt vorlegt. Nur schwer gewöhne ich mich an die Bevormundung durch mein Auto, das mir ständig etwas mitzuteilen hat. Fahr langsamer, fahr schneller. Wach endlich auf du Penner, der Wagen vor dir fährt weiter. Bremse, du Idiot, sonst fährst du gleich auf. Achtung, Glatteisgefahr (bei 4 Grad Celsius Außentemperatur). Wenn ich eine Kurve fahre, steuert das Lenkrad hinterlistig dagegen. Es traut mir wohl nicht zu, dass ich sie kriege. Würde man alle Nachrichten und Anzeigen auf den diversen Displays ständig im Blick haben wollen, käme das einem Blindfahren gleich. Man schaut praktisch nicht mehr auf die Straße. Verrückt! Aber ich lasse mich nicht verrückt machen. Mein Auto weiß natürlich, wo wir gerade fahren. Dass es nun aber diese Daten, und sogar meinen Namen, ohne meine Erlaubnis an Dritte weitergibt, das geht doch wohl zu weit. Warum muss der verdammte Radiomoderator mich mit Namen ansprechen? Sicher sind auch die Werbeeinspielungen längst personalisiert. Obwohl, da hapert es noch. Oder meinen die im Ernst, sie müssten mir als Deutscher erklären, dass man den Markennamen der Waschmaschine, die ich mir zulegen soll, miele* schreibt und MIELE** spricht. Und dass sie mir ständig von der Wissenschaft inspirierte Boxer-Unterhosen für 7,99 um die Ohren hauen, ist vielleicht ein dezenter Hinweis darauf, dass ich meinem Mann endlich mal neue kaufen sollte? Vermutlich ist durchgesickert, dass er in Business Intelligence unterwegs ist und smarte Unterhosen, die mitdenken, zu schätzen wüsste.

Ich kapituliere. Was hilft es, sich aufzuregen. Wir sitzen nun mal alle im selben Auto (früher sagte man Boot), und wo die Reise hingeht, haben wir kaum noch selbst in der Hand. Das übernimmt die Technik für uns. Und vielleicht kann ich mich sogar anfreunden mit dem Gedanken, dass der nette Moderator ganz genau mich gemeint hat, als er die Uhrzeit durchsagte. Eine nette Stimme hat er ja. Den Rest denke ich mir dazu. Hach, ich freue mich jetzt jeden Morgen aufs Autofahren, denn es gibt jemanden, der mich begleitet. Meinem Mann erzähle ich besser nichts davon. Ob er womöglich eine Radiosprecherin hat, die ihn über den Äther grüßt? Aber mein Mann heißt nicht Anke, mit seinem Namen könnte es schwieriger werden …

Sicher ahnt ihr schon, dass meine Einleitung ein fakultativer Irrglaube und die ganze Geschichte mit der heimlichen Liebelei zum Moderator nur eine schöne Fantasie ist. In Wirklichkeit nennt er jedes Mal andere Orte, an denen es soundso viel Uhr ist. Bekannte oder weniger bekannte kleine Orte irgendwo auf Sizilien, im Piemont, in Ligurien. Und das liegt nicht an Fehlern bei der Übertragung meiner GPS-Standortdaten. Ich weiß natürlich auch, dass er mich nicht beim Namen nennt. Wenn die Aussprache eines Wortes bei anderer Schreibweise die gleiche ist, hängt alles nur an einem Komma. Das habe ich oben dazu gedichtet. Ohne Komma und mit dem italienischen anche (auch), das wie Anke gesprochen wird, hört sich die Ansage zum Beispiel so an:

Anche a Pieve Ligure sono le ore 8:00. Auch in Pieve Ligure ist es 8.00 Uhr.

*Das italienische Wort für Honig wird „mjɛle“ ausgesprochen. **Werbung weil Markenerwähnung, weder beauftragt noch bezahlt.

Titelfoto: Symbolbild von Pexels.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

42 Kommentare zu „My Radio

  1. Während ich deine Fantasie las, fiel mir ein reales Ereignis ein, das vorgestern stattfand: wir berieten in meinem Atelier mit ein paar Frauen, wie die Bilanz der einen zu verbessern wäre, und ich sagte (auf Griechisch). „Ob die Vermarktungschancen im Ausland vielleicht besser sind?“ Da meldete sich eine Stimme aus dem Off: „Sorry, but we have no answer to your problem“. Verblüfft starrten wir auf mein handy, doch dort zeigte sich nichts. Wer hatte sich in unsere Unterhaltung eingemischt? Wir hatten es alle gehört. Es blieb ein Rätsel.

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    1. Das klingt aber stark nach Google. Wenn es nicht dein Handy war, das zu euch sprach, war es das einer Freundin? Ich hatte kürzlich eine ähnlich groteske Situation im Büro. Eine Kollegin unterhielt sich mit mir, empfahl mir den Google-Kalender, den man auch per Sprachassistent bedienen könne. Ich rollte nur mit den Augen und entgegnete mit einem Kraftausdruck. Den vernahm der Google-Assistent im Handy auf ihrem Schreibtisch ein paar Meter weiter, und antwortete etwas ähnliches. Allerdings alles in Italienisch.

