Schönheits-Tricks

„Entschuldige, darf ich dich etwas fragen?“ Eine Frau in meinem Alter spricht mich an, während ich im Supermarkt vor der Auslage einer bekannten Make-up-Marke Wimperntusche für meine Tochter suche. Sie hält ein Fläschchen mit Foundation in der Hand und bittet mich – ausgerechnet mich – um Rat. „Meinst du, die ist zu dunkel für meine Haut?“ Ich möchte ihr sagen, dass ich mich nicht auskenne und hier nur für meine Tochter vor diesem Regal stehe, will aber auch nicht unhöflich sein. Es kommt selten vor, dass im Supermarkt jemand um Hilfe bittet. Ich helfe immer gern und fühle mich hinterher gut. Meist geht es darum, Inhaltsstoffe oder das Verfallsdatum zu entziffern, ein bestimmtes Produkt zu finden, oder, weil ich gröβer bin, eine Packung aus dem oberen Regal herunterzureichen. Alles easy peasy. Aber ein Ratschlag, was Make-up betrifft? Da bin ich die Falsche.

Ich meine, unsere Tochter hat mit ihren knapp 18 Jahren schon mehr Tübchen und Stifte, Pinsel und Puderdöschen gekauft, geschenkt bekommen und benutzt, als ich in meinem ganzen Leben. Das glaubt ihr nicht? Nun, ich verbrauche pro Kalenderjahr anderthalb Mascara und einen Kajalstift. Loser Puder und Abdeckstift halten sogar länger. Das wars. Lippenstift kaufe ich nicht mehr, denn der wird ranzig, bevor ich ihn dreimal benutze. Im Alltag tut es eine Lippenpomade. Wozu all diese neumodischen Erfindungen wie Primer, Booster, Plumper, Highlighter und Contourer dienen sollen, ist mir herzlich egal. Der Italiener würde sagen, ich sei eine „Ragazza aqua e sapone“. Ein Mädchen (ähem, Frau) vom Typ Wasser und Seife. Ob das mit meiner Herkunft zu tun hat? Eins ist klar: Die Influencerinnen mit ihren Beauty-Tutorials und Make-up-Hacks kamen für mich zu spät. Meine Routine war da längst erprobt und für gut befunden. Manchmal wird mir Angst, wenn ich sehe, wie viele Schönheitsmittelchen meine Tochter in ihrem zarten Alter benutzt. Und ich weiß, sie hat das gar nicht nötig. Ich denke, es ist einfach unheimlich schwer, angesichts der immensen Flut von Produkten und Ratschlägen auf allen Kanälen der Versuchung zu widerstehen, sie auszuprobieren.

Meine eigenen ersten Erfahrungen mit Farbe fürs Gesicht machte ich als Mädchen in der DDR der 80er-Jahre. Als Tänzerin kam ich bereits in zartem Alter mit Schminkutensilien in Kontakt. Man verpasste uns Kindern vor dem Auftritt etwas künstliche Bräune (Foundation, damals Make-up genannt) und rote Farbe für die Lippen. Manchmal wurden obendrein die Augen schwarz umrahmt. Da war es später kein großer Schritt, die Bühnenschminke auch im Alltag zu benutzen. Ich erinnere mich an eine Klassenfahrt mit dreizehn. Wir Mädchen hatten Make-up-Produkte mitgebracht und zwischen Doppelstockbetten ging es vor kleinen Klappspiegeln zur Sache. Ich zeichnete mit schwarzem Kajal die Augen nach, wie ich es von den Auftritten gewohnt war. Als wir an einem Nachmittag eine Stadtbesichtigung machten, hatte ich die Erlaubnis, meine Schwester zu besuchen. Sie, damals Mitte zwanzig und junge Mutter, öffnete mir die Tür und reagierte schockiert. „Wie siehst du denn aus?“ Sie fand es gar nicht altersgerecht, dass ich mit schwarz umrandeten Augen umherlief. Dabei waren wir keine Grufties. Wir dachten, wir sähen gut damit aus. Sie gab mir zu verstehen, dass ich mich da irrte. Ob sie Gehör bei mir fand? Ich glaube nicht. Wie an meine erste Liebe erinnere ich mich an meinen ersten Kajalstift. Den hatte ich bei einer Tanzensemble-Reise in Polen von meinem Taschengeld gekauft und war sehr stolz darauf. Er hielt eine Ewigkeit. Ich benutzte ihn, bis eines Tages der schwarze Stift kürzer war als die rote Plastikkappe, aus der ich ihn nicht mehr herausbekam.

