Feierlichkeiten

Ecco la sua torta! (Hier ist Ihre Torte!) Ah, va bene, stammele ich kurz angebunden. In meinem Kopf dreht das mütterliche Sorgenkarussell Extrarunden. So klein? Die wird niemals reichen! Wir riskieren eine Brutta Figura. Unsere Tochter, ohnehin aufgeregt vor ihrer Geburtstagsparty, wird enttäuscht sein. Aber es ist zu spät, die Torte ist gebacken. Ich bezahle und trage den Karton, in dem sie mir noch kleiner vorkommt, direkt an den Ort der Feierlichkeit. Zuhause grübele ich weiter und spiele die längst verpasste Gelegenheit noch einmal durch. Ich hätte eine Stunde vor Ladenschluss fragen können, ob sie nicht auf die Schnelle noch eine Teigschicht unterschieben können. Ich hätte mich auf das Foto berufen sollen, das ich ihnen geschickt hatte. Die Torte kam der Wunschvorstellung optisch sehr nahe, war aber nur halb so hoch. Sie wären mir vermutlich damit gekommen, dass ich doch die Gästezahl definiert hätte und alles richtig kalkuliert sei. Okay, okay. Aber ich war davon ausgegangen, dass Geschäftsleute eher großzügig rechnen, schließlich soll die Kasse klingeln. So war es uns in einem anderen Tortenfall passiert, noch einmal wollte ich mich nicht über den Tisch ziehen lassen. Ich hatte die Rechnung ohne den Bäcker gemacht. Diesmal war ich an einen ehrlichen geraten. Wie hätte ich mich beschweren sollen, vielleicht so: „Spinnen Sie? Ich war davon ausgegangen, dass Sie die Torte gröβer backen, um mehr zu verdienen, und Sie halten sich genau an die Bestellung? Was fällt Ihnen ein?“

Um mich abzulenken von dem, was nicht mehr zu ändern ist, gehe ich in den Keller und suche in alten Unterlagen nach einem Dokument. Wie so oft, sucht man nach dem einen und findet etwas anderes. Mir fällt ein unscheinbares Einsteck-Fotoalbum in die Hände. Darin Schwarz-Weiß-Abzüge, manche davon durch die jahrelange Feuchtigkeit schon leicht vergilbt. Gleich obenauf das Foto einer Geburtstagsfeier. Auf einem Wohnzimmertisch steht eine selbstgebackene Torte mit einer Kerze darauf. Ich glaube, es war ein fünfter Geburtstag. Der Nachbarsjunge, mein Kindergartenkamerad und erste kleine Liebe, hatte mich und einen Freund eingeladen, vielleicht noch ein viertes Kind, auf dem Foto sind nur wir drei zu sehen. Wir luden damals immer nur die besten Freunde ein. Zu uns nach Hause. In der Grundschule unserer Töchter in Italien gab es die Anweisung, Geburtstagseinladungen, die nicht für die ganze Klasse waren, draußen vor der Schule zu verteilen. Damit es nicht auffiel und sich kein Kind ausgeschlossen fühle. Im Schnitt hatte eine Klasse dreiundzwanzig Schüler. Tatsächlich gaben nicht wenige Eltern große Partys in gemieteten Räumen mit Animation, Buffet und allem Pipapo. Ich schaue mir unsere kleine Runde und insbesondere den niedlichen Jungen von damals an, lächle und blättere weiter. Ein paar Bilder von der Klassenfahrt mit sechzehn, der erste Freund, und dann: mein 18. Geburtstag. Die Party im Freundeskreis. Wir waren drei Pärchen und feierten unsere Geburtstage im Kinderzimmer. Wir aßen etwas und tranken etwas mehr, quatschten, spielten Karten oder Gesellschaftsspiele, alberten herum. Die Fotos, Schnappschüsse meist, erzählen davon. Ich feierte meinen Achtzehnten bei der Freundin, die eine Straße weiter wohnte und deren Zimmer größer war als meins. Sie war damals neunzehn und heiratete ihren Verlobten noch im selben Jahr. So war das bei uns im Osten, kurz nach dem Mauerfall. Man feierte im Kleinen und machte im Großen schnell Ernst.

Heute lebe ich in Italien. Man feiert groß und bleibt gerne unverbindlich. Dreißig Eingeladene sind bei einem 18. Geburtstag das Mindeste, mit Ausstattung und Kleiderordnung wird gezeigt, was man auf sich hält. Unsere Tochter wollte keine große Show, aber als es dann so weit war, machte sie sich doch Sorgen und ich mir mit ihr. Ob alles so werden würde, wie sie es sich vorgestellt hatte? Nette Gespräche, Snacks und Drinks, ihre eigene Playlist zum Tanzen.

Am Morgen danach ist unsere Tochter müde, aber glücklich. Sie hatte knapp zwanzig Gäste (zu viele fürs Kinderzimmer) und mit ihnen einen netten Abend, auch wenn die Zahlenballons silbern statt goldfarben waren und der Tisch nicht am idealen Platz gestanden hatte. Alle waren pünktlich gekommen und keiner musste nach einer Stunde schon wieder weg, weil noch eine andere Verabredung wichtiger war. Ich freue mich mit ihr und während ich sie umarme, denke ich daran, dass sie jetzt volljährig ist und ‒ theoretisch ‒ demnächst ausziehen oder gar heiraten könnte. Tief im Herzen hoffe ich, dass sie noch ein paar Jahre unsere kleine Große bleibt. Sie schickt uns ein Instagram-Video, das ich erst für eine Parodie halte: Ein Supermodel im glitzernden Abendkleid, mit Krönchen im frisch geföhnten, wallenden Haar, betritt auf High Heels und Hüfte schwingend das Lokal, wo die jugendlichen Gäste warten und fotografieren, wie sie ein Eröffnungsband durchschneidet. Beifall und Blitzlichtgewitter. Das Supermodell ist gar keins, sondern nur die, die ihren 18. Geburtstag feiert. Sie sieht aus wie Mitte, Ende zwanzig. „So ein Entree hätte ich auch gerne gehabt“ schreibt unsere Tochter dazu, und ich bin froh, dass ich weiß, sie meint es ironisch.

Die Torte war übrigens wunderschön und traf ganz ihren Geschmack. Für alle gereicht hat sie auch. Dem Bäcker schrieb ich ein Dankeschön und schickte ihm ein Foto seines Backwerks mit unseren Kerzen darauf. Ich komme bei einem künftigen Torten-Anlass gerne auf ihn zurück. Es muss ja nicht gleich eine Hochzeit sein.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

13 Kommentare zu „Feierlichkeiten

    1. Es gab noch ein anderes Argument, aber das ist rein technisch: Ein zweites Foto im Text erscheint neben dem Titelbild in der Reader-Anzeige, das finde ich nicht so schön.🤷‍♀️

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