Neulich habe ich euch unser kleines Kaff beschrieben, in dem ich mich wie am A der Welt oder wie in der herrlichsten Urlaubsgegend fühle. Es gibt außer Grundschule und Kindergarten, Oratorio und, ich vergaß, einer Autowerkstatt, keine Einrichtungen öffentlichen Interesses, in oder vor denen man sich die Zeit vertreiben könnte. Zum Glück gibt es Rosi. Sie bedient mein Sehnen nach ein bisschen Stadtgefühl, nach einem Hauch dekadentem, neuzeitlichem Luxus. Rosi führt den kleinen Friseursalon bei uns gegenüber. Habe ich einen Termin, ziehe ich fünf Minuten vorher die Wohnungstür hinter mir ins Schloss. Das ist so bequem, dass ich mir in letzter Zeit angewöhnt habe, einmal die Woche zur Piega zu gehen. Aber was heißt hier neuzeitlicher Luxus. Mich erinnert es an die DDR, als ich meine Mutter immer freitags zum Friseur begleitete. Man nannte es Waschen und Legen. Es roch penetrant nach Dauerwelle im Salon, dafür nebenan beim Bäcker nach frischem Brot und Spritzkuchen. Damals ging, zumindest in meinem persönlichen Umfeld, die gesamte weibliche Bevölkerung einmal die Woche zum Friseur und einmal im Monat zur Kosmetik. Beides kostete aus heutiger Sicht lächerlich wenig. Sich mit einer frischen Föhnfrisur und einer pflegenden Gesichtsbehandlung etwas Gutes zu tun, gehörte zum Selbstverständnis der werktätigen Frauen. Im volkseigenen Betrieb meiner Schwester gab es sogar eine hauseigene Kosmetikerin, die Frau bequem während der Arbeitszeit besuchen konnte. Da ich auch werktätig bin und es mit fortschreitendem Alter etwas mehr braucht, um mich gutgelaunt aus dem Haus zu trauen, schätze ich ein professionelles Föhnstyling sehr. Mein eigenes Können mit Haartrockner und Rundbürste hält sich leider in Grenzen. Es gab mal eine Phase, ich war Anfang zwanzig, da drehte ich mir jeden Abend Schlafwickler ins Haar. Offensichtlich stellte mich das Ergebnis damals zufrieden. Ich trug einen hohen Zopf, und der war dann eben lockig. Heutzutage bin ich froh, wenn ich angesichts von Nackenschmerz und sonstigen Wehwehchen überhaupt schlafen kann, da würden mir solche Dinger auf dem Kopf nur den Rest geben. Auch das Resultat der Prozedur lässt für den heutigen Geschmack zu wünschen übrig, einmal habe ich die Wickler tagsüber probiert. Nein, da lasse ich lieber den Profi ran, und zwar nicht nur, wenn es gar nicht mehr geht mit Schnitt oder Farbe, sondern einmal pro Woche. Es ist auch jetzt und hier im Vergleich günstig. Rosi zahlt weniger Miete als ein Salon in der Stadt. Fast habe ich ein schlechtes Gewissen und will ihr mehr geben, aber das gleiche ich mit meinen regelmäßigen Terminen hoffentlich aus. Zumal Rosi unsere Haus- und Hoffriseurin ist, die ganze Familie geht zu ihr. Unsere Töchter saßen beide schon im zarten Alter von einem Jahr kerzengerade und ohne mit der Wimper zu zucken, in einen großen Umhang gehüllt, bei ihr auf dem Stuhl. Sie schwärmt heute noch von den braven kleinen Kundinnen. Sicher gibt es Fälle, da will nur die Mutter, dass dem Kind die Haare geschnitten werden, und die Prozedur gerät zu einer emotionalen Achterbahnfahrt.
