Schön praktisch

Als ich im Sommer 2011 mit dem zweiten Kind hochschwanger war ‒ es fehlten nur noch wenige Tage bis zum Termin ‒ hatte ich genau zwei Oberteile, die mir noch passten. Eins davon war ein auffallend elegantes Shirt in A-Linie, das ich mir für eine Hochzeit gekauft hatte. Ich trug es an einem Sonntagnachmittag beim Spaziergang auf der Piazza, wo ich meine damals vierjährige Tochter herumtollen ließ. Weil auch untenrum die Auswahl der Kleidungsstücke begrenzt war und eine ausgebeulte Jogginghose zu diesem Oberteil nicht in Frage kam, hatte ich es mit einem langen, im Bund dehnbaren Rock kombiniert und trug dazu Absatzschuhe. „Wow, diese Italienerinnen aber auch. Achten noch mit einem Riesenbauch auf den Stil!“, dachte die, die ich kurz darauf kennenlernen sollte. Als meine Tochter diese Frau mit ihren Mädchen deutsch sprechen hörte, teilte sie mir das aufgeregt mit. Ich guckte auch ein bisschen, bevor ich mit einem „Hallo!“ aus der Deckung ging. Dass sie mich für eine Italienerin gehalten hatte, erzählte mir meine Freundin viele Jahre später.

Im August 2023 in Alassio fürchte ich, als Deutsche erkannt zu werden. Als praktisch veranlagt, gegen die Verführungen des vermeintlich Schönen aus der Werbung gefeit. Ich schlendere an den Auslagen der Boutiquen vorbei, überall glitzert und funkelt es von stylishen Sandalen und feinen Handtäschchen. Meine silberfarbenen Zehensandalen glitzern auch. Ein wenig. Und das nach sieben (!) Jahren. Tatsächlich. Ich bin selbst schockiert, als ich im Kopf zurückrechne. Die hatte ich mir einmal am Ende unserer Sommerferien im deutschen Schlussverkauf gekauft. (Kopfschütteln der Redaktion: Da lebt eine in Italien und kauft sich regelmäßig Schuhe in Deutschland.) In jenem Sommer trug ich sie gar nicht mehr, denn er war vorbei. In den darauffolgenden Jahren immer nur ein paar Tage im Urlaub. Für den Alltag oder gar das Büro waren sie nicht geeignet. Mein Handtäschchen ist ein Rucksack und glitzert nicht. Er war eine spontane Online-Bestellung vor drei Jahren, als mir kurz vor Urlaubsbeginn etwas Praktisches fehlte. Auf dem Foto hatte die Farbe nach einem eleganten Hellgrau ausgesehen. Neutral und schön. Die sollte zu allen meinen Outfits passen. Tatsächlich ist der Rucksack in einem grauen Schlammgrün gehalten. Mehr neutral als schön. Dafür ist der Kleine unendlich geräumig! Da passt einfach ALLES rein. Eine gute Anschaffung. Und doch: Ich wünschte, ich könnte bei meinen Schaufensterbummeln und an der Strandpromenade jeweils ein zu den Klamotten passendes Täschchen tragen, so wie es die Italienerinnen tun. Zumindest am Abend. Wenn es beim Fare un giro (eine Runde drehen) darum geht, zu sehen und gesehen zu werden. Drei, vier Täschchen braucht die Frau, passend zu den Schuhchen. Ich könnte es mir leisten. Leider bin ich zu bequem, vor allem im Alltag. Einmal wechselte ich zwischendurch für eine Woche die Tasche. Ein Fehler! Ich schwitzte Blut und Wasser, als ich nach der Arbeit ohne Dokumente zurück über die Grenze fuhr. Immer vergesse ich beim Umräumen irgendetwas aus einem der Innenfächer. Deshalb wechsle ich die Tasche in der Regel nur zweimal im Jahr. Ich habe eine helle für die Frühjahr/Sommer- und eine dunkle für die Herbst/Winter-Saison. Und für Reisen habe ich den kleinen Rucksack. Er hat etwa zehn Fächer: innen, außen, vorne, hinten, an den Seiten. Frau weiß schließlich nie, was ihr (oder ihrer Familie) unterwegs zustößt. Sie nimmt Sonnenschutz, Taschentücher, Dokumente, Einkaufsbeutel, Wasser, ein Päckchen Cracker, Kaugummi, Kopfschmerztabletten, Pflaster, Schmink- und Hygieneartikel, Feuchttücher, einen kleinen Kamm und eine Nagelfeile mit. Ein Buch, ein kleines Notizheft und einen Stift. Was Frau so braucht. Was ich so brauche. Italienerinnen offensichtlich nicht. In die kleinen edlen Täschchen passen ein Lippenstift und ein Tampon. Wenn überhaupt.

