Der Duft nach Sommer

Wenn der weiße Flieder … nein, Jasmin, wieder blüht, dann denke ich an mein allererstes Italienerlebnis zurück. Es war Mitte der 90er-Jahre, als ich im Juni zwei Wochen Urlaub auf der Insel Elba verbrachte. Der süßliche, fast vanilleartige Duft prägte sich damals tief in meine olfaktorische Erinnerung ein. Wir wohnten in einer Bungalowsiedlung am Meer, Villagio heißt das hier, und der Weg, der am Swimmingpool vorbeiführte, war von duftendem Gelsomino gesäumt. Ein Duft nach Sommer. Nach einem Sommer im Süden, so wie ich ihn bis dahin nicht kannte. Ganz anders als der modrig waldige Seegeruch, der meine Kindheitssommer am brandenburgischen Straussee geprägt hatte. Jasmin entfaltet seinen betörenden Duft vor allem in den frühen Abendstunden, aber vielleicht war es dort am Meer anders und er duftete auch schon am Morgen. Dann nämlich, wenn ich mit klopfendem Herzen zum kleinen Negozietto (Tante-Emma-Laden) lief, um frische Panini zu holen. Bestimmt hatten sie dort auch Brioche und andere süße Teilchen, aber wir Deutschen kannten diese Art des Frühstückens nicht und bestanden darauf, unser gewohntes Brot mit Aufschnitt und Marmelade zu essen. Die großen Kaffeetassen (die vermutlich für Tee oder Cappuccino gedacht waren), bekamen wir gefüllt, indem wir mehrere Durchläufe Caffè mit der Moka kochten. Ich hatte mir für diesen Urlaub ein kleines Taschenwörterbuch gekauft und vorgenommen, die Grundbegriffe Italienisch zu lernen. Als ich am ersten Morgen das Lädchen betrat, grüßte ich stolz in der Landessprache. Mein „Buona sera!“ sorgte für Erheiterung. Das missglückte Entree verunsicherte mich, aber meine Urlaubsgefährten bestanden weiter darauf, dass ich den Einkauf erledigen sollte. Sie trauten mir, der Jüngsten im Team, wohl eine geschicktere Kommunikation mit den Einheimischen zu. Es waren allerdings hauptsächlich Handzeichen, Kopfnicken oder Kopfschütteln, mit denen ich mich verständlich machte. Mit der italienischen Sprache war es in jenem Sommer noch nicht so weit her bei mir. Es gab kaum Gelegenheit, sie einzusetzen. Ich war mit Schwester und Schwager unterwegs, ein rätselaufgebendes teutonisches Trio, an das sich kein Italiano herantraute. In dieser Konstellation war ich abgeschirmt von Annäherungsversuchen in „Ciao Bella!“-Manier, jedenfalls kann ich mich an solche nicht erinnern. Vielleicht war das auch besser so, denn so hatte ich zwei Jahre später den Mut, allein einen Kurztrip ins schöne Bologna zu wagen. Was mir dort passierte, habe ich für den Blog in eine kleine Fortsetzungsgeschichte gepackt. (Für Nachzügler oder Wiederholungsleser: Teil 1: Also, wenn Sie mich fragen, Teil 2:  Alles kann passieren!, Teil 3: Neuer Tag, neues Glück, Teil 4:  Wie das Leben spielt)

Aber ich wollte vom Jasmin erzählen. Jedes Jahr im Juni, immer, wenn mir dieser Duft im Vorbeigehen begegnet, muss ich innerlich schmunzeln und vergesse für einen Augenblick den schnöden Alltag mit seinen Problemchen und Sorgen. Ich bin wieder im Urlaub auf Elba, jugendlich unbeschwert und glücklich, den Sommer im Süden zu erleben. Seit ein paar Jahren haben wir einen kleinen Jasmin auf dem Balkon. Dafür, dass er in seinem Kübel nur wenig Platz hat, erfreut er uns jedes Jahr mit herrlichen Blüten. In Nachbars Garten gedeihen ganze Hecken. Neulich am See fotografierte ich vor unserem Lieblingsrestaurant traumhafte Bögen. Ihr seht: Für süße Momente und das Schwelgen in Erinnerungen ist optisch und vor allem olfaktorisch bestens gesorgt.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

31 Kommentare zu „Der Duft nach Sommer

    1. Liebe Anja, so ist es, und das ist gut so. Man muss halt sehen, auch immer noch neue Pläne zu schmieden und neue Erinnerungen zu schaffen. Liebe Grüße und hab ein schönes Wochenende!

