Verkehrte Welt! Normalerweise habe ich ein Thema, schreibe den Text und begebe mich dann auf die Suche nach einem passenden Bild. Mit dem Foto in diesem Titel war es andersherum. Ich knipste es Ende Juli und wusste, es müsste einen Text dazu geben. Eccolo, hier ist er:
Die Tafel mit dem vielversprechenden Titel „Pensieri positivi“ (Positive Gedanken), so grau und leer, ist pure Provokation. Fahre ich an ihr vorbei, schreit es immer laut in mir, auszusteigen und etwas anzupinnen. Aber was? Was ist gut in diesem Sommer? Er ist erbarmungslos heiß und viel zu trocken, es gibt Chaos an den Flughäfen, überall steigen die Preise, wir machen uns Sorgen um die Energie- und Gasversorgung im Winter. In Italien läuft das Buzzword „caro bollette“, was steigende Energiekosten für Private und Unternehmen meint, in allen Medien heiß. Und das sind nur die oberflächlichen Symptome, die uns direkt betreffen. Wer richtig depressiv sein will, kann sich in Weltuntergangsstimmung suhlen. Krieg und Konfrontation, schmelzende Gletscher und brennende Wälder, Armut und Hunger, wenn man die Welt insgesamt betrachtet. Regierungskrise und Propaganda, Mord und Totschlag, Familiendramen und Scheidungstheater sind weitere Top-Themen in Italien. Man kann tief reinfallen, in dieses Sommerloch, und muss aufpassen, sich dabei nicht die Rübe oder Schlimmeres einzuschlagen.
Aber wie heißt es so schön: La necessità è la madre dell’invenzione. Not macht erfinderisch. Ich lerne in diesem Sommer, wie wunderbar man das Wasser, mit dem man Obst und Gemüse wäscht, auffangen und anschlieβend zum Blumengieβen nutzen kann. Ich bin überzeugt, dass die wochenlange Hitze hier am Ende besser zu ertragen war, als das Auf und Ab der Temperaturen, von dem man mir aus Deutschland berichtete. Dem Winter werden wir warm gekleidet entgegentreten und wenn es in der Wohnung und im Büro ein paar Grad kühler ist als gewohnt, kommen endlich alle dicken Strickpullover zu ihrem großen Auftritt. Ich werde kuschelweiche Socken für die ganze Familie besorgen, wenn wir die Bodenheizung runterdrehen müssen. Vielleicht führen wir eine Kerzenstunde ein? Ich mag Candlelight-Dinner, und wenn nicht ständig Festbeleuchtung alle Zimmer erhellt, fällt es gar nicht auf, wenn man einmal weniger staubsaugt. Ein zünftiges Wintergrillen auf dem Balkon wollten wir schon lange mal probieren. Wenn das Gas zum Kochen fehlt, gibt es endlich keine Ausrede mehr. … Bullshit! Verklärt romantische Gedanken dieser Art konnten mir nur bei 40 Grad Außentemperatur kommen. Da träumt man gern von einem Winterwunderland und redet es sich schön. Aber wenn wir ehrlich sind, sind unsere doch nur Wohlstandssorgen. Trotzdem ist es zu einfach, wieder nur „Lächle und sei froh, es könnte schlimmer kommen“ zu denken. Lets start sparen! Was beim Wasser geht, wird bei Strom und Gas auch möglich sein. Ich gucke es mir bei den Italienern ab und ihrer Kunst, sich zu arrangieren. Meckern und Schuldige suchen bringt nämlich weniger als gar nichts. Ich wünsche mir, dass es in Deutschland keinen „Wutwinter“ gibt, so eine dämliche Prognose liest man ja jetzt ständig. Sparmaßnahmen auf kommunaler Ebene wie ein, zwei Grad weniger in öffentlichen Gebäuden oder halb so viele (Werbe-)Lampen in der Stadt und in Geschäften sind doch schon mal ein guter Anfang. Wie so oft ist es schade, dass uns erst Einschränkungen drohen müssen, um da runterzudrehen, wo es pure Verschwendung war. Genießen wir die letzten sommerlich warmen Tage und ziehen wir uns warm an für die nächste Zeit. Aber vor allem: Rücken wir zusammen! Wenn’s sein muss, auch mit Masken.

Also mir gefällt der Traum vom Candlelight-Dinner und weniger Staubsaugen ausnehmend gut! 😁
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Nicht wahr?! 😉 Man muss sich den Humor bewahren und das Beste draus machen. Oder wie der Italiener sagt: arrangiarsi.
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Schöne Worte! 😄 Weniger staubsaugen dank Candle_light ist sehr lustig gedacht, da bin ich dabei, Strickpullover habe auch gestapelt im Kasten (Schrank 😉) . Ich bin ganz bei dir und finde es zu wenig, sich nur über Preise und die Auswirkungen auf einen selbst zu ärgern ohne (gute) Wege oder hilfreiche Ansätze zu finden, wenn auch nur im Kleinen. Pensieri positivi e pace! 😊🕊️
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Danke, liebe Barbara. Es ist offensichtlich einfacher, groß zu protestieren als selbst kleine Schritte in die richtige Richtung zu machen.
