Wenn ein Teenager Hunger hat, wird es für Eltern ungemütlich. Und meint der Teenager sogar, es wäre niente di decente (nichts Vernünftiges) zu essen im Haus, weder in der Dispensa (dem Vorratsschrank) noch im Frigo (Kühlschrank), dann bekommt die diensthabende Mutter kalte Füße. Zugegeben, der Tag, an dem ich den lästigen Gang zum Supermarkt nicht mehr aufschieben kann, naht. Aber dass nun gar nichts da sei, ist eine haltlose Übertreibung. Zumal wir vor anderthalb Stunden zu Mittag gegessen haben. Da hatte ich meinem Teenager sogar noch zusätzlich eine Portion Pasta aus dem Gefrierschrank erwärmt, weil das zuvor Servierte nicht den Vorstellungen entsprochen hatte. Trotzdem höre ich jetzt lautes Schimpfen. Auch der nicht diensthabende Papa hört es und kommt aus seinem Homeoffice zum Ort des Geschehens. „Die Nussnougatcreme ist auch schon wieder alle, wer hat die ausgegessen“, geht es weiter, und die Schimpftirade wird von Tränen begleitet. Schnell stehe ich auf und zaubere ein neues Glas Nussnougatcreme aus dem Schrank. Es ist nicht dieselbe Marke. „Du weißt doch, dass mir die andere besser schmeckt“, nörgelt der Teenager weiter. „Was ist das Problem, kann ich helfen?“, mischt der Papa sich ein. „Ich wollte mir Eierkuchen machen, aber es ist nicht mal was zum Draufschmieren da“, sind die letzten Worte, die uns um die Ohren fliegen, dann hören wir nur noch Türen knallen. Der Papa schüttelt mit dem Kopf und stellt resigniert fest: „Cosa vuoi fare?“ (Was willst du machen?) Ich wollte jetzt eigentlich nichts zu essen machen, aber eine innere Stimme warnt mich: Kümmere dich um dein hungriges Kind. Sonst ruft es womöglich die Assistenti Sociali, die Jugendhilfe an. Ich kontrolliere, ob Eier, Milch, Mehl da sind und beschließe, Eierkuchen zu backen. Vorher schicke ich aber noch meinen Mann in die Höhle der Löwin, nicht, dass sie dann aus Trotz gar nicht essen will. „Nur wenn sie ein Rezept benutzt, scheußliches Improvisiertes esse ich nicht“, höre ich die knallharte Ansage. Ich schwöre, ein Rezept zugrunde zu legen. Das ist sicher ohnehin besser und dank des weltweiten Kochfreunde-Netzes auch kein Problem. Ich nehme das erste Suchergebnis und lege los. Zehn Minuten später rufe ich den Teenager zu Tisch. Auch der Papa des Teenagers steckt die Nase in die Küche und schaut interessiert. Ich bringe ihm einen Teller ins Büro. Zum Draufschmieren habe ich alles hingestellt, was ich gefunden habe: eine Art Apfelmus mit Erdbeere oder Aprikose in Einzelportionen (Ihr werdet es nicht glauben, es gibt kein klassisches Apfelmus im Glas bei uns), Marmelade, Honig, Sirup und auch das verschmähte Nussnougatzeugs. Genau dieses ist dann nämlich gar nicht so übel, wie der Teenager, der langsam wieder zu unserer Tochter mutiert, Eierkuchen mampfend zugibt. Ihr schmeckt es und sie strahlt mich an. Ein „Grazie, mammi“, meine ich auch vernommen zu haben.
