Schweißtreibende Angebote

Lebensmittel einkaufen wird immer komplizierter. Dabei gehe ich nur in einen einzigen Supermarkt, spare es mir, Angebote zu vergleichen und mehrere Geschäfte abzuklappern. Sicher muss man sich das leisten können, aber ich sage mir, dass Zeit und Benzin auch etwas kosten. Immerhin kaufe ich geschätzt sechzig oder siebzig Prozent der Artikel im Angebot. Mein Supermarkt macht, so scheint mir, sogar personalisierte Werbung und setzt bestimmte Produkte, die ich regelmäßig kaufe, extra für mich in die Werbung. Leider wird der Marketingmix zunehmend unübersichtlicher. Die meisten Preisnachlässe gibt es automatisch mit der Kundenkarte. Bei anderen Aktionen, für die ich eine E-Mail erhalte, muss ich an der Kasse einen Code scannen lassen. Die Neuerfindung dieses Sommers katapultiert das Spiel in neue Höhen. Sie nennen es Wiederkomm-Rabattaktion. Erst muss man ein paar Tage lang ordentlich einkaufen und erhält für einen bestimmten Betrag jeweils einen Gutschein. Den kann man darauffolgend ‒ innerhalb von nur wenigen Tagen ‒ bei einem bestimmten Einkaufsbetrag einlösen. Raffiniert, oder? Womöglich glauben die Marketingstrategen gar, sie könnten die Leute davon abhalten, in den Urlaub zu fahren und anderswo einzukaufen? Urlaub war bei uns weder im Juni noch im Juli Thema und so stand fest, dass ich alle Gutscheine einlösen würde. Am letzten Tag ihrer Gültigkeit wollte ich den Einkaufswert erreichen und hatte gleichzeitig einen Code für Tiefkühlprodukte. Würde deren voller Preis zum Warenwert zählen, oder nur der reduzierte? Es versprach, spannend zu werden. Ich kam am Ende richtig ins Schwitzen. Holt euch einen kühlen Drink, legt die Beine hoch und lest entspannt, warum mir an der Kasse der Schweiß auf die Stirn trat:

Während ich der Kassiererin meine Kundenkarte überreiche, erkläre ich ihr sofort die komplexe Situation. Ich bin guter Dinge, den Wert für die Gutscheineinlösung sogar übertroffen zu haben und bugsiere die Waren vom Band in den Einkaufswagen. Nein! Es fehlen zwei Euro und ein paar Zerquetschte. Ich nicke und lächle souverän, denn ich hatte mir bereits vorher eine Packung Karamellen ausgeguckt, die ich noch kaufen könnte. Galant entschuldige ich mich bei den Wartenden hinter mir, drücke mich an ihnen vorbei und angele die Packung aus dem Regal vor der Kasse. Siegessicher reiche ich sie der Kassiererin. Die schüttelt den Kopf. Nein, es würde noch ein Betrag fehlen, wenn ich auch den Rabatt auf die Tiefkühlkost haben wolle. „Kann ich den Code bitte gleich scannen lassen, dann sehen wir ja, wieviel genau fehlt“, schlage ich vor. Die Kassiererin schüttelt wieder den Kopf. Das geht erst am Ende. „Aber wir wissen doch nicht, wieviel …“ Ein Mann in der Warteschlange meldet sich zu Wort. „Meine Tiefkühlkost taut gleich auf“, bemerkt er vorwurfsvoll. Ich entschuldige mich noch einmal und strecke meinen Arm an seinem Gesicht vorbei, um ins Regal mit den Kaugummis zu greifen. Kaugummis gehen immer. Zwei Doppelpacks und die Rechnung stimmt. Der Zahlungsbetrag rutscht nach allen Abzügen sogar unter die 100-Euro-Marke, das hatte ich lange nicht erlebt. Ich müsste nur noch meine Kundenkarte über das Gerät ziehen, den Pin eingeben und fertig. Der Herr nach mir könnte seine Tiefkühlkost unversehrt nach Hause bringen.