Das perfekte Timing mit Rosis Dienstleistung hatte ich heute vor elf Jahren. Hochschwanger, saß ich gegen 16.00 Uhr bei ihr, um für den Restaurantbesuch am Abend ‒ wenn schon unförmig ‒ wenigstens gut frisiert zu sein. Ich hatte ein Date mit meinem Mann, es war unser Hochzeitstag. Der letzte Teller war noch nicht abgeräumt, da wurde ich urplötzlich an die mir zugedachte Aufgabe erinnert. Von Glückwünschen und Applaus begleitet verließen wir das Lokal und fuhren direkt ins Krankenhaus, wo kurze Zeit später ‒ der nächste Tag war noch nicht zwei Stunden alt ‒ unsere zweite Tochter geboren wurde. Und da fiel die Sache mit dem perfekten Timing auf: Ich war die bestfrisierte junge Mutter auf der Station, alle machten mir Komplimente. Jedes Jahr, wenn ich zu diesem Jubiläum bei Rosi bin, erinnern wir uns lachend an damals und bedauern, wie die Zeit verfliegt. War es nicht gestern? Rosi betreibt ihren kleinen Salon seit zwanzig Jahren. Seit siebzehn Jahren, solange ich hier wohne, bin ich ihr nur einmal untreu geworden. Wenn man das in diesem Fall überhaupt so sagen kann. Als Rosi im Frühjahr 2020 von einem Tag zum anderen für den ersten Lockdown mehrere Monate schließen musste, habe auch ich nach ein paar Wochen wohl oder übel selbst Hand angelegt und den Pony nachgeschnitten. Der Rest war egal, im Homeoffice ohne Zoom-Meetings. Zurück im Büro und sie im Salon, holte ich alles nach und bleibe dabei. Zu meinem Mann sage ich augenzwinkernd: Faccio la Signora. (Ich mache einen auf Dame.) Gerade komme ich wieder von meinem wöchentlichen Termin, frisch gelegt oder vielmehr geföhnt. Ich hab die Haare schön und bin höchstens enttäuscht, dass mich auf den paar Schritten nach Hause niemand sieht. Ich sag ja, wir wohnen in einem kleinen Kaff. Da gibt es nicht viel. Zum Glück gibt es Rosi.
Titelbild: Symbolbild von Pexels.
ja, das mit den wöchentlichen Frieseurterminen meiner Mutter kenne ich auch noch, danach waren ihre Haare immer ganz steif, hoch toupiert und haben zwei, drei Tage nach Haarspray gerochen.
🙂
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Toupieren, stimmt. Das ist eine Technik, die wir zum Glück fast vergessen haben. Früher war sie unverzichtbar.
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😊
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Gut siehst du aus! Und alles Gute zum Hochzeitstag!
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Danke dir für die guten Wünsche, Ilka! Aber das bin nicht ich auf dem Bild. Du hast Recht, so ein Foto nach dem Friseur hätte ich schon mal riskieren können. Von hinten. 😂
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Das ist der Standardsatz auf „ich war beim Friseur“. Wird bei uns auch am Telefon oder per Mail benutzt 🤣.
Heute dann Glückwunsch ans Kind.
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Haha. Ihr seid aber nett zueinander. Ich kenne: Du warst beim Friseur? Ja. Und warum bist du nicht drangekommen?
Danke, erste Party ist schon geschafft, zweite folgt morgen.😀
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Faccio la Signora – das gefällt mir 🙂
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Ist ein geflügeltes Wort hier. 😀
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Danke für diesen schönen Text, ich musste leise schmunzeln und laut lachen. Das sind Geschichten, die das Leben schreibt. 🙂 Alles Gute zum Hochzeitstag! Und morgen dann einen wunderschönen Geburtstag für deine Tochter! Und gut, dass du jetzt endlich verraten hast, wer Rosi ist!
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Danke, liebe Sophie. Schön, dass ich deine Neugier stillen konnte 😉, und dass dir die Geschichte Freude gemacht hat.
