Sweet Sixteen

Welches ist das beste Alter, wann die beste Zeit? Gibt der italienische Film Gli anni più belli (in deutscher Fassung unter dem Titel „Auf alles, was uns glücklich macht“) ‒ großes Drama, ein bisschen Komödie ‒ Antwort auf diese Frage? Der Film erzählt die Geschichte von vier Freunden, die Anfang der 80er-Jahre im Alter von 16 eine unzertrennliche Clique waren und vermeintlich ihre beste Zeit hatten. In diesem legendären Alter, in dem man meint, die ganze Welt würde einem offenstehen. In dem man hört: Du hast das Leben noch vor dir! Stimmt sogar, ganz objektiv betrachtet. Warum gibt es dann in dieser grandiosen, alles versprechenden Zeit so viele Zweifel, so viel Missmut? Auch unsere Große ist gerade 16 geworden. Sie empfindet den gleichen Weltschmerz, den ich selbst ein wenig später hatte, um den 17. Geburtstag herum. Es ist das Gefühl, etwas zu verpassen. Plötzlich scheint das Leben schneller zu fließen. Diese wunderbare Fähigkeit im Augenblick zu leben, die unsere frühe Kindheit prägt, ist verloren gegangen. Das junge Menschenkind hat alles vor sich und es will alles sofort. Na ja, vielleicht nicht gleich alles, aber sehr viel. Große Gefühle. Freundschaft, die unzertrennliche. Bauchkribbeln. Vielleicht schon Liebe oder das, was es sich davon erträumt. Ist es der Tochter da ein Trost, wenn die Mutter damit anfängt, dass sie in ihrem Alter dieselben Probleme hatte? Außer Schule und Sport nix los. Interessante Jungs auf dem Kieker, aber keinen an der Angel. Freundinnen auf Zeit, Zweckbeziehungen, die bei der erstbesten Gelegenheit abtrünnig werden. Wenn es womöglich Spannenderes zu erleben gibt. Mit den anderen, die immer im Mittelpunkt stehen. (Damals die, die in der Hofpause das Sagen hatten, heute die mit den coolsten Stories auf Instagram). Ich bin froh, dass meine Tochter mir ihre Traurigkeiten anvertraut, auch wenn ich nur mit Lebenserfahrung punkten kann. Ich rede ihr gut zu, lache, ohne sie auszulachen. Ich rate ihr, sich nicht alles zu Herzen zu nehmen, nichts auf dumme, arrogante Bemerkungen zu geben, aber auch nicht jeden Kommentar auf die Goldwaage zu legen oder überhaupt auf sich zu beziehen. Dabei weiß ich genau, was leicht gesagt und schwer getan ist. Ich erinnere mich gut, wie die emotionalen Achterbahnfahrten zustande kamen. Die Vorfreude und Aufgeregtheit, die Sehnsucht nach ausgelassenen Stunden mit Freundinnen und der Tritt in die Magengrube, wenn es ganz anders lief als verhofft. Die gespitzten Ohren, wenn die anderen über IHN sprachen, wenn sie lachten und über ein Mädchen herzogen, dass ER voll bescheuert fände. Dann dachte ich, dass sie zweifelsfrei von MIR sprechen mussten. In einem Fall erfuhr ich später, um wen und was es bei so einem Getuschel tatsächlich gegangen war. Wie oft hatte ich mich getäuscht? Die meisten Situationen waren meine trüben Gedanken nicht im Ansatz wert gewesen. Ja: Es ist die beste Zeit, aber vielleicht auch die schwierigste. Überschwängliche Erwartungen ziehen die Enttäuschung schon im Schlepptau hinterher. 

Und doch: Träume, liebe Tochter! Du wirst sehen: Wenn du gar nicht daran denkst, an einem Tag, an dem du nichts erwartest, wird plötzlich alles stimmen und du das glücklichste kleine Menschenkind auf Erden sein. Und die Welt wird dir zu Füβen liegen. Bis dahin ist auch ein Zitat aus dem oben genannten Film ein passender Ratgeber. Giulio sagt zu seiner Tochter: „Geh niemals Kompromisse ein … für nichts und niemanden, für dich muss es stimmen, nicht für die anderen.“

Titelfoto: Symbolbild von Openverse.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

21 Kommentare zu „Sweet Sixteen

    1. Danke dir, liebe Bea! Richte ich aus. Was die tolle Mutter betrifft … ich gebe mir Mühe. Die Selbstzweifel heute sind anders als mit 16, aber trotzdem vorhanden.🤷‍♀️ LG Anke

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      1. Liebe Anke, Selbstzweifel sind ein Zeichen von Motivation und somit positiv und lobenswert. Stagnation ist der Tod…. von daher hast du alles richtig gemacht -> weitermachen! 🙂

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    1. Gern, liebe Sophie. Das ist immer eine schöne Bestätigung, wenn Texte die Leser ins Herz treffen. Bei diesem hier war es bei dir nicht schwer, schließlich stehen die Zeiten von Sweet Sixteen auch bei euch ins Haus! 😀 Danke und liebe Grüße nach Berlin!

