Nie wieder Homeoffice?

Schöne neue Welt, wo bist du geblieben? Von „New Work“ ist nicht mehr viel übrig. Klar war die Sache mit dem Homeoffice eine Medaille mit zwei Seiten. Als wir im März 2020 Hals über Kopf und vor allem unvorbereitet in diese Situation schlidderten, taten wir uns schwer. Früher oder später lief es besser, wir richteten uns ein. Das Auto blieb stehen und wir hatten mehr Zeit für die Familie. Doch irgendwann fiel uns die Decke auf den Kopf, fehlte der echte Kontakt zu den Kollegen, fühlten wir uns wie Zombies im immer gleichen Trott. Das Homeoffice wurde zum Höhlenoffice. (Mein Bloggerkollege Herr T. aus Berlin schrieb dazu eindrückliche Beiträge.) Wir betrachteten es mit Humor, um durchzuhalten. Später war es andersherum: Die Rückkehr ins Büro fiel schwer. (Der Kollege schrieb auch hierzu sehr schön.) Ich selbst war zwiegespalten, was nun angenehmer für mich und die Familie, was vorteilhafter für die Arbeit war. Bei allem Für und Wider war schnell klar: Vorteilhafter für die Umwelt, die wir doch retten wollen, ist das Homeoffice. Und auch die Medien waren sich einig: Nach der Pandemie würde die Arbeitswelt nicht mehr die Alte sein. Arbeitsformen würden flexibler werden, hybride Lösungen starre Präsenzpflichten ersetzen. Ein bisschen Büro, ein wenig Homeoffice ‒ ganz so, wie es für Arbeitgeber und Arbeitnehmer passt.

Und heute? Es gibt viele Firmen, die haben die Präsenzpflicht schneller als man denken kann wieder eingeführt. Wenn ich (rein informativ, versteht sich) nach Stellenausschreibungen schaue, finde ich nicht eine, wo ich durchgängig im Homeoffice arbeiten könnte, weil der Firmensitz außerhalb meiner Reichweite liegt. Präsenz ist back! Ich erlebe das jeden Morgen an der Grenze. Im Stau. Seit Sommer 2022 bin ich wieder voll im Büro, mit der Möglichkeit, mich auch mal von daheim dazuzuschalten. Als die Kinder plötzlich krank waren oder ich selbst einen Arzttermin hatte, habe ich davon gern Gebrauch gemacht. Und wenn es mal weniger Tagesgeschäft und größere Projekte gäbe (die stehen bei uns in den Startlöchern), hätte ich an denen gut von daheim aus arbeiten können. Denkste! Seit gestern ist Schluss mit lustig. Und zwar für alle „Frontalieri“ (Grenzgänger) aus Italien. Während des sogenannten Gesundheitsnotstandes Covid-19 gab es ein Abkommen zwischen der Schweiz und Italien, das „Telelavoro“ (Telearbeit) ermöglichte. Die einvernehmliche Regelung lief am 31. Januar aus, und das italienische Finanzamt nimmt dazu aktuell wie folgt Stellung: Ab dem 1. Februar 2023 wird ein Grenzgänger, der in einer Grenzgemeinde wohnt und auch nur einen (!) Tag lang Telearbeit leistet, in Italien mit seinem gesamten (!) Jahreseinkommen steuerpflichtig.* Man müsste also, nachdem das Einkommen bereits in der Schweiz besteuert wurde, das gesamte Bruttojahresgehalt auch in Italien vorlegen, um den nach Abzug der Schweizer Quellensteuer noch „offenen“ Steuerbetrag in Italien zu bezahlen. Eine Rechnung, die nicht aufgeht, liegt doch unserem Gehaltsniveau in der Schweiz der Steuervorteil im Vergleich zu Italien zugrunde. Dass es mit ein bisschen gutem Willen auch anders geht, beweist Frankreich. Franzosen, die zur täglichen Arbeit in die benachbarte Schweiz pendeln, dürfen nach der aktuellen Übereinkunft bis zu 40 Prozent der Zeit, also zwei Tage pro Woche, ihre Aufgaben im Homeoffice erledigen, ohne dass sich steuerliche Konsequenzen daraus ergeben.** 

