No Stress, Baby!

Stau, schon einen halben Kilometer vor der Grenze. Das wird wohl wieder nichts mit pünktlich stechen. Gestern, heute, jeden Morgen das Gleiche. Dabei fahre ich gern ins Büro. Anderthalb Jahre und dann noch mal zwei Monate Homeoffice haben mir die Einsicht gebracht: So gut es sich am Anfang anfühlte, einen auf Freelancer zu machen, die Zeit selbst einzuteilen, zwischendurch mal schnell Wäsche aufzuhängen und sich dafür am Nachmittag nochmal an den Schreibtisch zu setzen. Am Ende war es nur noch zum Mäuse melken. Ich war genervt, frustriert, hart an der Grenze zur Depression. Da nutzte die schöne Aussicht aus dem Fenster auch nicht mehr viel. Jetzt, in physischer Gesellschaft der Kollegen, läuft es wieder rund. Wir sind ein Team, ich kann mitreden und diskutieren, gemeinsam Ideen schmieden, statt nur kryptisch formulierte Aufträge abzuarbeiten in der Hoffnung, dass sich bis zur Abgabe des Textes nicht schon wieder das Layout oder gar das Thema geändert hat. Ich arbeite wieder, wie es sich gehört, ich gebe und bekomme Feedback. Live und in Farbe. Da nehme ich auch gern die Autofahrt in Kauf. Theoretisch sind es nur zwanzig, fünfundzwanzig Minuten für eine Strecke. Die richtige Zeit, um auf dem Hinweg vom Familienkram abzuschalten und auf dem Rückweg die letzten Gedanken zum neuen Projekt zu Ende zu denken.

Wenn da nicht dieser leidige Stau unmittelbar vor und nach der Grenze wäre. Ich verstehe die Schweizer, dass sie schon diverse Maßnahmen auf den Weg gebracht haben, um die Grenzgängerpendelei und das damit verbundene Verkehrsaufkommen zu reduzieren. Gern würde ich mein Car sharen, wenn mein Wohnungsnachbar nicht nur denselben Weg, sondern auch dieselben Arbeitszeiten hätte. Es ist leider immer alles einfacher gesagt als getan. Ich stecke fest und werde hibbelig. Zum Glück bin ich in guter Gesellschaft. Mein Radio hält mich mit aktuellen Songs wach und bei Laune. Marco Mengoni singt gerade immerzu „No stress“. Die Textzeilen „Hey, baby, no stress, no, no, no …“ werden mich wie eine Hymne begleiten, solange es jeden Morgen im Schritttempo vorwärtsgeht. Auch mein Auto gibt auf mich Acht. Ich schrieb hier bereits einmal von den vielen netten Signalen, die es mir sendet. Noch nie bekam ich die Empfehlung, eine Kaffeepause einzulegen. Klar, ich fahre nur Kurzstrecken, solche Meldungen sind vermutlich für lange Fahrten programmiert. Dachte ich. Gestern früh auf dem Weg zur Arbeit lese ich plötzlich: Consigliato fare sosta. Und darunter das Symbol einer Tasse mit dampfendem Heißgetränk.

Wie konnte mein Auto wissen, dass ich am Morgen keinen Kaffee hatte, weil unsere Maschine mal wieder streikt? (Sie muss wohl ihrem italienischen Markenstolz gerecht werden!) Ja, ich war müde und genervt. Aber es war bei weitem nicht so, dass ich eingenickt wäre. Allerdings … wartet mal … stimmt! Eine meiner Gesten war ungewöhnlich. Einen Moment lang hatte ich den Ellbogen auf das Lenkrad aufgestützt. Nur so, beim Stehen im Stau, aus langer Weile. Ich schätze, das war die kritische Aktion, bei der mein smartes Vehikel mich durchschaute. Ich hätte den netten Vorschlag gerne befolgt, zog es aber doch vor, so schnell wie bei Stau eben möglich ins Büro zu kommen und mir dort den Caffè am Automaten zu holen. Meine Kollegen staunten nicht schlecht, als ich ihnen von der Feinfühligkeit meines Autos erzählte. Das war ihnen auf dem Weg zur Arbeit noch nicht passiert. Wir lachten und scherzten. So bekam dieser Tag, der mit Stress begann, wieder den richtigen Drive.

Titelfoto: Symbolbild von Pexels.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

20 Kommentare zu „No Stress, Baby!

  1. In einem Team und festen Arbeitsverhältnis zu arbeiten hat wirklich einiges für sich… gerade im Rückblick sehe ich das so. Die verstopften Strassen habe ich gehasst, bzw. tue das immer noch. Da können einem komische Gedanken kommen, beim x-ten mal im Stau 😁

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  2. Mein Mann und ich sind gerade dabei, Stress abzubauen in Binz auf Rügen. Ohne Stau. Unsere Kinder kümmern sich ums Haus. Ganz ruhig bleiben, liebe Anke. Der nächste Urlaub kommt bestimmt. Und wie du schon sagst, das Zusammensein und Austauschen mit netten Kollegen ist wohltuend und wichtig. Liebe Grüße aus dem Norden, Bettina

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    1. Wow, Binz kenne ich. Sowohl zu Ost- als dann auch zu Nach-Wende-Zeiten, frisch herausgeputzt. Jedesmal fantastisch. Genießt es! Und danke für deine aufmunternden Worte! LG Anke

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  3. Hast du zu Hause auch eine „DeLonghi“? Das ganz wahre Gelbe vom Ei ist zumindest mein Modell nicht.
    Aber dein Auto wäre das absolute Non plus Ultra, wenn es dir bei Bedarf gleich einen supergute Kaffee SERVIEREN würde, nicht nur einen empfehlen.