Irgendwann gelangte auch der Lipgloss-Hype vom Westen aus in den glanzlosen Osten. Solche Luxusartikel gab es zunächst nur bei Schnupper-Daggi*, sie waren für viele Teenager unerreichbar. Aber Not macht bekannterweise erfinderisch. Ein Mädchen, deren Eltern sich keine Extravaganzen für sie leisten konnten oder wollten, tanzte eines Tages freudestrahlend mit glänzendem Mund an. Dass es um sie herum etwas eigentümlich roch, trauten wir uns nicht zu sagen. Bis sie selbst mit ihrem Geheimnis herausrückte: Sie trug Schweineschmalz auf den Lippen.     

Heute, wo es alles gibt und für jeden Geldbeutel das passende Angebot lockt, kaufe ich brav die Mascara, die meine Tochter für unverzichtbar hält. Sie schickt mir per WhatsApp ein Foto, damit ich auch die richtige erwische. Ich kann mir einen Kommentar als Antwort nicht verkneifen, als ich sehe, dass es eine der teuersten im Supermarktsortiment ist. 15 Euro und 49 Cent. Ich meine, ich besorge mindestens drei- oder viermal im Jahr eine Wimperntusche für sie, und darüber hinaus kauft sie sich selbst auch noch welche. Aber ich zucke nicht mit der Wimper – halb so schön geformt und gefärbt wie die ihren – und zahle. Ich darf nicht meine Maßstäbe aus dem vergangenen Jahrhundert anlegen. „Also bitte, Mama. Hör auf und komm mir nicht mit damals. Du hast hinter der Mauer gelebt, ihr hattet andere Sorgen.“ Eben. Zum Glück nicht die, rund um die Uhr Instagram-fähig geschminkt sein zu müssen.

Auf das Gespräch mit der anderen Kundin lasse ich mich gerne ein. Ich rate ihr, die Foundation statt auf dem Handrücken innen auf dem Handgelenk auszuprobieren, wo die Haut heller ist. Das hatte ich irgendwann irgendwo gelesen. Ich selbst habe Foundation nach meinen Bühnenjahren nie mehr benutzt und freue mich umso mehr, dass ich trotzdem helfen kann. Ich bin mir sicher: Die netten Worte, die wir zwei Unbekannten miteinander wechseln, machen unseren Tag (und somit uns) ein wenig schöner. Ganz ohne teure Hilfsmittel.

*Die Chefin vom Exquisit-Geschäft, in dem es französisches Parfüm und hochwertige Körperpflege gab, hieß Dagmar. „Ich war heute bei Schnupper-Daggi“, erzählten die Frauen. 

Titelfoto: Symbolbild von Pexels.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

22 Kommentare zu „Schönheits-Tricks

  1. Na dafür, dass du mit Schminke nicht viel am Hut hast, kennst du dich aber überraschend gut mit den Bezeichnungen aus. Für mich war Foundation bis vor kurzem noch Make-up und Blush war Rouge 😀
    Tipp: Wimperntusche ist jetzt Mascara! 🙂
    Liebe Grüße Bea

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    1. Liebe Bea! Ich war mal Texterin für Kosmetikprodukte … das ist aber auch schon wieder eine Weile her. Jetzt studiere ich ungläubig die Etiketten der vielen Wundermittel, die meine Tochter im Badezimmer zur Schau stellt.😀

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  2. Liebe Anke, ich finde Schminke schön. auch mit meinen 80 Jahren noch. Aber sie sollte unsere Schönheit diskret betonen und uns nicht „affig“ aussehen lassen. Ich denke, dass junge Mädchen dank Influencerinnen heutzutage rascher ins Schminkalter kommen und das für sie richtige Mass erst noch finden müssen. Es ist schade, wenn sie sich theatermässig zupappen, anstatt ihre natürliche Schönheit zu unterstreichen. Doch denke ich, sie lernen das mit der Zeit, meist rascher als man denkt! Wenn sie erst mal selbst Mütter sind… Liebe Grüsse, Elisa

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    1. Zupappen ist ein treffendes Wort, liebe Elisa. Ich fürchte auch um die Haut, die zwangsläufig Schaden nehmen muss. Man kann nur hoffen, dass die Mädchen schnell ein gesundes Maß finden. Sicher wird auch helfen, wenn sie sich in den „Richtigen“ verlieben. Ich glaube nicht, dass Jungs in einer festen Partnerschaft die Maskerade schätzen. Liebe Grüße an dich!