Die Bestürzung bei uns Grenzgängern ist riesig. Vielleicht sollte der Schweizer Kanton Tessin von Rom Ausgleichszahlungen für die Abgasbelastung durch das erhöhte Verkehrsaufkommen fordern, um ein bisschen Druck zu machen? Immerhin: Eine Absichtserklärung, die Sache zu regeln, gab es gestern. (Der italienische Senat erteilte grünes Licht für die Ratifizierung eines neuen Abkommens zwischen Italien und der Schweiz über die Besteuerung von Grenzgängern. Gleichzeitig wurde die Verpflichtung eingegangen, für die Frage der Telearbeit eine endgültige Lösung zu finden.***) Hoffen wir, dass der Absicht bald praktikable Regelungen folgen. Mein Mann, auch er Frontaliere, arbeitete bis zuletzt einen Tag pro Woche zuhause. Ich kenne einige, die sogar mehr Homeoffice-Zeit hatten, einfach weil es der Charakter ihrer Arbeit zuließ und sie in Ruhe daheim auch produktiver waren, Software-Entwickler beispielsweise. Jetzt setzen sich alle wieder jeden gottverdammten Tag ins Auto, um sich an der Grenze in den Stau zu stellen und die Umwelt zu verpesten. Schöne neue Welt!

Quellen: *OCST: zum Artikel / **Swissinfo: zum Artikel / ***Corriere della Sera Milano: zum Artikel

Titelbild: Symbolbild von Pexels.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

28 Kommentare zu „Nie wieder Homeoffice?

  1. Oje, das ist wirklich unglaublich was die italienische Steuerbehörde da veranstaltet. Wir verließen den Tessin damals nicht zuletzt wegen dem unmöglichen Verkehr und wir mussten weder durchs Mendrisiotto, noch via Agno! Eine Mischung von Präsenz und Home Office wäre doch ideal. Ich hatte dies die letzten 10 Jahre meines Arbeitslebens und es war genial, in jeder Hinsicht. Ich war immer der Ansicht, Firmen die auf Präsenz bestehen, wissen nicht wirklich was ihre Angestellten so tun, und verwechseln Anwesenheit mit Performance.

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    1. Via Agno sagt mir jetzt nicht so direkt etwas … beim Flughafen? Ich habe ja Glück, gleich hinter der Grenze zu arbeiten, wer jeden Tag nach Lugano oder noch weiter muss, oh je. Ja, eine Mischlösung wäre der ideale Kompromiss: fürs Arbeits- und fürs „Umwelt-Klima“.

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    1. In vielen Bereichen sieht es so aus. Mal schauen, wann und wie das mit der Telearbeit zwischenstaatlich geregelt wird. Dann ist es immer noch Entscheidung der Firma, ob sie dir das theoretisch Mögliche auch genehmigt.

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  2. Vielen Dank für den Beitrag und die zahlreichen Verlinkungen. Es ist wirklich ernüchternd, wie die „Errungenschaften“ wieder zurückgedreht werden. Aber trotzdem bin ich da positiv. Der Arbeitsmarkt lässt eigentlich mehr Flexibilität zu und andere Arbeitgeber sind da viel offener geworden. Und selbst wenn nicht, irgendwann wird es aus Umweltgründen verboten, in die Firma zu fahren. Fragt sich nur wann.

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    1. Gerne! Na, so schlimm, dass das Zur-Arbeit-Fahren ganz verboten wird, kommt es doch hoffentlich nicht. Aber eine 50/50-Regelung, sehr bald und nicht erst, wenn es für das Klima zu spät ist, das wäre was.