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    1. Stimmt, das habe ich auch schon gedacht. Wird hoffentlich das nächste Update der Autobauer sein, sonst müsste man den Vorschlag mal einreichen.
      Ich will ja keine Namen nennen, aber wir hatten auch schon mit dem Schweizer Vorgängermodell Probleme. Am besten, man bleibt bei der Moka. Wenn man da nicht vergisst, das Wasser einzufüllen (wie mir zuletzt passiert) hält sie ewig und funktioniert immer. Danke fürs Lesen und schöne Grüße nach Berlin!

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  4. Ob dein Auto nur gut hört und sich vielleicht am Ende selbst die Empfehlung gab, Marco Mengonis Empfehlung, “no stress”, folge zu leisten? Bei einem Kaffee vor der Grenze, ganz in Ruhe? 😉😄

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    1. Das kann natürlich auch sein, liebe Eva. Es hört zu. Vielleicht habe ich auch laut gegähnt? Mir ist es nämlich nicht gelungen, allein mit meinen Armen oder Beinen diese Anzeige noch einmal zu „provozieren“. Schon Respekt einflößend, die schlauen Autos heutzutage. 😆

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      1. 😄 Super, wie du nochmal versuchst, die Anzeige zu provozieren. Hast du vielleicht ruckartig gelenkt? Folgendes habe ich dazu gefunden: “Die verbauten Lenkwinkelsensoren nehmen die ruckartigen Lenkbewegungen als Folge nachlassender Konzentration bzw. Müdigkeit wahr. Daraufhin wirst Du durch ein optisches und/oder akustisches Signal gewarnt, eine Pause einzulegen.”

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      2. Hm, interessant. Lenkwinkelsensoren. Muss ich mal drauf achten. Denke eigentlich nicht, dass ich sehr ruckelte. Also nicht an jenem Morgen, da war ich super entspannt. Dank den richtigen Vibes. 😉

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  5. Mir ging und geht es im Homeoffice ebenso wie dir: Irgendwann fällt einem einfach die Decke auf den Kopf. Und ich hatte das Gefühl, dass mir die Bindung zu meinem Arbeitgeber auch ein Stück weit verloren gegangen ist. Jetzt habe ich erst mal ein langes Wochenende vor mir, aber am Dienstag geht es wieder ins Büro, übrigens mit dem Fahrrad, aber ich muss auch keine Grenze passieren. 😉
    Dass dein Auto so einfühlsam ist, finde ich toll. Ich wusste gar nicht, dass es eine solche Funktion überhaupt gibt.

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    1. Ich hatte davon gehört, aber nicht gedacht, dass mein Auto eins dieser superschlauen ist. Mit dem Rad zu fahren klingt klasse, es sei denn, es regnet stark. 🙈 Hab ein richtig gutes langes Wochenende ohne Stress, liebe Sophie!

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      1. Vielen Dank, liebe Anke! Morgen fahren wir zu unserem Grundstück und gehen im See baden. Das brauche ich dringend nach dieser Woche. Euch auch eine schöne Zeit und liebe Grüße nach Italien!

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  6. Ich habe nach den letzten 2 Jahren auch für mich verstanden, dass ich nicht für die Einzelhaft gemacht bin. Am Dienstag war ich auf meiner ersten Dienstreise seit 2,5 Jahren, eigentlich völlig unspektakulär, trotzdem aber sehr erfrischen und Inspirativ. Gute Fahrt! … wenn es denn rollt

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    1. Grazie! Irgendwann gehen doch mal die ersten in Urlaub, dann rollt es wieder besser. Es sei denn, es gibt Bauarbeiten.
      🥱 Schöne Wochenendgrüβe nach Berlin!

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  7. Ich war Anfangs etwas neidisch auf die Leute, die ins Home-Office gehen konnten, höre aber immer wieder, dass es nicht für jeden funktioniert. Wahrscheinlich wäre mir auch die Decke auf den Kopf gefallen.

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    1. Jede Medaille hat zwei Seiten, eine Binsenwahrheit, die aber auch hier zutrifft. Unter Menschen zu sein tut dem Menschen eben gut, und wenn es eine Arbeit ist, für die man im ständigen Austausch schneller vorankommt, ist das Büro die bessere Wahl. Sollte ich mal ein Projekt haben, an dem ich zu einem bestimmten Teil eigenständig schreiben kann, ohne dass es ständiger Abstimmung bedarf, sind auch ein paar Tage daheim perfekt. Allein schon, um Zeit und Sprit zu sparen.

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