Ein französischer Film in italienischer Adaption, in dem eine Deutsche streckenweise Englisch spricht, und der zweieinhalb Stunden lang nur eine Frage behandelt: Hat sie es getan, oder nicht? Ich musste meinem Mann gut zureden, am Vorabend der Oscar-Verleihung mit mir „Anatomia di una caduta“ („Anatomie eines Falls“) anzuschauen. Mich hatten die vielen Artikel über Sandra Hüller und ihre Nominierung für die beste Hauptdarstellerin auf die Spur gesetzt, da wollte ich mir selbst eine Meinung bilden.
Dass es ein französischer Film war, hatte ich meinem Mann erst gar nicht gestanden, aber er kam mir bereits während der ersten Szene auf die Schliche. Sie dauerte ihm zu lange. Da passierte ja gar nichts. Und diese nervtötende Musik. Man verstand auch kein Wort, das gesprochen wurde. Ich ahnte: Das musste so sein. Das war Kunst. „Ist das etwa ein französischer Film?“, maulte der Italiener. Und erklärte mir anschließend lang und breit seine Vorurteile. Ich gähnte nur, denn die kenne ich. Wir sind lange genug verheiratet. Deshalb hatte ich auch nie darauf bestanden, dass er sich mit mir Romy Schneiders beste Filme ansehen sollte, die fielen vermutlich auch in seine ungeliebte Schublade. Enttäuscht sah ich, wie seine Augen klein wurden …
Dabei ist dieser Film, dieser Fall, alles andere als langweilig. Es geht um einen vermeintlichen Mord. Oder war es ein Unfall? Ein Suizid? Die einzige Zeugin und potenzielle Täterin: die Ehefrau des Opfers, eine Schriftstellerin. Da weiß man doch nicht, ob das, was sie erzählt, der Wahrheit entspricht. Hatten nicht ihre Romane immer einen persönlichen Bezug? Was, wenn sie jetzt den nächsten Roman inszenierte? Sie ist gut im Geschichtenerzählen. Und sie ist Deutsche. Die tickt doch sowieso anders. Unterhielt sich mit ihrem französischen Gatten in Englisch. Was soll man da glauben von dem, was sie vor Gericht in Französisch aussagt. Sind ihre Erinnerungen von analytischer Interpretation und schriftstellerischer Fantasie verzerrt? Gut, dass es auch eine Tonaufnahme gibt. Ihr Mann hatte eines ihrer letzten Streitgespräche mitgeschnitten.
Mein Mann war mittlerweile wieder hellwach. Ich spürte seine misstrauischen Blicke. „Eine Deutsche. Soso. Schreibst du nicht auch an einem neuen Roman?“ Er grinste verunsichert. „Und morgen soll ich auf die Leiter steigen, um die Dachfenster zu putzen! Das überlege ich mir nochmal.“ Drei Viertel der Handlung verfolgte er, nachdem er zu Beginn aus Protest ein Nickerchen eingelegt hatte. Er hatte dann doch Interesse gefunden.
Auch mich inspirierte das Werk. Vielleicht zu Elementen einer eigenen Geschichte, die kein Kriminalfall sein muss. Mehrsprachige Lebensgemeinschaften haben ihren Reiz und ihre Tücken. Fest steht: Würde jemals irgendetwas Zweifelhaftes passieren, käme ich fast unvermeidlich in Erklärungsnot. Mir fehlen vor Aufregung schon die passenden Worte, wenn ich an der Grenze von einem Zollbeamten gefragt werde, ob ich etwas zu deklarieren hätte. Sollte ich Szenen meiner Ehe vor Gericht schildern müssen … ich weiß nicht, ob ich mich aus der Affäre ziehen könnte. In einer italienischsprachigen Rezension des Films wird das Dilemma der Mehrsprachigkeit etwa so beschrieben:
„ … spricht Sandra in dem fremden Land, in dem sie lebt, Englisch, aber vor Gericht muss sie auf Französisch aussagen. Beim Übergang von einer Sprache zur anderen geht etwas verloren oder besser gesagt, es verändert sich, es passiert etwas und damit findet eine ständige Neuinterpretation von Identität, Erinnerung und Erfahrung statt, allein durch das Erzählen, angefangen bei der Wahl der Begriffe, der syntaktischen Konstruktionen.“ *
Mein Mann atmete auf, als der Abspann lief. Beim Umschalten blieb er an einem Klassiker der Italo-Western-Komödie hängen: Bud Spencer und Terence Hill. Ich lächelte nur müde und wünschte ihm gute Unterhaltung. Bevor ich zu Bett ging, bat ich ihn noch einmal freundlich, aber bestimmt, dass er die Dachfenster am nächsten Tag putzen möge. „Si, certo, amore!“
Ich habe unser harmonisches Gespräch vorsichtshalber mit dem Smartphone aufgenommen.
