Perspektivwechsel

Der Osten des geteilten Deutschlands: „Diesseits der Mauer“ von Katja Hoyer wirft einen längst fälligen Blick hinter die Kulissen.

Es ist nicht so, dass ich darauf herumreiten will. Das tun schon die anderen. Aber wenn ein Buch durch alle Medien geht und ich dann lese, dass die Autorin nicht nur ostsozialisiert ist, sondern gleich drei Punkte in Sachen Herkunft (Strausberg, Mutter Lehrerin, Vater Offizier) mit mir gemeinsam hat, dann muss ich es lesen. Nicht, um die Erinnerungen abzugleichen. Katja Hoyer ist 1985, also dreizehn Jahre nach mir und nur vier Jahre vor dem Mauerfall geboren. Ihr Buch beruht nicht auf persönlichem Erleben, sondern auf fundierter Recherche, was der Job einer Historikerin ist. Sie lässt, und das macht den Reiz dieses besonderen Geschichtsbuches aus und verleiht ihm Authentizität, zu jeder Periode Zeitzeugen ihre Erlebnisse erzählen. Menschen aus dem Volk. Nicht aus elitären Strausberger Militärkreisen, sondern landauf, landab und aus allen gesellschaftlichen Schichten. Deshalb empfand ich es als irreführend, dass viele Artikel zu ihrem Buch in der Einleitung erklärten, wo die Autorin herkommt. 

Beim Erscheinen des Buches dachte ich: Nicht noch ein Rückblick auf die DDR, nun ist doch auch mal gut! Nach der Lektüre weiß ich: Noch lange nicht! Es ist Zeit, vorgefertigte Urteile zu hinterfragen und Stereotypen zu überwinden. Die spannendsten Figuren von Opfern, Tätern und korrupten Mitläufern haben ihren großen Auftritt auf den Bühnen der Literatur, des Films und der öffentlichen Diskussion gehabt. Hat man etwa Angst vor dem, was da womöglich auch noch war? In diesem Land mit 16 Millionen Einwohnern, die es vierzig Jahre lang recht gut ausgehalten haben. Zumal es jetzt, so heißt es vermehrt, zu einer „Verharmlosung“ kommt. Wer sagt das? Die, die ihre Schubladen schon geschlossen haben, nachdem der Ost-Teil Deutschlands in den ersten dreißig Jahren nach der Wende schnurstracks abgeurteilt worden war. Als der, in dem es eben schiefgelaufen war, unter der Fahne des Kommunismus und dem Einfluss der Sowjets.

„Es ist verlockend, den 3. Oktober 1990 als die Wiederherstellung des Status Quo in Deutschland zu deuten. Aber diese Interpretation setzt westdeutsch mit „normal“ gleich.“ (S. 531)

So läuft es immer in der Geschichte. Bricht ein System zusammen, haben die „Sieger“ die Hoheit auf die Wahrheit. Auf ihr Geschichtsbild, das sie sich als Systemkritiker von außen mit mehr oder weniger fundiertem Wissen gemacht haben. Ich schweife kurz nach Italien ab: Nach dem zweiten Weltkrieg dominierte in Italien die Selbstdarstellung in der Opferrolle, oder aber der Resistenza, des Widerstands. Die meisten Großväter waren plötzlich Partisanen und keiner war je bei den Faschisten oder gar Rassist gewesen. Von deutscher Seite sah man in Italien (und pauschalisierend in den Italienern) wohl lange Zeit eher den Verbündeten, der einen verraten hat. Beide Sichtweisen sind gleichermaßen zutreffend und einseitig. Neuerdings wird der Blick differenzierter, bringt man auch in Italien den Mut auf, sich historischen Tatsachen zu stellen. Repräsentativ für die neue Sicht auf die eigene Vergangenheit sind zwei jüngst erschienene literarische Werke: „Alle, außer mir“ von Francesca Melandri, das ich bereits gelesen habe und sehr empfehlen kann, und „Falls ich da war, habe ich nichts gesehen“ von Michela Marzano, das auf meiner Leseliste steht und zu dem es hier auf der Kulturbowle eine fundierte Besprechung gibt.

