Wunder zu Zeiten von Instagram

Was habt ihr als erstes vor Augen, wenn ihr an einen Urlaub in Italien denkt? Pizza, Pasta, Gelato. Den Schiefen Turm von Pisa. Das Römische Kolosseum. Berühmte Statuen, elegante Mode und Kunstschätze in Museen, vor denen die Touristen Schlange stehen. Vielleicht auch noch eine Vespa und die Sonnenblumenfelder der Toskana. Oder den Comer See. All das sind Bilder, die Menschen weltweit im Kopf haben, wenn sie an eine Reise ins Land des Dolce Vita denken. Muss man mit genau diesen Klischees dann auch noch Werbung machen?

Auf den ersten Blick gefiel mir die neue Kampagne des Italienischen Fremdenverkehrsamtes Enit, die ungewöhnlich originell daherkommt. Darin wird die weltberühmte Venus von Botticelli zur virtuellen Influencerin, modern aufgehübscht aber gut wiedererkennbar. Doch leider beraubt man sie auch ihres ureigenen Anmuts. Das standardisierte, wie mit gängigen Filtern auf aktuelle Schönheitsideale getrimmte Gesicht zeigt ein unverbindliches Insta-Lächeln anstelle des melancholischen Blicks im Gemälde aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Wenn man die Posen der modernen Venus mit eigenem Instagram-Kanal (@venereitalia23) vor den zauberhaften Kulissen Italiens sieht, liegt der Vergleich mit der berühmtesten Influencerin des Landes Chiara Ferragni nahe. (Vanityfair fand sogar ein Bild von ihr, das Vorlage für die Pizza essende Venus am Comer See zu sein scheint.) Beworben wird die schöne Welt der schönen Menschen, die sich in ihrem vermeintlich schönen Leben selbst in Szene setzen.

Auf den zweiten Blick wirft die Werbeidee und deren Umsetzung Fragen auf. Kann der Versuch, Italiens historisches Kulturerbe mit der digitalen Welt von heute zu verbinden, gelingen, ohne ins Banale abzurutschen? Und will man denn wirklich den Massentourismus befeuern, Gäste ausgerechnet zu den bereits überlaufenen Hotspots locken? Der Tourismus der Selfies und Likes boomt ohnehin, da hätte es diese kreative Anregung mit einer Werbekampagne gar nicht gebraucht. Und, was den Claim betrifft: Ich möchte bezweifeln, dass er überall im Sinne der Macher verstanden wird. „Open to Meraviglia“ (deutsch: „Offen für Wunder“), spielt mit Zweisprachigkeit und nimmt ‒ meinem Empfinden nach ‒ auch das italienische Phänomen auf die Schippe, Sprachdefizite im Englischen mit Charm und eingestreuten italienischen Worten auszugleichen. Doch man sollte sich fragen: Wie viele Nicht-Italiener, die mit Tourismuswerbung verführt werden sollen, können das wundervoll klingende Wort Meraviglia richtig aussprechen? Und spätestens an dieser Stelle geht der gutgemeinte kreative Schuss nach hinten los. Erinnert ihr euch auch noch an den misslungenen, weil missverstandenen Slogan „Come in and find out“ der Parfümeriekette Douglas vor einigen Jahren? Natürlich gefallen mir solche Wortspiele und zum Glück werde ich nie darüber entscheiden müssen, welcher Claim für eine große internationale Kampagne funktioniert. So kann ich weiter ungehemmt Betrachtungen anstellen und meiner Fantasie freien Lauf lassen. Ich denke beispielsweise an den Slogan, mit dem eine vergleichbare Kampagne für Deutschland werben könnte. Wie wäre es mit: „Welcome to Gemütlichkeit“? Bleibt die Frage, welche weltberühmte Figur in die Rolle des virtuellen Influencers schlüpfen dürfte.

PS: Bei unserem nächsten Besuch am „Lake Como“, wie der Comer See touristisch beworben wird, würde ich gern den Ort finden, der die Kulisse zum Pizza-Motiv mit Italiens „jüngster“ Influencerin bildet. Wetten, dass (bei schönem Wetter) schon eine Horde attraktiv gestylter Menschen mit Smartphone vor mir da sein wird?

Zum Anschauen und Anhören: Die Präsentation der Kampagne, sozusagen das Werbevideo zur Werbung, nimmt uns mit auf die Reise (in Italienisch). Die Website zur Kampagne ist ein idealer Ausgangspunkt, Italien touristisch zu entdecken (in Englisch).