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Hätte ich hier eine Rosi…ach das wäre schön. 🙂 Ich hab noch immer nicht “meinen” Frisör gefunden. Aber ich gebe nicht auf 😂
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Vielleicht, weil du in der Stadt eine zu groβe Auswahl hast? 😉 Ich frage mich auch manchmal, ob, wenn ich nicht so bequem wäre, ich mal hier oder dorthin fahren würde, um andere „Hairstylisten“ auszuprobieren. Wer weiß, was die zaubern würden? Aber nein, der persönliche Faktor verbindet und ist einfach schön. La parrucchiera di fiducia, wie es so schön heißt.
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Das kann gut sein. Und leider wechseln die Mitarbeiter so oft. Mittlerweile bin ich immer im gleichen Laden und kenne dort fast alle. Bei meinen Haaren auch egal…trotzdem ist so eine Rosi fein. 🙂
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Vielleicht findest du sie noch. Oder einen netten Kollegen. 😉
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Erst einmal: Einen wundervollen Hochzeitstag heute und morgen einen tollen Geburtstag für die kleine Große. 🙂
Mit einer „Rosi“ geht man wirklich durch dick und dünn. Klasse, wenn man so einen Fixpunkt hat, liebe Anke. Und die freie Zeit zum Haare legen und föhnen ist wie Wellness, nicht nur für die Haare.
Alles Liebe aus dem mittlerweile auch sehr heißen Frankfurt, Eva
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Danke liebe Eva! Ihr habt es auch kuschelig? 😉 Wir sind hier schon wieder so weit, dass wir nicht mehr draußen auf dem Balkon zu Abend essen, weil es zu heiß ist. Bekloppt ist das, es war doch mal das Draußensitzen, das den Sommer so besonders machte. Ich muss mich mal bei Rosi schlau machen, es gibt da jetzt so eine „Crioterapia“ oder so für die Haare, wo mit Kälte statt mit Hitze gearbeitet wird. 😄
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Oh, Wahnsinn! Den Zustand erreichen wir erst am Wochenende. 35 Grad. Aber die Sonne scheint und es geht uns gut. Was will man mehr? 😃
Crioterapia wäre die Idee, um einen kühlen Kopf zu bewahren. Rosi würde vermutlich im Sommer das Geschäft ihres Lebens machen: Nicht “sangue freddo” sondern “testa fresca” wäre der Werbespruch. 😄
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Vor kurzem schriebst du noch, es sei kein richtiger Sommer. Nun ist er da, und es ist auch nicht recht. Uns ist nicht zu helfen.😂🤷♀️ Aber, ganz ehrlich: Lieben wir nicht alle diese besonderen Tage, an denen es schön warm ist, angenehm, mit einem lauen Lüftchen. Das sind bei mir um die 25 Grad. Die genieße ich immer, weil ich weiß, wie selten sie sind.
Das mit der Kopfhauterfrischung muss man mal weiterdenken, Crioterapia ist wohl nur für die Haare und man bekommt sicher nicht so viel erfrischenden Kälteeffekt ab. Testa fresca klingt super!😎
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Irgendwas ist ja immer. 😄
Absolut richtig. 25 Grad, ein laues Lüftchen,… hach. Aber auch mit 32 Grad lässt es sich aushalten. In einem halben Jahr wird es es wieder 🥶.
Ich bin gespannt, was du bei Rosi hinsichtlich der Crioterapia bewirken kannst. 😃
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Eine wirklich reizende Geschichte, heute zu deinem Hochzeitstag, liebe Anke. Alles Gute! Und eine nette Verbindung mit deiner Friseurin.
Ein Kurzhaarschnitt zu DDR-Zeiten kostete mich höchstens 15 min und 1,50 Ostmark. Bin nie wieder so günstig bedient worden 😄.
