Ein Kamel kommt selten allein

Am 6. Januar kommen sie zu dritt. Und auf ihnen reiten die Re Magi, die Heiligen Drei Könige.

Kennt ihr das auch? Ihr wollt einen Text schreiben, habt den Entwurf schon vor dem geistigen Auge, und dann erfahrt ihr erst beim Schreiben Dinge, die alles auf den Kopf stellen. Oder dem Thema eine andere Wendung geben. So geschah es mir heute. Ich wollte eigentlich nur davon erzählen, wie ich mich aufraffte, ein originelles italienisches Gebäck zu backen, welches es zum Feiertag Epifania am 6. Januar gibt. Auf der Suche nach einem einfachen Rezept stieß ich auf die Geschichte des Traditionsgebäcks und die überraschende Erkenntnis: Es handelt sich beim Cammello di pasta sfoglia (Blätterteig-Kamel) nicht um eine in ganz Italien gepflegte Backtradition, sondern um eine von Vareser Konditoren ersonnene Spezialität. Außerhalb des Varesotto, wie die Vareser Provinz auch genannt wird, sucht man es zumeist vergeblich. Mein Mann, gebürtiger Vareser, staunte nicht schlecht.

„Davvero? Non lo sapevo.“ Tatsächlich? Das wusste ich nicht.

Auch er hatte immer geglaubt, dass die Blätterteig-Kamele am 6. Januar überall in Italien die süße Krönung der Feiertage wären. Das mag daran liegen, dass weder er noch ich jemals an einem 6. Januar woanders waren als daheim. Man fährt über die Feiertage weg, oder zwischendurch, oder zum Jahreswechsel in eine andere Stadt. Spätestens zur Epifania ist man aber wieder zurück, eigentlich schon eher, da man meist gleich nach Capodanno, Silvester, wieder arbeiten geht. Wie sollte es ihm oder mir also aufgefallen sein, dass die Italiener im Rest des Landes ohne die leckeren Kamele auskommen.

Camello di sfoglia: Achtung, sie kommen in ganzen Horden.

Und weil es manchmal beim Schreiben anders kommt als gedacht, erzähle ich euch hier nicht von meinen mehr oder weniger gelungenen Backversuchen, sondern

Die Legende vom Kamel der Heiligen Drei Könige, Vareser Traditionsgebäck zur Epifania*

Der 6. Januar ist der Tag der Heiligen Drei Könige: Gaspar, Melchior und Balthasar kamen zur Krippe, das Jesuskind anzubeten, und brachten dazu Gold, Weihrauch und Myrrhe mit. Die mutmaßlichen sterblichen Überreste der drei Weisen gelangten erst im Jahr 1164 zu großer Berühmtheit, als sie in den Kölner Dom Einzug hielten, wo sie seither als Reliquien im goldenen Dreikönigsschrein des mittelalterlichen Meistergoldschmieds Nikolaus von Verdun verehrt werden. Bevor sie nach Köln kamen, befanden sich die Knochen in Mailand. Die Vareser Legende erzählt nun, dass die Überreste der Heiligen Drei Könige, die Kaiser Friedrich Barbarossa aus der Kirche Sant’Eustorgio in Mailand gestohlen und dem Erzbischof von Köln geschenkt hatte, auf ihrem Weg nach Köln durch das Gebiet von Varese transportiert wurden. Diese Erzählung regte die Fantasie an und inspirierte Vareser Konditoren, ein knuspriges, süßes Gebäck in Form eines Kamels, dem Reittier der Heiligen Drei Könige, zu kreieren. Es könnte die edle Version eines älteren, populäreren Kuchens aus Mürbeteig oder Brot sein.

Ob diese Legende nun wahr oder nur ein im Mittelalter verankerter Marketing-Gag ist, wen schert es. Fakt ist, wir haben dieser Geschichte der Reliquien eine beliebte Leckerei zu verdanken. Obwohl es viele Varianten mit Füllungen gibt, bleibt die simple Version des einfachen Blätterteiges, schon während des Backens mit Eigelb und Zucker vergoldet, der Klassiker schlechthin. Das „Gebiet des Kamels“ lässt sich nicht genau eingrenzen, aber man sagt, dass es in den Konditoreien außerhalb des Varesotto schwer zu finden ist. Wir machten die Probe aufs Exempel und fragten vor ein paar Tagen in Como nach. Unsere kleine, keinesfalls repräsentative Stichprobe ergab eine fünfzigprozentige Trefferquote. In zwei Konditoreien lächelte man nur kopfschüttelnd, in zwei anderen gehören Kamele überraschenderweise zum Angebot rund um den 6. Januar. Gutes wird von geschäftstüchtigen Konditoren irgendwann kopiert. Sogar die Comenser scheuen sich nicht, etwas von den Varesern abzuschauen.