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    1. Gute Frage. Dabei ist fortgesetzt Krise, wenn man nur mal ans bedrohte Klima denkt, das von weniger Pendlerverkehr profitieren würde. Aber es brennt anscheinend noch nicht genug und es bleibt noch Platz für Bürokratie und politisch-fiskale Egozentrik. Wir hoffen auf baldiges Einlenken! Danke und liebe Grüße an dich!

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    1. Adesso sembra davvero tutto perso. Ma speriamo. Purtroppo, gli accordi sono più difficili e lunghi in tempi senza “emergenza”. E sono guidate da ragionamenti fiscali anziché ambientalistiche o di buon senso.

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    1. Nee, die Welt ist in manchen Dingen leider ein Dorf. Danke und auch auf diesem Kanal nochmal schöne Grüße und ein paar Sonnenstrahlen nach Berlin!

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  3. Oje! Was sind denn das für Neuigkeiten?! 😳 Es ist ja sicherlich sehr schön, ab und zu wieder ins Büro zu fahren, vor Ort zu arbeiten und Zeit mit seinen Kolleginnen und Kollegen zu verbringen. Aber diese Regelung ist ja wirklich haarsträubend.
    Ich drücke die Daumen, dass sich alles in Wohlgefallen auflöst (und zwar so schnell wie möglich)!
    Herzliche Grüße (derzeit aus dem Allgäu)!

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  4. Das ist ja absurd! Ich hoffe wirklich, dass sich in den Stuben, in denen sowas ausgekartelt wird, bald der gesunde Menschenverstand durchsetzen wird. Nicht nur wegen des Klimas, sondern auch wegen der Menschen, denen die Amtsschimmel so einfach kostbare Lebenszeit stehlen. Ich drück dir und allen betroffen Grenzgänger*innen ganz fest die Daumen!

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  5. Was für eine wahnsinnige und verrückte Bürokratie. Man kann nur hoffen, dass sich in absehbarer Zeit eine vernünftige Lösung abzweichnet. Das würde auch die Leistungen der Schaffenden erhöhen.

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    1. Genau! Wer ist nicht motivierter, wenn er Familie und Arbeit gut vereinbaren kann und nicht tagein, tagaus wertvolle Stunden im Stau verbummelt. Zuhause macht man im Zweifel sogar mehr, das haben aber auch noch nicht alle Arbeitgeber verstanden, fürchte ich.

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      1. Der österreichische Staat kassiert immer Steuern für die Arbeit in der Schweiz, egal ob der/die Grenzgänger/in hinüber fährt ins Büro oder zuhause am PC sitzt. Erst zieht die Schweiz ihren Teil ab und dann kommt der jährliche Batzen an das heimische Finanzamt.
        Ich wünsche dir, liebe Anke, trotzdem, dass es Dir in Italien besser geht.

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      2. Liebe Elsa, danke für die Info. Gibt es denn viele österreichische Arbeitspendler in die Schweiz? Na, wie auch immer die Besteuerung geregelt ist, wenn man es vor Abschluss des Vertrages weiß, „si fanno due conti“ sagt der Italiener, man macht seine Rechnung. Dass aber, wie jetzt gerade im italienischen Fall, Homeoffice im Nachhinein bestraft und damit als Option ausgeschlossen wird, ist absurd. Es wird eine Regelung geben müssen. Liebe Grüße!

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  6. Ja, über den Rhein ist reger Grenzgängerverkehr. Großteils in eine Richtung: Von Vorarlberg in die Schweiz.
    Es kommt auch vor, dass drüben ein Wohnsitz angemeldet wird, ganz in echt oder auch nur pro forma, sodass die österr. Steuern wegfallen.

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    1. Wenn es sich auszahlt, finden sich immer Wege. Bei uns spielt auch eine Rolle, dass es überhaupt passende Jobs gibt, nicht nur die nach Steuern etwas bessere Bezahlung in der Schweiz.

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