Der Pin ist kein Problem, ich habe ihn parat. Eigentlich. Immer. Und jetzt? Ich gebe die vier Ziffern ein und ahne bereits, dass ich es nicht in der richtigen Reihenfolge tue. „Pin errato“. Falscher Pin. Ich atme tief durch. Vier Ziffern. Kann man die durcheinanderbringen? Ja, man kann.  Natürlich habe ich den Pin irgendwo aufgeschrieben. Aber wo? Hier an der Kasse, vor allen Leuten, fällt mir weder die Kombination noch der Ort ein, wo ich nachschauen müsste. Klar, man soll seinen Pin ja auch gut verstecken, noch besser gar nicht notieren. Mist, verdammter! Ich fluche auf Italienisch, sonst hätten mich die Wartenden womöglich noch argwöhnischer angeschaut. Aber das tun sie gar nicht, auch nach dem zweiten missglückten Versuch nicht. Der Herr nach mir ist jetzt eine Frau (vielleicht hatte jener die Kasse gewechselt?), und die lächelt verständnisvoll. „Non si preoccupi!“, versichert sie mir mehrmals. Machen Sie sich keine Sorgen! Auch die Kassiererin nickt mitfühlend. Meine Nerven sind trotzdem am Ende. Ich wiederhole, dass das doch nicht wahr sein könne, nach all der Zeit und überhaupt. Ich versuche es ein drittes Mal. Wieder falsch, ich komme einfach nicht drauf. Dabei bin ich dem Irrglauben aufgesessen, dass ich ohne die Kundenkarte alle Preisnachlässe verlieren würde. Die Rechnung mit einem anderen Zahlungsmittel zu begleichen würde bedeuten, dass mich der Einkauf das Doppelte kostet. „Was soll ich denn nun machen?“, stöhne ich und raufe mir die Haare. Es gibt keine akzeptable Lösung. Pin weg, Einkauf im A… Irgendetwas muss ich anbieten. „Mit der EC-Karte könnte ich zahlen, aber was passiert dann mit den Angeboten?“, frage ich verzweifelt. „Nichts, bezahlen Sie, wie Sie wollen“, erwidert die Kassiererin gelassen. „Und der Betrag, bleibt er der gleiche?“ „Na sicher doch!“ Ach so, ja dann. Ich lächle verschämt und erleichtert, hole die EC-Karte raus, die Kassiererin setzt das Kartenzahlungsgerät zurück, ich lege die Karte auf. Jetzt nur noch der Pin …

Nein, nein, keine Sorge. Zum Glück kam der EC-Karten-Pin wie aus der Pistole geschossen. Und wisst ihr was? Endlich entspannt und innerlich feixend beim Gedanken an das Theater, das ich da aufgespielt hatte, komme ich zum Auto, sperre den Kofferraum auf und voilà, auch der Kundenkarten-Pin ist wieder da. Natürlich, er war ja nie weg gewesen. Ich habe ihn im Kopf. Auf der Rückfahrt spreche ich ihn immer wieder vor mich hin und nehme mir vor, ihn diesmal an einer Stelle zu notieren, auf die ich an der Kasse sofort zugreifen kann.

Das habe ich getan. Die Frage bleibt nur, wo das verdammt nochmal gewesen ist.

Titelfoto: Symbolbild von Pexels.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

28 Kommentare zu „Schweißtreibende Angebote

  1. Du Arme! Na, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht mehr zu sorgen, liebe Anke. Zum Glück ist alles gut gegangen und die Rabatte konnten abgezogen werden. Ein bisschen mitgeschwitzt habe ich dennoch – trotz kühlem Getränk. 😄

    Ich habe die Pins zum Teil im Telefonbuch des Handys unter den Namen meiner Liebsten abgespeichert – versteckt als fiktive Handynummer. 😄 Vermutlich ist das auch ein Tipp à la “Bitte nicht nachmachen!”.
    Möge dir der Pin nie wieder entfallen und liebe Grüße, Eva

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    1. Danke, liebe Eva. Erinnerst du dich an mein altes Nokia? Da hatte ich einen guten Ort für Pins. Ich versteckte sie in „Notes“, als Bestandteile von Rezepten, also Grammangaben u.ä. Aber dann hat das Teil seinen Geist aufgegeben, und ich auch. 😅
      Hab ein entspanntes Wochenende ohne Einkaufsstress!

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      1. Das ist genial! In Rezepte verpackt -schlauer geht‘s nich, liebe Anke. 🤩
        Schade, dass es den Geist aufgegeben hat, sonst wäre dir das nicht passiert. Aber dann hätten wir auch bei keiner spannenden Geschichte mitfiebern können! 😃Danke dir und liebe Grüße, Eva

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  2. Eijeijei, in der Situation hätte ich ungern mit dir tauschen wollen))) Wie gut, dass schlussendlich doch noch alles geklappt hat. Und Kaugummi kauen kannst du jetzt auch. Pass nur auf, dass du keine Blasen schlägst. 😀 LG Bea

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    1. Nein, zuckersüße Blasenkaugummis sind das nicht. Ich kaufe natürlich nur die gesunden, zahnpflegenden. Angebote hin oder her.
      Danke, liebe Bea und herzliche Grüße an dich!