Zwischen einem Bissen und dem nächsten kommen wir ins Reden. Sie erzählt mir von der Sache mit den Jungs. Alle Mädchen ihrer Klasse „si sentono con dei tipi“ (hören sich mit Typen). „Si sentono?“, frage ich ungläubig und lasse mir erklären, wie das heute so läuft mit dem Anbändeln. Bevor man zusammen ausgeht, sich trifft, oder gar regelmäßig dated, gibt es die Phase des sich Hörens, was genau genommen ein sich Schreiben bedeutet. Man tauscht die Handynummern aus und schreibt sich auf WhatsApp. Ob und wann dann mehr daraus wird, ob man sich auch sieht, steht noch in den Sternen. Aber ohne diese Aufwärm-Phase übers Texten liefe überhaupt nichts, denn wer würde sich schon direkt und livehaftig mit jemandem treffen? „Ich will nicht schreiben müssen, ich habe doch gar keine Zeit!“, erklärt meine Tochter, und ich frage natürlich, ob sie denn Angebote fürs Kurznachrichtenaustauschen bekommen hätte. „Eben nicht“, gibt sie traurig zu, „keiner will was von mir. Aber wenn ER käme, und meine Nummer haben wollte, was soll ich dann tun? Ich habe keine Lust aufs Schreiben, ich will mich mit ihm treffen!“ Ich streichle ihr sanft über die Wange, dann über den Kopf. Meine kleine Große hat auf moderne Art die gleichen Probleme, die ich in ihrem Alter hatte. Auch ich war in der Klasse nur die „Streberin“, ging dreimal die Woche zum Tanztraining und hatte keine Zeit, mit den richtigen Mädels abzuhängen, wo dann auch die richtigen Typen dabei waren. Nun ja, sicher hätte ich Zeit zu finden versucht, wenn man mich hätte dabeihaben wollen. Aber auf der einen Seite waren die Coolen (hier in Italien heißt es „i popolari“, die Beliebten), auf der anderen die Streber und Langweiler. Da ging es wohl um tolle Klamotten, große Klappe, gute Beziehungen oder was auch immer es gewesen sein mag, das mir fehlte. Aber das war damals. Wie soll ich jetzt meiner Tochter helfen, ihr Selbstbewusstsein stärken? Soll ich ihr sagen, dass sie im zarten Alter von noch nicht einmal sechzehn Jahren absolut nichts verpasst, sich der Wind bald drehen, sich irgendwann auch für sie etwas Nettes ergeben wird. Ich kann es schließlich aus eigenem Erleben bezeugen. „Ach Mama, damals war doch alles noch nicht so kompliziert“, schnieft sie und ich reiche ihr ein Taschentuch, bevor noch die Serviette herhalten muss. „Das sagst du, meine Süße, es war anders kompliziert“, versuche ich zu erklären. „Wenn man doch mal jemanden gesehen und mit ihm gesprochen hatte, gab es wieder Telefon geschweige denn Handy, um in Kontakt zu bleiben. Da hieß es Warten und Bangen bis zum nächsten Diskoabend oder einer anderen zufälligen Begegnung, Wochen später vielleicht.“
Wie fern und fremd sind unsere analogen Welten für die Jugend von heute. Und doch waren es im Grunde die gleichen „Dramen“, die sich abspielten. Wieder einmal ist es die Musik, die in magischer Weise in meinem Kopf zum Klingen kommt. Wieder gibt es passend zu unserem Thema einen aktuellen italienischen Popsong. Wenn ich ihn im Radio höre, denke ich immer an meine Tochter. Sie hofft nämlich, den einen, der sie interessiert, auf dem Weg zur Schule zu treffen. Aber wenn das dann passiert, was würde sie tun? Im Zweifel nichts. Und er auch nicht. Mehr als Blicke wird es nicht geben. Es bleibt wohl immer dasselbe alte Lied in diesem Alter. Damals in der DDR war es IC Falkenberg mit „Wunderland“, der träumende Mädchen wie mich mitten ins Herz traf.
Täglich kreuze ich nun deinen Weg
IC Falkenberg: Wunderland.
Und bin so allein wie du
Doch es fällt kein Wort
Ein kurzer Blick soll dir sagen was ich will
Just in diesen Wochen singt in Italien Francesca Michielin in „Occhi grandi grandi“ von dem Typen, der immer freitags in derselben Bahn sitzt, sie schauen sich an, aber nie fragt er sie nie nach ihrem Namen und ihr versagt die Stimme in seiner Nähe.
E quanto siamo strani
Francesca Michielin: Occhi grandi grandi
Lo so che mi guardavi
Anche tu, ma non mi hai detto mai
Come ti chiami
Flashback! Da kommen neben bloßen Erinnerungen auch die bittersüßen Gefühle wieder hoch. Wie schön. Noch schöner ist es, diese Gefühle und Erinnerungen zu teilen. Ich werde öfter mal Eierkuchen backen für meine Tochter.
Titelfoto: Symbolbild von Pexels.
Liebe Anke,
finde ich stark von dir, dass du nicht die gleiche Trotzhaltung einnimmst in der Eierkuchensituation, sondern hier wahrhaft die Grosszuegige bist.
Ich glaube ich selbst haette es mir in der Situation nicht verkneifen koennen, mehr Optionen zum Draufschmieren anzubieten: Vaseline, Schuhcreme, Haargel, Motoroel, Zahnpasta, …
Wer weiss schon, was derzeit so angesagt ist? 😉
Liebe Gruesse aus Kanada,
Luisa
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Liebe Luisa, aber Hallo, deine Ideen sind taff. Ob sie den Spaß verstanden hätte? Nein, in dieser Situation war ich gar nicht so sauer, da gibt es andere Diskussionen, in denen ich gern mal zu unkonventionellen Methoden greifen würde.