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  3. Liebe Anke,
    recht hast du und sprichst mir damit aus dem Herzen. Die meisten sehen doch eh natürlich besser aus als überschminkt, oder?
    Privat bin ich auch Typ „acqua e sapone“: Der schwarze Lidschatten wird mit einem hauchdünnen Pinsel als Kajal benutzt und ansonsten werden meine Augenbrauen damit ausgebessert. Er hält Jahre. Wimperntusche trage ich als Kontaktlinsenträgerin privat gar nicht. Puder gab ich auf. Eine dünne Schicht Melkfett (hält 4 Jahre) für die Lippen. Den Tipp gab mit eine Flugbegleiterkollegin vor 10 Jahren gegen rissige, trockene Lippen. Das war‘s. 😄
    Beruflich sieht es natürlich anders aus. Ich habe sogar ein Theater-Make-Up-Settingspray (man kann es sich wie Haarspray fürs Gesicht vorstellen) und bin jedesmal froh, wenn das ganze Zeug am Abend heruntergespült wird. 😉
    Übrigens, zu deiner Supermarkt-Begegnung: Die großen Linien haben mittlerweile Apps, die ganz genau den Farbton der Haut bestimmen. Das ist irre!
    Liebe Grüße und einen schönen Wochenendspurt, Eva

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    1. Danke, liebe Eva. Leider kenne ich das Make-up-Setting-Spray (habe gerade auf der Flasche nochmal die exakte Bezeichnung nachgelesen) auch. Und meine Tochter ist weder Theaterschauspielerin noch Flugbegleiterin. Ich frage mich manchmal, wo sie das ganze Geld herhat. Von uns? Aber was solls, besser als das Taschengeld für Zigaretten, Alkohol oder gar Drogen auszugeben. So tröstet man sich als Mutter.
      Na, an eine App habe ich in dem Moment nicht gedacht, damit hätte ich dieser Frau aber sicher nicht geholfen. Die war eher analog unterwegs, genau wie ich. 😉
      Dir auch ein schönes Wochenende!

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  4. Du hast wieder einmal 1:1 unseren Kosmetikalltag zwischen meiner Tochter und mir geschildert, liebe Anke. Allerdings hatte ich in den 80ern keine Bühnenauftritte, bei denen Schminke notwendig wurde. An meine Schulzeit kann ich mich diesbezüglich nicht erinnern. Ich war auch kein Discogänger. Geschminkt habe ich mich zum Beispiel zu Brigadefeiern mit meinem Arbeitskollektiv, um mal in DDR-Sprache zu sprechen 😉 und zu Feierlichkeiten, zu denen ich zum Fotografieren geschickt wurde. Es gab in Frankfurt den legendären Osterball und kurz vor der Wende einen Apothekerball, da wurde ordentlich „aufgetragen“. Ansonsten bringe ich mit und zahle, was meine Tochter mir Unbekanntes aufgibt mitzubringen. Das wird aber immer seltener, da sie selbst gerne probiert und aussucht. Liebe Grüße 🎨🖌

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    1. Sehr schön, deine Erinnerungen und vor allem die Wortwahl.😄 Erinnerst du dich noch an die Kosmetik- und Make-up-Linie, extra für „junge Leute“, die der VEB Soundso Mitte der 80er-Jahre auf den Markt gebracht hatte? ACTION hieß die Linie. Da war bestimmt auch Lipgloss dabei.
      Liebe Grüße nach Frankfurt an der Oder!

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      1. Ja, natürlich. Von Action gab es einiges. Das war die Jugendserie der Marke Florena. Das Deospray war in einer Flasche mit schwarzer Schrift auf kariertem Untergrund 😉

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  5. Ich besuchte ein Hamburger Mädchengymnasium und dort ging es genauso zu, wie Du es hier beschreibst. Wir kauften bevorzugt bei Karstadt das, was wir brauchten und uns leisten konnten.
    Schminken blieb auch später noch wichtig, sobald es ans Feiern ging. Ich benutzte Kajal, Wimperntusche, Eyeliner (ordentlich Lidstriche gelangen selten), Lidschatten in allen möglichen Farben, manchmal einen Lippenstift, Nagellack und natürlich einen Abdeckstift.
    Heute schlupfen meine Lider und Wimperntusche vertrage ich nicht mehr. Also genügt ein Kajalstift und weil meine Haut nicht mehr so schön einfarbig ist, benutze ich manchmal Gesichtspuder. Allerdings nur, wenn ich unter Leute gehe.
    Ich habe mir eben spaßeshalber einige Schminktipps im Internet angeschaut: Make-up ab 70: Mit diesen Tipps können ältere Damen bezaubernd und jünger aussehen! 😆 Zum Glück ähnelt mein Gesicht auch ohne Schminke noch den „Nachherbildern“. Ich mache also alles richtig, spare Zeit und Geld. Liebe Grüße! Regine
    PS: Eine Schwiegertochter schminkt sich fleißig, die andere gar nicht. Ausgleich!