Bei mir war ein Handwerker. Er hatte gerade eine Markise bei uns angebaut und ich sollte sie auf Funktionstüchtigkeit prüfen. Ich kurbelte sie unter starken Wehen hin und her. Er verließ das Haus, ich rief meine Mutter an, sie brachte mich in die Klinik, mein Mann war nicht abkömmlich, und zwei Stunden später war unsere Tochter da. Ob meine Frisur in Ordnung war, daran vermag ich mich nicht mehr zu erinnern 😅
Zu nett, die Erinnerungen an die Geburt der Kinder.
Liebe Grüße Bettina
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Danke, liebe Bettina!
Du erinnerst dich noch an den Preis? Klar, Eins Fuffzich prägt sich gut ein. Ich hatte im Netz nur eine Preisliste von Ende der 50er-Jahre gefunden, aber man sieht, sehr stark gestiegen sind die Preise in dreißig Jahren wohl nicht.
Auch du hast also nicht lange „in den Wehen GELEGEN“. Klasse! Programm durchgezogen, ob nun Handwerker oder Restaurantbesuch, und dann ratzfatz, erledigt. 😉
Liebe Grüße Anke
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Ein Hoch auf Rosi! Hoffentlich gibt es sie, ihren Laden und die lieb gewonnen wöchentlichen Termine noch sehr lange.
Bei mir würde sich der wöchentliche Friseurbesuch mittlerweile sogar wieder lohnen — wenn auch nur, um die wenigen verblieben Haare auf ein Minimum zu kürzen. 😉
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Ja, das hoffe ich auch. Da sie ein paar Jahre jünger ist als ich, stehen die Chancen darauf eigentlich nicht schlecht. 😉
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Du: „Schlafwickler“ – du meinst Lockenwickler, aber weiche, mit denen man notfalls auch im Bett liegen und schlafen konnte.
Obwohl ich eigentlich IMMER gearbeitet habe, gehe ich zeit meines Lebens etwa aller 6 Wochen zum Schneiden zum Friseur – diese kurzen Dinger kann ich zu Haus mit Schaumfestiger selbst föhnen.
Meine Kosmetikbesuche kann ich wohl an einer Hand abzählen – ich fand es blöd und es tat weh, wie sie an Mitessern rumgequetscht haben und Augenbrauen gezupft haben.
Ich sehe, ich bin nicht der normale Durchschnitt.
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Ja, Schlafwickler nennen sich diese weichen aus Schaumstoff. Drumherum das Plastikteil drückt trotzdem ein wenig.
Mit kurzen Haaren ist das Föhnen sicher einfacher. Und bei der Kosmetik bin ich ganz bei dir: Ich war drei oder vier Mal im Leben, spätestens, wenn sie an die Augenbrauen gehen, hört der Spaß auf. Für diese Tortur mag ich kein Geld bezahlen. Es sollte doch angenehm und erholsam sein.😉
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Dieser Text hat mir besonders gut gefallen. Ich finde mich in ihm wieder. Was man früher auf sich genommen hat, um das Gefühl zu haben, perfekt auszusehen – und das Bedürfnis, sich etwas zu gönnen, das kommt mir sehr bekannt vor. Rosi ist ein Glücksfall, so hört es sich auf jeden Fall an. Und dann das Thema Kosmetikerin und Friseurbesuch in der ehemaligen DDR – das ist auch etwas, das in Ost und West offenbar verschieden war. Ich kenne es von meiner Arbeit. Die Kolleginnen, die früher in Ost-Berlin gelebt haben, haben häufig von ihrem Friseurbesuch und von der monatlichen Kosmetik berichtet. Ich finde, das ist eine schöne Gewohnheit. Tut doch einfach gut, so eine kleine Wohlfühlbehandlung. Und Faccio la Signora merke ich mir auch sehr gern.
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Danke, Roswitha, für deinen netten Kommentar. Ein Friseurbesuch ist in jedem Fall eine Verwöhnbehandlung mit effektiv sichtbarem Resultat. Warum es in Deutschland die Redewendung „Ich muss mal wieder zum Friseur“ gibt, die so klingt, als wäre es eine Strafe, habe ich nie so recht verstanden. 😊
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