Wie aus meinem Corona-Tuch eine Babydecke wurde
Manchmal tut man Dinge, die im Nachhinein wie weise Voraussicht scheinen. Anfang März, bevor in der Lombardei alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte schließen mussten und kurz vorm totalen Lockdown, kaufte ich noch einmal Wolle. Dabei war im März meine Stricksaison normalerweise zu Ende, warum sollte ich neues Material beschaffen? Aber ich hatte an jenem Tag wohl eine Eingebung, dass dieses Zuhause Bleiben länger dauern könnte, und machte mich sofort ans Werk. Meine Wolle war dünner als in der Anleitung für das Dreiecktuch angegeben, aber wozu gab es mathematische Verhältnisgleichungen? Ich musste nur die Maschenzahl anpassen.
So hatte es schließlich immer funktioniert.
Ohne eigene Termine und ohne Verpflichtungen als Mama-Taxi, hatte ich in den folgenden Wochen viel Zeit, manchmal bereits am Nachmittag. Mit den ersten Frühlingssonnenstrahlen saß ich ab drei Uhr auf dem Balkon und strickte. Ich sonnte mich in dem Gefühl, etwas Greifbares zu realisieren in dieser unproduktiven Auszeit, die mir von einem hinterlistigen Virus eingebrockt worden war. Es war ein Arbeiten gegen den Stillstand, und es war gleichzeitig ein Genießen der ungewohnten langen Weile.
Ich nannte meine Arbeit das „Corona-Tuch“ und redete mir ein, je schneller ich das Tuch fertigbekäme, umso schneller wäre der ganze Mist vorbei. Es hing alles von mir, meinem Fleiß und Können ab. Das Können betreffend, wurde ich nach einigen Tagen skeptisch. Am Ende des Monats musste ich eingestehen:
Das Ding wird schief.
Und jetzt, alles auftrennen? Bisher hatte ich während des Strickens immer noch kreative Alternativen gefunden. Aus einem zu eng begonnenen Vorderteil wurde der Ärmel des Pullovers, aus einem zu breit geratenen Schal ein Kinderpulli. Diesmal gab es keine Lösung. Ich hatte versagt. So ein schiefgestricktes Etwas, das ein rechtwinkliges Dreieck werden sollte. In mir nagte es: Und wenn ich, wenn mein vermasseltes Dreiecktuch nun schuld daran wäre, dass die Quarantäne andauerte? Kurzentschlossen trennte ich alles wieder auf. Das Ergebnis tagelanger Arbeit verschwand in wenigen Minuten unter meinen Händen. Doch diesmal tat es kaum weh.
Mein Gefühl für Zeit hatte sich geändert.
Im normalen Leben war jede einzelne unproduktive Stunde eine gefühlte Verschwendung gewesen. Jetzt, zuhause wegen Corona, war ich versöhnlicher gestimmt. Ich hätte noch alle Zeit der Welt, um ein gelungenes Strickwerk zu schaffen. Und wenn nicht jetzt, dann im nächsten Winter. Schnell fertig zu werden war nicht so wichtig.
Wichtig war, dass es gut wurde.
Es war nicht entscheidend, ob der Lockdown drei oder sieben Wochen dauerte. Wichtig war sein Ergebnis, wichtig war, dass er half. Dass es endlich weniger Tote gäbe, dass die Ansteckungsketten unterbrochen würden, dass man das Leben im Land wieder in den Griff bekäme.
Was mein Strickwerk betraf, hatte ich bei diesem Probelauf ein wunderschönes zweifarbiges Muster gelernt. Hahnentritt ‒ klingt blöd, sieht gut aus und war unkompliziert zu arbeiten. Ein breiter Schal, eine Art Stola war die Idee, mit der ich keine neuen Risiken einging. Gerade hoch konnte nicht schief gehen. Und siehe da: Am Ende der Arbeit war auch der Lockdown vorbei. Zwar war ich mit meiner Arbeit optisch zufrieden, als Stola war das Tuch jedoch zu dick, als Schal zu breit. Wann könnte ich das Teil jemals tragen? Ich würde es wohl zur Erinnerung aufbewahren. So dachte ich noch, als sich kurz darauf eine viel schönere Lösung ergab. Ich erfuhr, dass die Schwägerin meiner Nichte ein Kind erwartete.
Mein Corona-Tuch war eine Babydecke!
Und die italienische Handarbeit ging als Geschenk nach Deutschland.


Ich gebe zu, diese Geschichte klingt ein wenig kitschig, so nach „Tutto andrà bene“, alles wird gut. Aber das wird es ja auch meistens, wenn man weitermacht. Manchmal braucht es eben Zeit. Und aus einer Idee, die zunächst in eine Sackgasse führt, kann immer noch etwas Sinnvolles entstehen, wenn man dazu bereit ist, Änderungen vorzunehmen oder sogar neu anzufangen.
Deshalb: Immer schön flexibel bleiben! Nicht nur beim Stricken.
Habt ihr eine ähnliche Erfahrung gemacht, vielleicht sogar während der Corona-Quarantäne? Schreibt es hier in die Kommentare!
Ein Kommentar zu “Verstrickt ist nicht vermasselt”