In Alassio beschließe ich dennoch: Auf die nächste Reise nehme ich meine kleine, elegante Markenhandtasche mit. So eine habe ich nämlich seit drei Jahren im Schrank liegen. Nur, dass mein Portemonnaie derselben Marke leider nicht hineinpasst. Ich werde das Täschchen am Ende nur zum Pranzo di Ferragosto (Mittagessen am Feiertag des 15. August) ausführen und die Rechnung meinen Mann bezahlen lassen. Meinem Rucksack geht an den Griffen derweil der Lack, oder treffender gesagt, das Kunstleder ab. Ich muss und möchte mich nach einem neuen umschauen. In aller Ruhe, bei Gelegenheit und garantiert nicht online. Praktisch wie der alte soll er sein, aber er darf auch ein bisschen glitzern!

Titelbild: Tristesse Deluxe: Mein Reiserucksack, Ton in Ton mit dem Stuhl im kargen Hotelzimmer.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

17 Kommentare zu „Schön praktisch

  1. Meine Umhängetasche habe ich bald neun Jahre. Ich könnte mir ruhig eine neue kaufen, weil die ursprüngliche Farbe nur mehr zu erahnen ist. Aber das Teil will nicht auseinanderfallen, also trage ich sie weiter.

    Für den Urlaub ist ein Rucksack praktischer. Da spüre ich das Gewicht nicht so. Den aktuellen habe ich von meinen Eltern geerbt, weil sie ihn nicht mehr verwenden. Den vorherigen hatte ich über zehn Jahre. Ich hätte ihn wahrscheinlich noch länger genutzt, wenn nicht aus Versehen etwas birra über den Rucksack geflossen wäre.

    Der abgebildete Rucksack gefällt mir gut.

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    1. Du bist also auch eine Gewohnheitstaschenträgerin. Da weiß man immer, wie man sie einsortiert hat. 😀
      Ja, es wird schwer einen Ersatz zu finden, es gibt sicher schickere, aber da geht nicht so viel rein. 🤷‍♀️

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  2. Ich habe auch nur sehr wenige Handtaschen (fünf oder sechs würde ich sagen, in unterschiedlichen Größen, also sind das offiziell vielleicht gar nicht alles Handtaschen). Davon nutze ich eigentlich nur eine, die mir vor Jahren meine Schwiegereltern geschenkt haben.

    Meine einzige Designertasche habe ich mir im Frühjahr im Outlet in der Lüneburger Heide gekauft. Bis heute habe ich es nicht geschafft, sie mit Imprägnierspray zu behandeln. Bei anderen Taschen käme ich gar nicht erst auf die Idee, das zu tun. Aber bei der Designertasche würde es mich ärgern, wenn ich mit ihr im unimprägnierten Zustand in den Regen käme.
    Damit will ich sagen: Dein kleiner Rucksack ist mir sehr sympathisch und er erleichtert das Leben scheinbar in vielerlei Hinsicht. 😉

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    1. Da sagst du was: Ich hätte beim letzten Sommertaschenkauf vor drei Jahren auch fast zu einem Designerteil gegriffen, wir waren im Outlet, mein Geburtstag stand bevor und der Mann war in Spendierlaune. Ich habe geliebäugelt, aber eine weiße oder cremefarbene, hoch empfindlich wirkende Nobeltasche war mir dann doch zu riskant. Wie schnell kommt mal Schmutz ran oder der Kugelschreiber oder was auch immer … da würde selbst Imprägnierspray nicht helfen, fürchte ich.