Lasst uns in Deutschland auch einen differenzierteren Blick auf unsere Geschichte werfen, die sich nach dem Krieg in zwei Ländern abgespielt hat. Genau wie auf die wechselvollen Beziehungen der beiden deutschen Staaten in den vierzig Jahren der Trennung. Ohne zu verharmlosen, ohne zu beschönigen. Aber auch darauf verzichtend, dem ostdeutschen Staat vereinfachend den Stempel der menschenverachtenden Diktatur aufzudrücken und ihn als Fehler abzuhaken, was das Leben der dort sozialisierten Menschen gleichermaßen zu einem unnützen, falsch gelebten Leben erklärt.

„In dieser Zeit fanden Ost- und Westdeutsche unterschiedliche Wege, mit den Schrecken des Nationalsozialismus und des Völkermordes umzugehen. Beide Systeme waren direkte Antworten auf diese Katastrophen, geboren aus demselben Gedanken: „Nie wieder“ darf von deutschem Boden derartiges Unheil ausgehen. Lange Zeit koexistierten beide als unterschiedliche Visionen, wie dies am besten zu erreichen sei. Dies zu akzeptieren und zu versuchen, die DDR in den Kontext der wechselvollen deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu stellen, ist nicht dasselbe wie eine Billigung der Berliner Mauer oder des Unterdrückungsapparats der Stasi. Es bedeutet zu akzeptieren, dass Ost- und Westdeutsche in den prägenden Nachkriegsjahrzehnten sehr unterschiedliche Realitäten erlebten, die beide Teil der nationalen Geschichte sind.“ (S. 532 f.)

Das Deutschland von einst, vor dem Krieg und auf dem Weg dorthin, wird es hoffentlich nicht mehr geben. Aber das neue, wiedervereinte Konstrukt ist eben aus zwei Teilen und zwei Geschichten zusammengesetzt. Nicht aus Richtig und Falsch, und Falsch wird unter den Teppich gekehrt. Wer das Pech hatte, auf der falschen Seite geboren worden zu sein, muss der sich schämen dafür? Eine Frage aus dem Klappentext von „Alle, außer mir“ scheint auch für das deutsch-deutsche Verhältnis anwendbar: „Was bedeutet es, zufällig im richtigen Land geboren zu sein, und wie entstehen Nähe und das Gefühl von Zugehörigkeit?“. Oder: Wie entstehen Ressentiments und Vorurteile? Sie entstehen dann, wenn man sich nicht zuhört. Ich selbst nehme mich nicht aus, habe definitiv viel zu wenig über das reale Westdeutschland erfahren. Aus der Sicht derer, die dort aufgewachsen sind. Ein Buch wie das von Hoyer, aber über den westlichen Teil des geteilten Deutschlands, würde ich gerne lesen. Um das Bild zu vervollständigen. Keiner hatte die Wahl, auf welcher Seite des Eisernen Vorhangs er geboren wurde. Uns allen wurde die Realität jenseits der Mauer aus politischer Motivation heraus einseitig dargestellt. Es ist unser aller Recht und Pflicht zugleich, die Dinge unvoreingenommen aufarbeiten zu dürfen. Die politischen Machthaber der DDR wollten ihre Bürger zum vermeintlichen Glück in einer klassenlosen Gesellschaft und zum Leben in dem von ihnen definierten System zwingen. Das war falsch. Aber es waren wenige, die sich tagein, tagaus gezwungen und als Opfer fühlten. Auch wenn sich das zuweilen anders anhört. Wäre dieses Land nur unmenschlich gewesen, wäre das Experiment viel eher abgebrochen worden. Es muss gute Gründe gegeben haben, und zwar für die breite Masse, mitzumachen. Da fällt mir der Titel einer Sportsendung im Kinderprogramm des DDR-Fernsehens ein, die hieß: „Mach mit, mach’s nach, mach’s besser!“ Ein Motto, das man auf das Land übertragen und sagen könnte, dass es viele Menschen inspirierte. Allein mit schweigenden Mitläufern hätte es nicht so lange funktioniert. Oder doch? Baute die staatstragende Idee auf Mitwirkung oder Unterordnung? Lohnte es sich, sich im Kollektiv bei der Arbeit zu engagieren, oder lebte man nur für den Feierabend? Seinen Lohn hatte man doch sicher. All diese Ambivalenzen versucht Hoyer zu erklären und mit ausgiebiger Recherche Licht ins diffuse Bild des realsozialistischen Staates auf deutschem Boden zu werfen.