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

23 Kommentare zu „Wunder zu Zeiten von Instagram

    1. Sarei curiosa di sapere come la campagna viene accolta dal target, dai turisti potenziali, all’estero in generale e nei singoli paesi.
      E sì, naturalmente anche la misura della coppa è stata adattata alle „dimensioni ideali“ di oggi.😉

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  1. Ach, wie schade, ich finde die Werbung kitschig, sie wird Italien nicht gerecht – wie Du sagst, es sind vor allem Klischees. Doch offensichtlich will man nicht unbedingt kunst- und kulturinteressierte Touristen anziehen, sondern die Massen, die vorgefasste Träume haben. Ob sie die Venus von Botticcelli noch kennen?
    Der Massentourismus treibt heutzutage seltsame Blüten. In Iseltwald, einem kleinen schweizerischen Ort am Brienzersee, beklagen sich die Einwohner*innen über unglaubliche Massen von südkoreanischen Touristen, die das Dorf förmlich überrennen, seit eine südkoreanische Filmcrew auf dem kleinen Schiffssteg eine kitschig-romantische Szene drehte. Die Besucherinnen sitzen beseligt auf ebendiesem Schiffssteg und schiessen Selfie um Selfie. Komisch, oder nicht? Lieben Gruss, Elisa

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    1. Danke für deine Gedanken zum Thema, liebe Elisa! Dein Schweizer Beispiel zeigt, wie fotogene Orte dank der Sozialen Medien gehypt werden. Gute Tourismuswerbung muss anders funktionieren, sollte Werte, Traditionen, Gastfreundschaft, weniger bekannte Kulturschätze und besondere Erholungsfaktoren eines Landes ansprechen, das es zu entdecken gilt. Liebe Grüße in die Schweiz!

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  2. Hach, da könnten wir doch glatt eine Werbespruchfindungskommission bilden? Zur deutschen „Gemütlichkeit“ den „armen Poeten“ von Spitzweg (Energiesparen und so, nicht wahr?) neu interpretieren, das hätte doch nach dem vergangenen Winter definitiv etwas😂.

    Ich muss auch gestehen, das Motiv der Kampagne sieht so sehr wie das Buchcover eines italienischen Regionalkrimis aus, dass ich auch erst nach deinem Hinweis die Venus erkannt habe. Wobei: auf den ersten Blick durchaus ansprechend und auf jeden Fall besser als eine mehr oder weniger nackige Dame auf der Motorhaube eines Lamborghini (man könnte aus Gleichberechtigungsgründen ja auch mal einen schicken Typen darauf herumfläzen lassen).

    Liebe Grüße südwärts
    Anja

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    1. Werbespruchfindungskommission, was für ein schönes deutsches Wort! Der arme Poet als der wahre neue deutsche Held. Interessant, das sollte man mal weiterdenken!😂
      Deine Wünsche bezüglich aktualisierter Motorhauben-Werbung lasse ich mal unkommentiert stehen. 😉
      Liebe Grüße zu dir in den Norden!

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  3. Bezüglich der Motorhauben-Werbung: Ich glaube fast, ich fände das Eine genauso überflüssig wie das Andere. Ich musste nur bei dem Gedanken etwas schmunzeln, weil ich mir so einen lasziv unter halb geschlossenen Augenlidern hervorlugenden Adonis in eindeutig zweideutiger Pose vorzustellen versuchte. Was im Übrigen grandios gescheitert ist, ich bin nicht gut in solchen Phantasien😂. Zum Glück vermutlich.

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  4. Liebe Anke, mir ging es ähnlich wie anderen Kommentatorinnen. Ich habe die Venus auch nicht auf den ersten Blick erkannt. Ich habe übrigens gelesen, dass die Kampagne insgesamt auf Kritik gestoßen ist, weil u.a. Bilder benutzt wurden, die aus Slowenien stammen. Das erscheint seltsam. Vielleicht ist die Agentur auch auf der Suche nach neuen Zugängen für junge Zielgruppen. Gelungen finde ich es auch nicht. Da ist auf jeden Fall noch Luft nach oben. Liebe Grüße aus Berlin. Roswitha

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    1. Liebe Roswitha, ja, es ging der Shitstorm durch Italien, und heute hat sich die Werbeagentur in einer ganzseitigen Anzeige im Corriere della Sera für die große Aufmerksamkeit bedankt. So nach dem Motto: besser Diskussionen auslösen, als unbeachtet bleiben. Die Kritik an Szenen auf einem slowenischen Weingut wird damit zurückgewiesen, dass es sich ja nicht um den eigentlichen Werbespot, sondern nur um die Präsentation der Kampagne handelt, wozu man bereits vorhandenes Material verwendet hätte. Nun ja, dieser Umstand ist leider typisch für die digitale Zeit, in der wir leben: Bilder und Videos sind schnell aufgearbeitetes Material von Datenbanken, vergleichbar und austauschbar. Schade. Schauen wir mal, wie die richtigen Spots dann ausschauen. Liebe Grüße nach Berlin!

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    1. Und man sollte vor allem auch dahinter schauen und diese Realität für das nehmen, was sie ist: inszeniert. Danke und liebe Grüße an dich, Marie!

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  5. Wenn ich Italien wäre, würde ich gar keine Tourismus-Werbung machen, sondern hoffen, dass San Marino eine richtig gute Werbekampagne hinbekommt.
    All die Leute, die dorthin fahren, müssen dann eh durch Italien.

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