*Zitat übersetzt aus dem Italienischen, Filmbesprechung bei The Vision.
Titelfoto: Symbolbild von Pexels
Sicher ist sicher! 🙂
LikeGefällt 2 Personen
Das war auf deine Aufnahme via Smartphone bezogen. Den Film habe ich noch nicht gesehen und muss auch sagen, dass ich den Hype um die Schauspielerin nicht so wirklich nachempfinden kann, weil ich sie so gar nicht mag. Also die Schauspielerin.
Sollte ich den Film dennoch mal irgendwann sehen und eine Meinung dazu haben, werde ich es dich jedoch gerne wissen lassen. 🙂
Danke für deine Infos diesbezüglich und viele Grüße Bea
LikeGefällt 1 Person
Schon klar. 😂
Immer gern geschehen. Ich mochte den Film und bin jetzt auch neugierig, mehr von Frau Hüller zu sehen. Liebe Grüße an dich!
LikeGefällt 1 Person
😉
LikeGefällt 1 Person
Ich sehe euch vor mir, denn bei uns ist es nicht anders. 🙂
LikeGefällt 3 Personen
Mag dein Gatte auch keine französischen Filme? 😉
LikeLike
er zieht Italowestern bei weitem vor 😉 Es dürfen auch amerikanische Gangsterfilme mit vielen vielen Toten sein, 😦
LikeGefällt 1 Person
Mein Mitgefühl. 😉
LikeLike
Danke! 🙂
LikeGefällt 1 Person
Ist ein toller Film! Sandra Hüller spielt die Rolle so gut, dass man mit der an für sich unsympathischen Protagonistin leidet und ihr wünscht, dass sie freigesprochen wird. Dass es im französischen Gerichtsverfahren keine Dolmetscher gibt, kann ich mir aber nicht vorstellen.
LikeGefällt 3 Personen
Nicht wahr, man sympathisiert, denn man merkt, wie alles gegen sie ausgelegt werden soll und wie sicher und verzweifelt zugleich sie sich wehrt. Ich erinnere mich, dass sie vor Gericht an einer Stelle darum bat, Englisch sprechen zu dürfen, um sich besser ausdrücken zu können. Da kam der Übersetzer ins Spiel.
LikeGefällt 1 Person
Hihi, du machst mich doch ein wenig neugierig auf den Film, den ich bisher nur aus Trailern kenne. Danke und liebe Grüße, Annette
LikeGefällt 2 Personen
Schau ihn dir an, er hat was. Danke fürs Lesen und herzliche Grüße zurück!
LikeGefällt 2 Personen
Jetzt hast du mich neugierig gemacht, liebe Anke! Spannend! Den Film werde ich gleich mal vorschlagen und hoffen, dass niemand dabei einnickt. 😃
Ging die Aktion mit der Leiter und deinem Gatten gut? Oder du lässt uns noch im Ungewissen? 😄
LikeGefällt 2 Personen
Das freut mich, liebe Eva. Hat der Römer eigentlich keine Vorurteile, was französische Filme angeht?
Doch doch, der Leiteraufstieg verlief glimpflich. 😅 Liebe Grüße nach Frankfurt!