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    1. Eine Payback-Karte fehlt mir hier noch. 😂 Auf die Punkte, die es ja bei meinem Supermarkt auch gibt, achte ich gar nicht, müssen immer aufpassen, wenn sie verfallen. Dann kann man sie auch beim Einkaufen abziehen, wenn der Katalog nichts bietet, das man gerne hätte.
      Auch sonnige, leider verschwitzte Grüße aus dem schwülheiβen Norditalien!

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  3. Ich kenne so etwas, Anke – plötzlich ist die PIN aus dem Kopf verschwunden, wo ich sie fest und sicher verwahrt glaubte – das passiert mir hin und wieder in Stresssituationen. Ich kann mir gut vorstellen wie du ins Schwitzen gekommen bist. Liebe Grüße aus Berlin, wo ich heute bei angenehmen 24 Grad nicht ins schwitzen kam.

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    1. Nicht wahr, es ist zum Mäusemelken. Ich hoffe, die angenehmen Temperaturen halten bei euch weiter an! Liebe Grüße aus dem heißen Süden!

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  4. Was bin ich froh, dass ich keine Coupons sammle, kein scanbares Handy habe und fast immer mit Bargeld bezahle. Das geht ruckzuck, und die paar Euro, die ich mir theoretisch übers Jahr sparen könnte – ich kaufe ja nur für einen – würde ich sowieso nur für etwas Ungesundes ausgeben.

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    1. So einfach war das mal, und du machst einfach so weiter. Klasse!
      Bargeld halte ich immer fest beisammen und nutze es nur in Notsituationen. Seit die Bankfilialen „auf dem Land“ aussterben, und man bis sonst wo muss, um gebührenfrei bei einem Automaten der eigenen Bank abzuheben, sind Bezahlkarten ein Segen. Vom Pin mal abgesehen.

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  5. Liebe Anke, ich musste schmunzeln bei Deiner Schilderung, und kam tatsächlich für Dich ein wenig ins Schwitzen! Es geht uns allen ähnlich, unter Druck blockiert das Gehirn… Eigentlich mag ich diese Marketing-Strategien überhaupt nicht, und doch, dort, wo ich am häufigsten einkaufe, sammle ich ebenfalls Punkte – und komme mir blöd vor, wenn ich die Coupons nicht gleich finde, und erst recht, wenn sie gar nicht gültig sind. Dann denke ich: Schon wieder reingefallen! Es ist halt menschlich, nicht? Liebe Grüsse, Elisa

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    1. Du sagst es, Elisa! Ich bedaure manchmal auch die Kassierer*innen, wieviel sie ständig erklären müssen, wenn die Leute dastehen mit Coupons, Handy-Codes und allem. Und dann kommt noch eine wie ich, die am Ende ihren Pin nicht weiß. 🙈
      Liebe Grüße an dich!

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    1. Naja, den hat meine nur, weil sie gleichzeitig eine Kreditkarte ist, also zum Bezahlen verwendet werden kann. Zum Glück ist dieser Pin seit zehn, zwanzig Jahren derselbe. Eigentlich habe ich ihn parat.

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  6. 😅 Ich stand einmal am Sparkassenautomaten und mir fiel die Pin nicht ein. Viele Jahrzehnte kannte ich sie auswendig und ich kam nicht drauf. Ich musste nach Hause radeln und nachsehen. Das machte mir große Sorgen. War aber zum Glück ein einmaliger Vorfall und seitdem denke ich die Zahlenfolge ab und zu kurz durch, auch wenn ich sie gar nicht brauche.

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    1. Ja, liebe Regine, das ist so dämlich. Man steht da und … wenn du Zeit hattest, nach Hause zu radeln, dann ist ja gut. Mein Einkauf wäre, zumindest teilweise, weggeschmolzen. 😅

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      1. Ja gut, ich war nicht unter Druck. Aber dafür so erschrocken, dass man es mir noch Stunden später beim QiGong noch anmerkte. Es brauchte eine Weile, bis ich den Gedanken an eine beginnende Demenz loslassen und mich ganz den Übungen widmen konnte.😅

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      2. Nein, ich meine, das passiert auch jungen Menschen mal und hat mit Demenz zum Glück nichts zu tun! 🤞 Man ist eben mal woanders mit den Gedanken. 🙂

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  7. Das hört sich ja nach mächtig viel Arbeit und Stress an! Für uns bestimmt witziger als für dich in der Situation, das kann ich mir denken. Man wünscht sich in solchen Lagen doch meist eher ein großes Loch, das sich im Boden auftut und einen verschluckt…

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