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  1. Genießt es, es ist die schönste Zeit. Das habe ich oft von meiner Schwägerin gehört in Bezug auf unser erstes Kind. Und es hat mir immer Mut gemacht, wenn es gerade einmal nicht so einfach war, gerade beim Erstgeborenen. Aber es war auch so. Jedes Alter, jede Entwicklungsstufe hatte seine besonderen Schwierigkeiten und Freuden. Das Alter, das du beschreibst, hätte ich ähnlich wie du gesehen und genossen, aber ich war ein sehr ängstliches Kind und das alles hat sich erst viel, viel später verloren. Von Jungs und großer Liebe ganz zu schweigen. Heute denke ich, wie einst bei unseren Kindern, so auch bei mir: Jedes Alter hat seine schönen Seiten. Das Zitat ist sehr schön. Nur für andere sollte es wirklich nie stimmen und manchmal trifft man den Einen und dann stimmt es für beide.
    Liebe Grüße von der Oder 😉

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    1. Liebe Bettina, ja, ich genieße es gerade sehr, nachdem wir auch „härtere“ Zeiten von Auseinandersetzungen hinter uns haben, jetzt so vertrauensvoll miteinander zu reden und sowohl Sorgen als auch glückliche Erlebnisse mit ihr zu teilen. Es ist eine spannende Zeit, und ich fiebere, hoffe und freue mich mit ihr mit. Danke und liebe Grüße zurück!

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  2. Liebe Anke, das ist ein wirklich schöner Text und ein wichtiges Thema. In dieser angeblichen „Sweet-Sixteen“-Zeit des Aufbruchs und der existentiellen Zweifel in engem Kontakt zu unseren Kindern zu bleiben, ist aus meiner Sicht das Wichtigste und das scheint dir gut zu gelingen. Unsere eigenen bittersüßen Erfahrungen helfen dabei. Darüber zu lesen, hat mir an deinem Text sehr gefallen. Es ist auch für uns Mütter eine schmerzliche Zeit, aber es ist eben so, dass wir an Herausforderungen wunderbar wachsen können – wenn wir damit nicht ganz allein sind. Wie schön, dass das bei deiner Tochter so ist. Liebe Grüße aus Berlin, Roswitha

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    1. Danke, liebe Roswitha! Ich finde es auch erstaunlich (so klar es eigentlich ist), wie absolut vergleichbar die Gedanken und Gefühle und Sorgen sind, obwohl die Gegebenheiten, in denen die jungen Leute heute diese Zeit erleben, so anders sind als in meinem Fall Ende der 80er-Jahre in der DDR. Und die Oma könnte auch ihre Version berichten, das war kurz nach dem Krieg. Liebe Grüße zu dir!

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  3. Liebe Anke, ein sehr schöner und interessanter Text – und Spruch – , in dem ich einiges wiederfinde, was mir sehr bekannt ist, auch von meinen ehemaligen Schülerinnen, die mit mir einiges besprochen haben, was sie anderen nicht erzählt haben. Du bist eine großartige Mutter und hast eine wunderbare Tochter. LG Marie

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    1. Danke dir, liebe Marie. Schön, dass du Erinnerungen wiedergefunden hast und ich finde es auch fantastisch, dass du ein so vertrauensvolles Verhältnis zu deinen Schülerinnen hattest. Da gebe ich dein Kompliment direkt zurück, an eine großartige Lehrerin! LG Anke

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  4. Herzlichen Glückwunsch an Deine Tochter.
    Und Sag ihr, sie hat eine herzenswarme und sehr weise Mutter.
    Denn es ist so, wie Du es beschreibst.
    Und sag ihr auch, egal wie cool und selbstsicher die interessanten Jungs da draußen auch immer wirken mögen, es geht ihnen mit ihren unsicheren Gefühlen auch nicht anders als ihr.
    Ich muss es wissen 😉
    Gruß
    Muschelschale97

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    1. Danke, richte ich gerne aus! Ja, die „andere“ Seite möchte man auch gerne verstehen. Nun hatte ich keinen Bruder und habe selbst zwei Töchter. Die innere Welt der coolen Jungs bleibt mir leider verschlossen. 😉 Danke für deinen netten Kommentar, herzliche Grüße!

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