LikeGefällt 1 Person
Tatsächlich nicht, was daran liegt, dass der albanische Teil in ihm ein großer Frankreich-Sympathisant ist. Enver Hoxha schätzte Frankreich sehr, deswegen ist er den Filmen (und dem Land) nicht abgeneigt. 😄 Aber Filme mit Checco Zalone würde er vermutlich dennoch bevorzugen. 😉
LikeGefällt 1 Person
😅 Na dann, keine Ausreden also!
LikeGefällt 1 Person
Immerhin hat Er mitgeschaut.
Würde hier keiner tun.
Mein Schwager hat so von dem Film geschwärmt und von einer bestimmten Filmmusik in dem Film.
Ich weiß nicht ob das wirklich meines ist.
Ich bin nicht besonders gut in Fremdsprachen.
Euch einen schönen Abend.
LikeGefällt 1 Person
Ja doch, er ist recht aufgeschlossen. 😉 Manchmal gelingt es mir sogar, ihn zu einem deutschsprachigen Film zu überreden. Dabei ist natürlich die Einschlafgefahr höher, oder wir müssen den Film laufend anhalten, damit ich erklären kann, was er nicht verstanden hat. Am besten geht es mit Untertiteln, wenn die zur Verfügung stehen.
Danke fürs Lesen und herzliche Grüße an dich!
LikeGefällt 1 Person
Danke,
ich hab mit Untertiteln auch so meine Probleme.
Mein Partner guckt inzwischen sogar Tatorte mit aus Ermangelung das es nix ordentliches mehr im Fernsehen gibt.
Ich hab Jahrelang gar nicht geguckt.
Was mir nie geschadet hat.
Dir auch noch nen schönen Nachmittag/Abend.🧡
LikeGefällt 1 Person
Mir hat der Film sehr gut gefallen. Sandra Hüller sowieso und auch alles, was mit Sprache, Mehrsprachigkeit und Übersetzungen zu tun hat. Vor Allem aber fand ich den Film als Psychokrimi wirklich spannend. Nur die Musik am Anfang war so elend laut und aufdringlich, dass ich nicht nur die Lautstärke runtergedreht habe, sondern fast auch den Film abgeschaltet hätte. Erst später habe ich dann erkannt, dass die Sache mit der nervigen Musik ein wichtiges Element der Geschichte war.
LikeGefällt 1 Person
Stimmt, das war etwas schwierig zum Beginn, zumal man die gesprochenen Worte kaum hörte. Aber das muss ja so. Wie ich schrieb: Das ist Kunst.
Hast du die deutsche Fassung gesehen? Mir fiel im deutschen Trailer auf, dass Sandras berühmter Monolog „You are not a victim!“ gar nicht in Englisch ist. Wurde da alles einfach übersetzt? Im Italienischen gab es Untertitel, wenn Englisch gesprochen wurde.
LikeLike
Ich hab die deutsche Version gesehen, erinnere mich aber nicht mehr, ob und wo es da Untertitel gab. Ich verstehe ja Englisch und Französisch, da ist es mir auch egal. Hab grad begonnen, Italienisch zu lernen.
„My tailor is rich“ – Den Satz kennt jeder Franzose, weil damit der Assimil-Englischkurs beginnt. Und wie heisst der erste Satz für Italienisch-Lerner? „Vorrei comprare una bambola“?
LikeGefällt 1 Person
Non ho idea. Ich. Ist nicht der erste Satz. 😉
Ich wünsche viel Freude mit Italienisch!
LikeLike
Ich kann mich deiner Einschätzung nur anschließen. Das mit der Musik ging mir genauso, es hat sich ja erst im Laufe des Films erschlossen. Sandra Hüller hat großartig gespielt. Sie ist wirklich sehr wandlungsfähig.
LikeGefällt 1 Person
Danke, liebe Roswitha, für deinen Kommentar! Hab ein entspanntes Osterfest!
LikeLike
Danke, da hast du aus deinem Fernsehabend mit Mann direkt einen Krimi gemacht. Super
LikeGefällt 1 Person
😉 Genau. Danke und liebe Grüße!
LikeLike
Sandra Hüller – eine interessante Schauspielerin, finde ich. Den Film habe ich noch nicht gesehen. Bin aber gespannt darauf.