Ich weiß übrigens, was der Wiener meint, wenn er von Kasten spricht. 😉 Meine Freundin hat mich einige Worte gelehrt. Derzeit lese ich „Das Buch vom Süden“, worin André Heller arg viel Dialekt verwendet, ich lerne also weiter. Ciao und Baba!😊
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Ben detto, Anke. Risparmiamo un po‘ e anche l’ambiente ne gioverà.
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Esattamente, aiuta a tutti gli effetti.
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In der DDR hatten wir auch Kreativität durch Mangelwirtschaft. Ich hätte nie gedacht, dass uns das nochmals ereilt. Es ist jedoch so unnötig. Mehr möchte ich dazu hier nicht sagen. Die weltpolitische Lage ist zu komplex – eben nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint. Hoffen wir auf einen milden Winter und dass eine Pleitewelle von Unternehmen, ich denke besonders an viele kleine, tapfere Familienunternehmen, nicht kommen wird.
Liebe Grüße Bettina
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Ja, es ist zum Heulen. Die Umwelt bedroht, die weltpolitische Lage verfahren. Nein, dass wir zum Sparen nochmal gezwungen werden, kam uns nicht in den Sinn. Es wurde ja alles immer nur schöner und mehr. Ausgeträumt! Stimmt, den Kleinen müssen wir helfen, auch indem wir bei ihnen kaufen, anstatt bei den Giganten. Ich schreibe gerade den nächsten Beitrag, der passt zu diesem Thema, stelle ich fest …
Liebe Grüße an dich!
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Wir haben auch über Sparmaßnahmen nachgedacht und uns ist nix eingefallen (dieses Energiesparlampen-zwischendurch Wasser aus-richtig Lüften-Strickpulli-Ding machen wir nämlich schon seit immer). Schön wäre ja, wenn Geschäfte im Winter die Ladentüre nicht sperrangelweit stehen lassen würden und auch die Stadt mal über Ressourcenschonung (tausende bunte Broschüren) und anderes als Dieselautos fürs Ordnungsamt und so nachdenken würde. Stattdessen schließt man eine Schwimmhalle, das sieht für mich nach Aktionismus aus. Warten wir es ab, was noch kommt. Candlelight-Dinner wär schon mal ein Plan.
Liebe Grüße
Ilka
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Stimmt, das große Potenzial liegt in den Händen der Kommunen und Geschäftsbetreiber. Läden, denen es ja ans Geld geht bei der Heizkostenabrechnung, werden sich das mit den Türen sicher überlegen? Ich denke auch an die großen Einkaufs-Galerien, die im Winter immer vollkommen überheizt sind und wenn man Jacken, Schals und alles über den Arm tragen soll hat man keine Hände mehr frei für Einkaufstüten. Das sind so Luxus-Probleme, die der Vergangenheit angehören sollten. Schwimmhallen zu schließen ist natürlich blöd. Vielleicht die Öffnungszeiten je nach Bedarf ein wenig einschränken?
Na ja, egal, entscheiden andere. Wir gucken daheim, was wir im Kleinen tun können. Zum Glück sind die Kinder aus dem Auf-dem-Fußboden-spielen-Alter raus. 😉 Danke und liebe Grüße ins Brandenburgische!
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Geht mir alles ähnlich durch den Kopf.
Was würde passieren, wenn man die Tafel mit „negative Gedanken“ überschreiben würde?
Würde die Tafel leer bleiben oder würden die Menschen da Zettel hinhängen.
Würde mich echt mal interessieren
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Ja, aber auch, was mit einem Positiv-Zettel passieren täte.
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An diesem Thema kommt man nicht vorbei. Wieder so etwas, das uns alle trifft, wenn auch sehr unterschiedlich. Irgendwie hat es immer nur die anderen getroffen, weit weg. Das ist es jetzt anders und wir können das nicht verdrängen. Um so wichtiger ist es, unsere Gedanken zu teilen.
Ich habe auch einen Text zu diesem Thema geschrieben, er liegt in meiner digitalen Schublade. Ich werde ihn mit deinem Text verlinken.
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Im Radio sprachen sie heute davon, dass eine Umfrage ergab, dass die Italiener sich in überwiegender Mehrheit aufgeschlossen zeigen, notwendige Einschränkungen zu akzeptieren. Zum Beispiel bei der Zentralheizung ein, zwei Grad weniger zu haben, oder dass sie erst später im Herbst ein- oder im Frühjahr eher ausgeschaltet wird. Es ist beruhigend zu hören, dass die „Wir sitzen alle im selben Boot und wir schaffen das“ Mentalität überwiegt. Also das gemeinsame positive Herangehen an die Herausforderungen dieser Zeit. Auf deinen Text bin ich sehr gespannt! Danke und liebe Grüße!
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Das hört sich hoffnungsvoll an. „Wir schaffen das“ kommt hier leider oft nicht so gut an. Das ist schade!
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Ach ja, da habe ich eine – bei euch – vorbelastete Redewendung benutzt. Die Italiener sagten aber auch so, bei Ausbruch der Pandemie: „Ce la faremo“. Das steht letztlich für das hier typische: „Wir arrangieren uns.“ Was ja in vielen Fällen gar nicht verkehrt ist.
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