Nostalgia

Oder: Zurück in die Zukunft?

Nostalgia, das ist, wenn man es richtig italienisch, nämlich „Nostaldschieja“ ausspricht, ein wohlklingendes Wort. Durch und durch positiv. Nostalgia ist etwas, dem man sich ungestraft hingeben kann. Ein Gefühl zum Träumen und Genießen. Es klingt nicht hart und kalt wie das deutsche Wort Nostalgie. Bei Worten, die auf „algie“ enden, fühle ich mich immer ins Krankenhaus versetzt. Ich fühle Schmerzen. Denn so ist es ja auch: Übertriebene Nostalgie tut nicht gut, macht womöglich sogar krank. Die Deutschen schwelgen gerade in Nostalgie, lese ich beim Spiegel. So träumt der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder nach den Wahlen von einer „Rückkehr zu einem alten Deutschland“. Autsch!

Wollen auch die Ostdeutschen ‒ und dabei meine ich hier nur die, die ihre Stimme alternativ setzten ‒ ihr altes Deutschland zurück? Aber welches? Das vor oder das nach 1933, oder die 60er-Jahre und den Mauerbau? Vielleicht aber auch die Sektlaune von 1989, als das Volk im Freudentaumel auf der Mauer tanzte. Damals, so formulierte der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, waren wir am „Ende der Geschichte“. Zum Ende des Kalten Krieges war seine These, „die Demokratie habe sich deshalb als Ordnungsmodell durchgesetzt, weil sie das menschliche Bedürfnis nach sozialer Anerkennung relativ gesehen besser befriedige als alle anderen Systeme. Mit dem Sieg dieses Modells ende der Kampf um Anerkennung und es entfalle das Antriebsmoment der Geschichte.“* Soso. Keine vierzig Jahre später sieht es ganz und gar nicht danach aus. Nun bin ich auch nicht der Meinung, dass die Geschichte irgendwann zu Ende sein sollte. Aber ich hoffe, das vielzitierte „Rad der Geschichte“ dreht sich nicht weiter zurück in Richtung eines unheilvollen Nationalismus. Vielleicht ist die Demokratie westlicher Prägung, in einem auf privaten Profit und immerwährendes Wirtschaftswachstum ausgerichteten Gesellschaftsmodell (wie vornehm ich hier vermeide, den Begriff Kapitalismus auszusprechen), doch nicht das Non-Plus-Ultra, befriedigt das „menschliche Bedürfnis nach sozialer Anerkennung“ eben nicht für alle. Ich wünsche und träume dabei nicht vergangenheitsbezogen, ich hoffe auf die Zukunft. Dass es da noch Modelle geben wird, mit denen die Menschen, oder „die einfachen Leute“ (Söder, ebenda), zufriedener sind. Egal, welcher Abstammung, wohlgemerkt.

Um Zukunft ging es in diesem Wahlkampf leider gar nicht. Wer da taugliche Konzepte hat, wurde mir nicht wirklich klar. Ich habe mich letztlich vom Gefühl (und dem Wahl-O-Mat) leiten lassen. Noch bin ich nicht der italienischen Masche verfallen, mich mit politischen Dingen schnell zu arrangieren und in den privaten Kokon zurückzuziehen. Ist es Zufall, dass beim Sanremo-Festival gerade ein Liebeslied mit dem Titel „Balorda Nostalgia“ (Dumme Nostalgie) gewonnen hat? Und das wird nicht von einem gealterten Popstar, sondern von einem jungen Mann mit dem Künstlernamen Olly und altmodischem (hippem?) Oberlippenbart interpretiert. Die Sehnsucht nach der guten alten Zeit treibt die Menschen wohl immer um, sei es in Herzensangelegenheiten, sei es im Leben allgemein. Es ist einfacher, von Vergangenem zu schwärmen oder auf Vergangenes zu schimpfen. Mit Zukunftsplänen tut man sich schwerer. Ich wünsche uns deshalb, wieder nach vorne zu schauen. Im gesellschaftlichen Kontext mit Ideen und Lösungen oder zumindest erst einmal der Suche danach. Auf der Basis gemeinsamer Kompromissbereitschaft, das heißt, ohne die da oben, die da unten, die linken Spinner, die bekloppten Grünen, die Ausländer, die im Osten, die im Westen oder wen auch immer auszuschließen. Zukunft geht nur gemeinsam. Hoffentlich wird das in den kommenden Jahren auch möglichst vielen von denen klar, die auf vermeintliche Alternativen gesetzt haben.

PS: Vor nicht allzu langer Zeit las ich ein Buch mit dem schönen Titel „Nostalgia“.** Darin geht es zwar um die Vergangenheit, nämlich die Kindheit des Schriftstellers André Kubiczek in der DDR und das Schicksal seiner laotischen Mutter, aber der Roman wiegt sich nicht in verklärten Erinnerungen. Er bietet eine sehr persönliche Sicht auf das, was seine Kindheit so glücklich und so schmerzhaft machte, lotet die Untiefen des Lebens auf der damals „richtigen“ Seite aus, wenn man anders war. Kubiczek schreibt gewohnt lässig, humorvoll und berührend zugleich. Eine Leseempfehlung!

*Quelle: Wikipedia. **Werbung, unbeauftragt und unbezahlt.

Titelfoto: Symbolbild von Pexels.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

20 Kommentare zu „Nostalgia

  1. Zu polarisieren und zu trennen geht eben wesentlich einfacher als kompromissbereit aufeinander zuzugehen und zuzuhören. Aber sogar österreichische Politiker haben es nach vielen Monaten endlich geschafft sich auf ein (hoffentlich) gemeinsames Programm zu einigen und eine Regierung zu bilden. Zukunft geht wirklich nur gemeinsam und die Hoffnung stirbt zuletzt!😉

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  2. Ich denke, man spricht ja gern mal von „den guten alten Zeiten“ und da hat jeder bestimmt andere im Kopf, aber es waren einzelne Momente in diesen „Zeiten“ und die lassen sich auch „heute“ und „morgen“ erleben. Mir fällt kein Jahrzehnt ein, ich dass ich dauerhaft zurückreisen wollte

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    1. Das stimmt natürlich. Man muss nur gucken, welche der Aspekte, so schön sie waren, noch kompatibel mit den neuen Gegebenheiten sind. Alles ändert sich, was nicht heißt, dass es nicht gut sein oder werden kann.

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  3. Wenigstens war der Wahlkampf kurz und knackig und man hatte nicht das Gefühl, dass das Land lange Monate gelähmt sei wie sonst, wenn es sich über ein halbes Jahr oder länger zieht mit dem Wahlkämpfen.

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