LikeGefällt 1 Person
Stimmt, ich bin jetzt nach diesem drauf und dran, weitere ihrer Filme anzusehen. Liebe Grüße!
LikeGefällt 1 Person
Grazie per il consiglio cinematografico. ☺️
LikeGefällt 1 Person
Prego! Buona visione e tanti saluti. 😊
LikeGefällt 1 Person
Deinen Beitrag habe ich mit doppeltem Vergnügen und Interesse gelesen – sozusagen zwei Geschichten, vor und hinter der „Mattscheibe“ – das sagt man, glaube ich, nicht mehr oder? Es ist ja ein Klischee, dass Männer eher Italo-Western oder James Bond lieben, aber in meinem persönlichen Klischee liegt auch eine ganze Menge Erfahrung. Ich freue mich, dass du Lust auf weitere Sandra-Hüller-Filme bekommen hast. Bei mir steht Zone of Interest als Nächstes auf dem Programm. Viele frühlingshafte Grüße aus Berlin
LikeGefällt 1 Person
Liebe Roswitha, diesen deinen ersten Kommentar habe ich erst jetzt aus dem Spam-Ordner gefischt. Ich verstehe nicht, warum manche Kommentare da landen. Er hat doch gar nichts „Verdächtiges“. 😉
Herzlichen Dank und hab noch einen schönen Ostersonntagabend!
LikeLike
Dein Beitrag hat mir sehr gut gefallen, liebe Anke. Ich denke manchmal darüber nach, wie es sich anfühlen mag, wenn man mit seinem Partner/seiner Partnerin nicht in der eigenen Muttersprache kommunizieren kann. Ich stelle es mir so vor, dass manchmal etwas verloren gehen könnte, selbst wenn man sehr gut in der Fremdsprache ist. Wie fühlt sich das für dich an?
Herzliche Grüße und vor allem frohe Ostern! Sophie
LikeGefällt 1 Person
Stimmt, es ist „ein weites Feld“, das sich mit der Mehrsprachigkeit auftut, könnte man Fontane bemühen. Du regst mich an, darüber nochmal nachzudenken und vielleicht unter anderem Blickwinkel zu schreiben. In der Beziehung zum Partner empfinde ich gar nicht so starke Defizite, womöglich werden die durch die Harmonie, das sich Kennen und Verstehen, abgemildert? Mein Mann gibt mir natürlich die Gelegenheit, etwas zu umschreiben, ausführlich zu erklären, wenn ich das passende Wort nicht kenne oder aber ‒ gar nicht so selten ‒ es das im Italienischen gar nicht gibt. Mit unserer Großen kommt es jetzt schon so weit, dass sie manchmal einen englischen Begriff vorschlägt. Wir suchen dann so lange, bis wir meinen, genau das zu sagen, was wir sagen wollen. Mit Kollegen, die weniger Bereitschaft zum Verstehen zeigen, merke ich manchmal stärker die Grenzen meiner Ausdrucksmöglichkeiten, wenn es um Feinheiten und kulturelle Unterschiede geht. Deshalb verstehe ich nur allzu gut: Wenn es wie im Film um schuldig oder unschuldig geht, kann es brenzlig werden.
Danke und noch Frohe Ostern auch für euch, liebe Sophie!
LikeLike
Non ho ancora visto questo film, ma credo proprio che lo farò presto! 🙂
LikeGefällt 1 Person
Ne vale davvero la pena.
LikeLike
Liebe Anke, spannend wie ein Film, Deine Schilderung eures Filmabends! Diesen Film muss ich unbedingt auch sehen – aber vielleicht lieber für mich allein? Dass Männer beim Fernsehen häufig anders „ticken“ als wir, hat nicht unbedingt nur mit gemischten Nationalitäten zu tun. Wir sind beide Schweizer, und ich kenne das Problem ebenfalls, übrigens nicht nur bei den Filmen… Liebe Grüsse aus der Schweiz, Elisa
LikeGefällt 1 Person
Danke, liebe Elisa! Ja, so ist es wohl. Männer sind anders, Frauen auch. 🤷♀️ Herzliche Grüße in die Schweiz!
LikeGefällt 1 Person