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    1. Hi, da bin ich aufgewachsen und habe dort die ersten 19 Lebensjahre verbracht. Wo – in welchem der wenigen Stadtteile von Görlitz seid ihr untergebracht? In der Touristen-Altstadt, dem langweiligeren Zentrum oder der Südstadt Richtung Landeskrone???
      Den Görlitzer Dialekt habe ich (zum Glück) abgelegt – aber inzwischen ist die Stadt wirklich recht schön geworden. Beim letzten Besuch waren wir wieder – über die kleine Fußgängerbrücke an der Peterskirche – auf der polnischen Seite essen – sehr sehr lecker.
      Lieben Gruß von Clara

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      1. Wir sind genau neben dem berühmten Kaufhaus im Hotel, neben dem Gastmahl des Meeres. Nach der heutigen Stadtführung durch eine Bekannte bin ich noch mehr beeindruckt als ich es ohnehin schon war. Eine wirklich geschichtsträchtige Stadt mit wunderschönen Bauten. Auf der Brücke nach Polen waren wir kurz. Aber es war schrecklich kalt mit einem ganz unangenehmen Wind.
        Kannst stolz sein auf deine Stadt, Clara!
        LG Bettina

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      2. Hallo Bettina, dieses Jugendstilkaufhaus ist schon ein schönes Stück Baukunst, nur sagt mir Wikipedia, dass es immer noch nicht richtig offen ist.
        Ich habe an Görlitz nicht so gute Erinnerungen, da ich wegen politischer Schwierigkeiten mit dem damaligen Staat beinahe um mein Abitur 1964 gekommen wäre, weil ich von der Schule fliegen sollte. – Und es gab noch so viele andere Sachen, deswegen kann mich die reine bauliche Verschönerung der Stadt nicht über alle negativen Erinnerungen hinweg täuschen.

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      3. Das ist wirklich bedauerlich, aber verständlich. Das Kaufhaus ist zu und wurde als letztes als Filmkulisse bei Dreharbeiten zu Hotel Budapest genutzt. Ansonsten ist es an jemanden verkauft worden, der die Bauarbeiten begonnen und dann eingestellt hat. Zukunft des Hauses – unklar.
        LG Bettina

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  2. Ha,ha – die Kamera hast Du noch gar nicht entdeckt. Da kann nämlich jeder Romeo die hübsche Ank. (Sorry, Alfadite heißt die ja) im Frühstücksfernsehen beim Einparken bewundern. Fortschritt durch Technik, habe ich jahrelang verkauft. Der hiess aber Audi😃😃

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  3. 😄😁 Herrlich! Ob deine Eltern damals bei der Namenswahl ahnten, dass das in deinem späteren Leben zu einigen Verwirrungen führen wird?

    Was mich noch interessieren würde: Passiert es dir ab und an, wenn du nur deinen Vornamen sagst, ohne ihn zu buchstabieren, dass du später auf dem Brief „Signora Anche…“ liest? Oder das ist noch nie passiert, weil du immer dazu sagst: Mit Kappa bitte! 😄?

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    1. Weißt du, wie oft ich mich im Büro oder irgendwo umdrehe oder gar „Sì?“ rufe, wo einer nur betont „anche“ gesagt hatte. Und wenn ich mich jemandem vorstelle:
      Wie heißt du?
      Gabriele, und du?
      Ich? Auch.
      Ach ja, Gabriele ist ja ein Frauenname bei euch.
      Nein, „Signora Anche“ habe ich noch nicht gelesen. 😂 Wenn ich meinen Namen offiziell ansagen muss, läuft es eh immer aufs Buchstabieren hinaus, auch dank des für Italiener unaussprechlichen, mit Umlaut gekrönten Nachnamens. Ich heiße also „aah enne kappa eeh“. 😉

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      1. 😂😂 Es lässt sich vermutlich einfacher darüber lachen, wenn man nicht in deiner Situation ist.
        Fortan stellst du dich am besten als Signora Anke vor. Das verschafft gleich eine natürliche Autorität. 😄

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      2. Oh nein. Aber du hast wahrscheinlich recht. Es klingt nur so alt, das „Signora“. 🙈 Na, immer noch besser als „Sciura“ (Maria), so sagt man hier in der Gegend Milano/Varese. 😂

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  4. Sehr schön, aber ich bin mir sicher, es wird irgendwann voll personifizierte Sender geben … was mich ja glatt auf die Idee für einen neuen Blog-Beitrag bringt … DANKE und Grüße nach Italien

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    1. Das dachte ich mir, dass du auf das Thema abfährst. 😃 Oh ja, mach am besten gleich eine Serie draus, da freue ich mich drauf. Hab ein schönes Wochenende in Berlin!

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      1. Mal schauen, was mir da so in den Sinn kommt. Darf ich zur Einleitung auf deinen Beitrag My Radio verlinken? Schließlich bist du ja quasi Lizenzgeber:In dieses Gedankens 😉

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  5. hihi….Anke, es ist 14:28 in Düsseldorf. Nur falls es Dir nicht klar ist. Mein Auto hat mir neulich gesagt ich wär müde. Wusste ich selbst. Vollkommen überflüssige Information. Hätte mir lieber nen guten Witz erzählen sollen, so dass ich vor lauter Lachen wieder hellwach gewesen wäre…
    Nicole. 14:30 Düsseldor.
    Schönes Wochenende!

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    1. Sicher hat es dir auch empfohlen, auf einen Kaffee anzuhalten. Den könnte das Auto selbst servieren, zum Beispiel, wenn man morgens im Stau steht. Es gibt noch viel zu entwickeln. Bis dahin erfreuen wir uns an den Zeitansagen.
      Danke, Nicole, dir auch ein schönes Wochenende in Ddorf!😃

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