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  1. Unsere Sinne sorgen manchmal schon für wunderbare Momente, liebe Anke. Mir geht es so mit dem Duftgemisch aus Pfirsichen, Aprikosen, Paprika u.ä. , wenn ich auf einem Markt bin. Das werde ich mein Leben lang mit Ungarn und Urlauben am Balaton in Verbindung bringen. Auf den Märkten dort gab es diese sonnengereiften, süßen Früchte im Überfluss. In der DDR waren sie Mangelware und längst nicht so gut.
    Ungarn war doch sehr westlich angehaucht und man spürte ein wenig Freiheit, wenn auch die Westdeutschen mit ihrer harten Währung immer bevorzugt wurden.
    Ja, schöne Erinnerungen!
    Liebe Grüße Bettina

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    1. Liebe Bettina, ach ja, wenn du Ungarn sagst, dann denke ich gleich an Bulgarien. Dort aß ich die besten, größten, saftigsten, leckersten Pfirsiche meines Lebens, mir läuft jetzt noch in Gedanken der Saft beim Reinbeißen übers Kinn. Beim Obst hatten die Länder des Ostblocks Glück, bei denen es reifte. Da scheint die sozialistische Umverteilung nicht so gut funktioniert zu haben, wir mussten halt mit Äpfeln und Kohl über die Runden kommen. Hab ein schönes Wochenende mit gutem Obst und Gemüse!

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  2. Deine Berichte über die olfaktorischen Reize und Blumen im besonderen mag ich sehr. Ich erinnere mich an einen Artikel im letzten Jahr, wenn die Hortensien blühen und die Schlüsselszene (vermutlich nur für mich! ;-)) wie du mit neugeborener Tochter ins Hortensien-Meer guckst. Was und wo wären wir nur ohne diese Gaben der Natur? 🙂

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    1. Brava. Stimmt, die Hortensien sind als nächstes dran, die ersten blühen schon zaghaft. Die Natur verwöhnt uns und tröstet über manch Unbehagen, die Gesellschaft betreffend, zumindest ein bisschen hinweg. Ich drücke die Daumen, dass du bald reichlich Obst und Gemüse auf deinem Balkon ernten kannst. Dann hast du Zero Kilometer, zum besten Preis aller Zeiten!

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      1. Du hast so recht! Ein Glück lenkt uns die Natur ab – denn egal wie es ist: Es blüht und duftet in den warmen Monaten an allen Ecken.
        Das wäre fein! Danke dir. Die erste Tomate ist geerntet. 😉

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  3. So viel wurde schon zu deinem Text und den Dufterinnerungen geschrieben. Ich oute mich als Nachzüglerin und habe mit Vergnügen die Texte 1 bis 4 gelesen. Eine wunderbare Geschichte, perfekt für einen sommerlichen Samstagnachmittag. Liebe Grüße Roswitha

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  4. Wunderbare Erinnerungen, mit dem Duft des Jasmin und anderem verbunden sind. Daran kann ich mich auch noch sehr gut erinnern, und an die lauen Abende, die damit erfüllt waren. Wie schön, dass Du Dir den gelsomino auf den Balkon geholt hast, Blumen und ihre Düfte helfen über vieles hinweg. Liebe Grüße, Marie

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    1. Guten Morgen, Marie. Danke für deinen Kommentar. Es freut mich immer besonders, wenn ich beim Leser eigene, ähnliche Erinnerungen wachrufen kann. Ich wünsche dir einen wunderschönen Sonntag!

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