Zum Weiterlesen, den italienischen Feiertag Epifania betreffend: Warum mir noch eine harte Nachtschicht bevorsteht, ehe auch ich morgen früh ein Kamel vernaschen kann? In meinem Beitrag vom letzten Jahr erfahrt ihr, was es mit der Nacht der Nächte auf sich hat.

*Quellen: Settenews: La leggenda del cammello dei Re Magi, il dolce preferito dai varesini, FAZ: Wie die Heiligen Drei Könige nach Deutschland kamen

Titelbild: Symbolbild von Pexels.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

30 Kommentare zu „Ein Kamel kommt selten allein

    1. Danke. Ich mag ja lieber die „lisci“, also die einfachen ohne Füllung. Das ist meist eine „Crema pasticcera“, die gelbe Vanillecreme, die ich nicht so mag. Mit einer Cranberry-Sahne, das wäre mal eine Kostprobe wert! 😉

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    1. Die auf dem Bild waren von einer Pasticceria (Konditorei). Sie haben garantiert die Ausstechformen, man kann es aber auch mit auf Backpapier übertragenem Vordruck aus dem Internet „ausradeln“. So lässt sich die Größe, die man mag, basteln, ähm, backen.😉

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  1. Ähnliches habe ich 2017 zum Reformationsjubiläum in der Lutherstadt Wittenberg entdeckt. Reformationsbrötchen. Sie sollen die Lutherrose symbolisieren. Ich mag solche Traditionen sehr. Gutes Gelingen, guten Appetit 🐫😉 und liebe Grüße!

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    1. Die Reformationsbrötchen kenne ich auch aus Dresden. Bei solchen Spezialitäten ist es immer besonders schön, seinen Lieblingsbäcker zu finden, der die besten macht. Ich fürchte, da kann ich mit den Pasticcerien nicht mithalten. 🙈 Einen schönen Tag, auch wenn es bei euch kein Feiertag ist!

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    1. Kamelig glücklich … das hat mich jetzt zum Schmunzeln gebracht. 👍 Was das Süße angeht, so ist das heute der (geplant) letzte sündige Tag, dann beginnt der harte lange „Weniger-Januar“. Ganz ohne schaffen wir meistens nicht. Danke auch dir und liebe Grüße zurück!

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  2. Ich musste mit deinen Backkamelen schmunzeln – mehr darüber, dass ihr denkt, die gibt es in ganz Italien. So ähnlich sind ja die Berliner (Menschen) mit ihren Pfannkuchen auch – die denken auch, die heißen in ganz Deutschland Pfannkuchen und nicht Berliner.
    Gute Resttage für 2022!

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    1. Ich bin als Randberlinerin auch mit Pfannkuchen groß geworden. Obwohl, die hießen wohl überall in der DDR so. Zumindest aus Dresden wird mir das bestätigt, und ich habe damals auch nie irgendwo einen der anderen Begriffe gehört.
      2022? Danke, schon wieder ein Tag geschafft.😂

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      1. Das hört sich nach einem Traumjob an. 🤩 Man darf die Kontaktpflege aber nicht unterschätzen. Die vielen Reisen, Messen, die Besuche im Ausland als Repräsentantin,… Du wirst gut beschäftigt sein. 😃

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    1. Oh ja, das ist schön. Heute waren wir zu einem Ausflug wieder außerhalb der Provinz Varese, und ich kann bestätigen, dass es dort keine Kamele gab. Gut, dass wir je eins zum Frühstück hatten. Mit Kaffee, naturalmente. 😉

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  3. Liebe Anke, das ist ein wunderbares Gebäck und eine schöne Geschichte. Den Reliquenschrein der „angeblichen Gebeine“ der Heiligen Drei Könige sind tatsächlich im Kölner Dom zu bewundern. Ich habe davon ein Foto in meinem Beitrag über den Kölner Dom, es ist schon sehr beeindruckend, auch wenn man nicht weiß, ob der Schrein wirklich die Gebeine enthält. LG Marie

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    1. Ich habe an dich gedacht, liebe Marie, als ich den Kölner Dom erwähnte. Leider hatte ich noch keine Gelegenheit, ihn selbst zu besichtigen. Jetzt habe ich einen guten Grund mehr. Liebe Grüße zurück!

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    1. Na klar! LG = Liebe Grüße ist Hochdeutsch. Ich glaub, in Österreich und Bayern gibt es Baba und Pfiati und Grüezi. Oder so.
      Danke und LG zurück! 😀

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