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  3. Wunderbarer Text! Danke für die ehrliche Aufzählung des Rucksack-Inhalts. Es tut einfach gut zu hören, dass es noch andere Frauen mit ziemlich vollen Rucksäcken gibt! Mich würde nur noch interessieren, ob du auch oft so lange suchst, bis du etwas findest. Fächer gibt es viele, aber diszipliniert jeweils die Dinge in die richtigen Fächer zu sortieren, das empfinde ich als Herausforderung, an der ich leider immer wieder scheitere. Und die Sache mit mit Portemonnaie, das einfach nicht in die schicke, kleine Tasche passen will – ist mir auch nicht fremd. Viele liebe Grüße aus Baratti, Roswitha

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    1. Liebe Roswitha, weißt du, ich habe mehr Probleme, die Dinge in einer sackartigen Tasche ohne viele Fächer zu finden, als in diesem mehrfach unterteilten Rucksack. Da habe ich schon System, wo was hinkommt, und das funktioniert wunderbar.
      Danke und habt noch einen schönen Urlaub in Bella Italia!

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      1. Mein nächster Rucksack wird einer mit vielen Fächern. So viel ist sicher. Ich habe bereits Erfolg mit einem System aus verschiedenen kleinen Taschen in meinem Koffer. Das lässt hoffen. Herzliche Grüße aus Montaione – mit Sonne und Wind und meistens ohne Internet. Roswitha

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  4. Ich liebäugele ja auch immer mal mit den schönen Teilen, kann mich dann aber nur selten durchringen. Ich habe nicht so gern Dinge herumliegen, die nur einmal im Jahr zum Einsatz kommen. Meist ist mir praktisch wichtiger als schön.

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    1. Stimmt, nur für einen einmaligen Einsatz sollten die Dinge nicht taugen. Da fällt mir ein, ich hatte mal Taschen gesehen, zu denen es die äußere Hülle in verschiedenen Farben gab und das Innere, die eigentliche Tasche, bleibt dieselbe. Da erspart man sich das Umräumen. Muss mal danach suchen …

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  5. Auf die Frage, ob ich sein Portemonnaie mit in meine Tasche nehmen kann, antworte ich meinem Mann meistens mit nein. „Was hast du da nur alles drin?“, fragt er dann. „Dinge, die du und ich unterwegs dringend benötigen“, meine Antwort. Was die Anzahl von Wechselmodellen betrifft, bin ich auch eher bescheiden 😉

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    1. Das nervt, das kenne ich auch: Wenn die Herr- und Frauschaften der Familie meinen, in Mutters Tasche würden auch ihre Siebensachen noch mit reinpassen. Kein Wunder, dass wir von Schulterschmerzen geplagt sind.

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  6. Oh ja, bissel Glitzer 😊.
    Ist bei mir dann aber doch praktischer. Ich hab mir so einen Bauchladen zugelegt, in den nur Geld, Telefon, Schlüssel, Lippenstift und Fächer passen. Oder das Täschchen mit dem pinken Gurt (auch winzig). Wird es mehr, muss der Rucksack ran – wegen Aua. Oder der Ingenieur muss meine Sachen mit einpacken. Hab seinen Kram auch lange genug herumgetragen.
    Und weil die Tasche zu den Schuhen passen muss, sind es da auch eher die sportlicheren Modelle. Verflixt noch eins, hochhackig muss ich erst wieder üben.
    Lieben Gruß
    Ilka

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    1. Wir Frauen haben es schwer, was da alles aufeinander abgestimmt werden muss. 😉
      Dass der Ingenieur dir was abnimmt, finde ich sehr lobenswert. Du weißt hoffentlich, was du an ihm hast. Bettina schrieb hier vom Gatten, der immer noch sein Portemonnaie in ihrer Tasche unterbringen will. So geht es mir auch, und ich fürchte, vielen von uns. Herzliche Grüße an dich, liebe Ilka!

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