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    1. Das ist doch ein gutes Gefühl, wie auf den Nachher-Bildern auszusehen, ganz ohne die Mühe und die Ausgaben, liebe Regine! Ich vermute ja, je mehr man cremt und schminkt, schon im jungen Alter, desto mehr braucht man auch später. Wer davon profitiert, ist klar. Also weiter nach dem Motto: Weniger ist mehr, sich wohlfühlen ist alles.
      Danke für deine Erinnerungen und liebe Grüße!

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      1. Gestern musste die Fachkraft beim „Scannen“ meiner Augen in der Augenarztpraxis meine Lider nach oben schieben und festhalten, um das ganze Auge zu erwischen. Ich schämte mich ein wenig und dachte kurz daran, mir die Lider „machen zu lassen“. 😅

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      2. Ob du es glaubst oder nicht, daran hatte ich auch schon manchmal gedacht. Habe auch Schlupflider. Aber dann schäme ich mich für diese Gedanken. 😉

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  6. Ich bin auch der „Wasser und Seife“-Typ und ich finde es toll, dass es das so als Begriff gibt. Bei mir ist es eher fehlende Übung und die Unlust mir abends irgendwas sehr haltbares mühsam aus dem Gesicht zu waschen. Dein Beitrag weckt Erinnerungen. Als ich ins Schminkalter kam, war gerade „Action“, diese DDR-Kosmetikserie, rausgekommen und ich hatten einen lila Lippenstift, der mir überhaupt nicht stand, aber ich hatte ihn! 🙂 Der wurde kreativ eingesetzt, mit einem Schwamm wurde der auch für die Augen oder als Rouge verwendet.

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  7. Liebe Anke, du hast ein sehr spannendes Thema angesprochen. Ich glaube, die meisten jungen Mädchen setzen sich mit der Schminkerei auseinander, schon immer und heute mehr und viele sicher zu sehr. Ich finde es auch blöd, wenn Mädels sich zu-tünchen, aber dezente Schminke mag ich persönlich. Manchmal schaue ich etwas neidisch auf junge Mädchen und Frauen, die sich geschmackvoll stylen, weil ich selbst in der Regel zu scheu bin, das zu tun. Als ich jung war, war ich in einer Szene zu Hause, in der es cool war, möglichst wenig gestylt zu sein, mit gebatikten Unterhemden, gebrauchtem Militärparka und zerrissenen Jeans herumzulaufen – natürlich waren die gerissen, weil ich sie schon sehr, sehr lange getragen hatte. Mich gestylt in den Mittelpunkt zu stellen, habe ich bis heute nicht geschafft, erfreue mich aber am Anblick meiner Töchter und anderer jüngerer Frauen. Es ist ein Balanceakt mit dem Schminken und Stylen. Ich freue mich auf jeden Fall, wenn junge Mädchen und Frauen selbstbewusst sind und sich schön fühlen – und wohl in ihrer Haut.

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    1. Liebe Roswitha! Klar, es liegt in der Natur von uns Frauen, da ein gewisses Interesse zu haben. Nur wird es heute so vollkommen übertrieben, in Italien empfinde ich es so. Auch in Kopenhagen, wo wir die Feiertage verbracht haben, waren die Mädchen und Frauen sehr geschminkt, und zwar mit Gesichtsbräune imitierenden Mitteln. Das fand unsere Große sehr interessant. Bei uns werden eher die Lippen und die Augen betont, auch im Winter. Wenn extrem junge Mädchen ihr Selbstbewusstsein aber (fast) nur aus dem perfekten Äußeren mit großem Make-up ziehen, halte ich das für sehr traurig und auch gefährlich. Der Trend dazu wird durch Instagram und Co. leider stark geschürt. Danke für deine Erfahrungen mit dem Thema, liebe Grüße nach Berlin!

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