Danke für diesen netten Kommentar, ich musste sehr lachen. Sonnig-italienische Grüße in den kalten Norden!
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Ja, wenn sich die Wogen geglättet haben, nachdem der Hunger gestillt ist, kommen meist die besten Gespräche zustande. Es spielt sich wohl überall dasselbe ab, liebe Anke, wobei unsere Tochter doch etwas drastischer sein kann als unser Sohn. An meinen ersten Zettel mit der Frage „willst du mit mir gehen“ erinnere ich mich noch sehr genau. Nachdem Hardy und ich übereingekommen waren, miteinander zu gehen, waren wir zu schüchtern, um auch nur noch ein Wort miteinander zu reden. „Die Sache“ verlief dann irgendwie im Sande.
Liebe Grüße Bettina
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Es heißt, Söhne ziehen sich in der Pubertät eher zurück, brausen nicht so auf? Ich hab nun zwei Töchter und die jüngere schaut es sich schon von der Großen ab und startet eher in die heiße Phase.🙈
Sehr nett und ein Klassiker, deine Erinnerung an Hardy. Zettelchen schreiben und „fidanzarsi“ (wörtlich „sich verloben“, aber in diesem Alter gleichzusetzen mit „miteinander gehen“) gab es hier schon in der Grundschule.😄
Danke, liebe Bettina, und beste Grüße an dich!
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Hunger macht böse hat meine Arbeitskollegin immer gesagt, fällt mir noch ein 😉. Als Eltern/Mutter weiß man: ein biochemischer Vorgang, den es auszuhalten gilt, bis das Sättigungsgefühl einsetzt 😅. Danke!
LG Bettina
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Oh ja, da kommen Erinnerungen hoch. Pubertät oh Graus!
Es war anders kompliziert und es gab andere gesellschaftliche Konventionen zu umgehen.
Deine Reaktion „lieb haben und füttern “ finde ich klasse.
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Danke, liebe Grretl. Immer bin ich nicht so gutmütig, aber hin und wieder und wenn man ohnehin grad Zeit hat, ist es die beste Lösung.
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Ja – eigentlich hat sich nichts geändert, außer den Umständen. Aber erklär das mal einem Teenager…
Ich finde, du hast sehr gut reagiert und irgendwann wird sie das nicht nur verstehen, sondern zu schätzen wissen – warts ab! 🙂 LG Bea
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Na klar, liebe Bea. Teenager meinen immer, man hätte keine Ahnung, weil früher alles gaaanz anders war. Dabei erinnere ich mich gut an einen Spruch meiner Mutter, mit dem ihr Vater sie seinerzeit gewarnt hatte: „Von einem schönen Teller isst du nie allein.“ Bezogen auf den gutaussehenden jungen Mann, der ihr den Hof machte. So war es dann auch, und so ist es mir gegangen und so geht es meiner Tochter hoffentlich mal nicht, aber sie wird es ohnehin nicht hören wollen. 🤷♀️
Danke un dliebe Grüße!
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Ob ich diese Engelsgeduld wie du aufgebracht hätte, weiß ich nicht. In dem Alter müsste sie sich doch schon Eierkuchen allein zubereiten können, da hätte sie ihr eigenes Rezept (oder eins aus dem Netz) anwenden können. – Aber danach war ja Friede, Freude, Eierkuchen – halt, die Eierkuchen waren an erster Stelle.
Lieben Gruß
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Genau, die Eierkuchen an erster Stelle. So funktioniert das. Müsste man mal den Spruch umstellen lassen.
Liebe Grüße an dich!
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Das ist so eine schöne Geschichte aus Deinem Leben. ❤
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Und nicht nur aus meinem, nehme ich an. 😊
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Liebe Anke,
das Warten auf den Text, auf den du mich schon neugierig gemacht hattest, hat sich sehr gelohnt. Ich habe viel geschmunzelt und gelacht und hatte ein bisschen das Gefühl, du würdest über unsere Familie schreiben. (Außer dass bei uns mein Mann die Eierkuchen hätte machen müssen, er ist schließlich der Küchenbulle.) Und auch bei uns wird übrigens ein Nussnougataufstrich bevorzugt…
Wirklich schön und herzig finde ich, dass sich danach ein so vertrautes Gespräch mit deiner Tochter ergeben hat. Es ist toll, bestimmte Zeiten des eigenen Lebens auf diese Art und Weise Revue passieren lassen zu können und gleichzeitig im Austausch mit den eigenen Kindern zu sein und vielleicht das eine oder andere hilfreiche Wort für ihre Lebenssituation zu finden. Eines der vielen Dinge, die mir am Muttersein Spaß machen.
Herzliche Grüße!
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Liebe Sophie, ich habe den Beitrag sogar mit ein bisschen Umsortieren vorgezogen, wo ich ihn nun schon mal angekündigt hatte. 😊
Freut mich, dass du euch wiedererkennst. So ging es mir bei deinem Text ja auch. Es ist schon sehr beruhigend und entspannend, zu hören bzw. zu lesen, dass sich die Situationen so ähneln.
Mein Mann ist der Anlass-Chefkoch, das Improvisieren wie in diesem Fall ist meine Aufgabe. Und der stelle ich mich auch viel lieber, als ewig ein Menü zu planen, Rezepte zu studieren und Zutaten einzukaufen …
Stimmt, ich mag es auch sehr, wenn sich (leider selten) mal ein so vertrauensvolles Gespräch ergibt, zwischen Mutter und Tochter. Aber auch mit dem Vater gab es schon Themen wie „Wie soll ich mich verhalten oder nicht, wenn mir ein Junge gefällt, damit er sich für mich interessiert?“ Da lausche ich auch gerne mit, was mein Mann so an jugendlicher Lebensweisheit zu berichten hat.😀
Wie immer freue ich mich sehr über deinen Kommentar, liebe Grüße nach Berlin!
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Liebe Anke, ich denke gerade: Wie schön, dass wir uns über das Bloggen kennengelernt haben. Sag‘ Bescheid, wenn du mal nach Berlin kommst. 🙂 Herzliche Grüße, Sophie
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Das mach ich! Wirste kieken! 😀
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Liebe Anke, wie schön, dass Du Dich so gut in Deine Tochter einfühlen kannst. Wie oft fehlt dies heutzutage! Sie wird es Dir ein Leben lang danken. Es ist doch oft so, dass etwas – wie hier das Essen – vorgeschoben wird, wenn es irgendwo anders drückt. Deine Tochter brauchte Deine Zeit und Dein Zuhören, und das hast Du als gute Mutter gespürt. Wunderbar! Elisa
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Danke, liebe Elisa. Ja, man darf nicht alle Ausbrüche in diesem Alter persönlich nehmen. Es ist schön, wenn man sich ganz entspannt unterhalten kann, um sich zu verstehen. Liebe Grüße!
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Danke für den unterhaltsamen Blog! Zum ersten Teil fällt mir ein: Es ist aber auch verdammt schwierig, heutzutage gutes Personal zu finden…😉
Der zweite Teil fasst die Sorgen und Nöte heutiger Ragazze gut zusammen…
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Eltern müssten vorher geschult werden. 😆 Danke fürs Lesen und es freut mich, wenn es unterhaltsam und informativ war.
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Liebe Anke, beim ersten Teil deines Beitrags musste ich an eine meiner Enkeltöchter und ihre Ausraster denken und daran, dass ich ihr am besten helfen kann, wenn ich nicht spontan meinen Emotionen folge, die steil empor schnellen, sondern diese runterfahre. Egal, ob drei oder vier Jahre oder fünfzehn – ich bin überzeugt davon, dass das allen Beteiligten hilft. Wenn man so richtig ausflippt, weiß man ja leider oft selbst nicht, was los ist. Meine siebenjährige Enkeltochter M. drückte es neulich so aus: Manchmal schlüpft die Bösrichkeit in mich rein und dann weiß ich nicht, wie ich sie wieder aus mir herauskriege. Und ich dachte so bei mir, dass ich das bei mir oft auch nicht weiß.
Ich finde, du hast wunderbar reagiert, denn das Wichtigste ist doch, dass wir die Verbindung zu unseren Kindern behalten. Der ganze Stress ist temporär. Es lohnt sich einfach, dranzubleiben an unseren wunderbaren Kindern.
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Wie süß, die Selbstreflexion deiner Enkelin. Ja, wir abgeklärten Erwachsenen brauchen ein dickes Fell, die Wutausbrüche der Kinder zu ertragen. Wie immer erinnert man sich nicht daran, dass man selbst solche Phasen hatte. Gut, dass unsere Eltern uns nicht verstoßen haben.😉
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Die Bösrichkeit benutzen wir nun, um über ihre Stimmungsschwankungen zu sprechen. Das ist eine wunderbare Brücke und schafft eine Distanz, die es leichter macht, zu sprechen. Liebe Grüße nach Italien
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