Ich selbst wurde 1972 geboren, mein eigenes Erinnern setzt erst weit nach der Hälfte des Buches ein. Bei Kapitel 7, das so nett mit „Planmäßige Wunder“ betitelt ist. Bewusst erlebte ich das Ende der Ära Honecker, die mit dem Ende der DDR einherging. Den größten Teil des Buches las ich also gleichermaßen als Unbetroffene, nur waren mir gewisse Geschehnisse aus dem Geschichtsunterricht oder den Erzählungen meiner Eltern bekannt. Ich empfand es als hochspannend, neue Hintergründe und Argumente für die Probleme und Phänomene in meinem Geburtsland zu erfahren. Aber das Buch setzt noch viel früher an, arbeitet die Vorgeschichte auf und erklärt, dass die DDR eben kein reines Produkt des sowjetkommunistischen Einflusses war, sondern auf den Traditionen der deutschen Arbeiterklasse und ihren Ideen, immer in kritischer Abgrenzung zur Sowjetunion, beruhte. Da gab es die Kommunisten, die erst unter Hitler um ihr Leben kämpfen mussten, um später im Moskauer Exil bei der „Großen Säuberung“ als vermeintliche Verräter unter Verdacht zu geraten und wieder ins Gefängnis zu kommen. Wer es zweimal durch die Hölle schaffte, musste schon aus hartem Stahl oder ein grandioser Opportunist gewesen sein. Vertreter von beiden Charakteren hatten 1945 die Gelegenheit zur Verwirklichung ihrer Idee, aus den Trümmern im Ostteil ein Land nach humanistischen Grundsätzen aufzubauen.

Ich suche in Katja Hoyers Kapiteln vergeblich nach „Verherrlichung“ oder „Schönreden“ des sozialistischen Experiments auf deutschem Boden. Da gibt es auch keine Verharmlosung. Sie schreibt sogar sehr offen und teilweise schonungslos von politischen Machenschaften und der paranoiden Art, vermeintliche Feinde aus dem Weg zu räumen, vermittelt einen Blick hinter die Kulissen der offiziellen Sprachregelung im Neuen Deutschland (führende Tageszeitung und Zentralorgan der SED). Es ist einfach an der Zeit, dass an die Stelle der Vereinfachung und Banalisierung aus der Perspektive des Westens eine umfassendere Betrachtung tritt. Eine Betrachtung und Analyse aus der Perspektive derer, die die Realität gelebt und mitgeschaffen haben. Ob sie nun an das sozialistische System glaubten oder nicht. DDR-Bürger, die sich spätestens ein, zwei Jahre nach dem Fall der Mauer als Verlierer der Geschichte fühlten, die gab es bekannterweise zuhauf. Es waren wohl vor allem viele einfache Menschen, denen der Boden ihrer gesicherten Existenz unter den Füβen weggezogen wurde. Die nicht flexibel genug waren, sich auf den neuen Zeitgeist und die harten Gesetze der Marktwirtschaft umzustellen. Und die sich dann schämten, nicht auf der richtigen, der Sonnenseite der Geschichte geboren worden zu sein. Aber was bitte schön heißt „richtige Seite“? Zum Kalten Krieg, zum Wettrüsten und Systemwettstreit brauchte es zwei Seiten.

Nun ist es mal gut damit? Nein, es braucht einen Perspektivwechsel. Nach fast vierzig Jahren ist es Zeit, auch denen eine Stimme zu geben, die sich bisher nicht zu reden getraut haben, denn wie hätten sie denn dagestanden. Es geht nicht um einen radikalen Sichtwechsel, ein Tabula rasa in der Geschichtsschreibung. Vielmehr um den Versuch und die Chance, ein ausgewogenes Bild im klaren Licht zu finden. In einem Licht, das in alle Ecken fällt, alle Realitäten ausleuchtet. Die Wahrheit liegt nicht einfach in der Mitte, sondern sie hat viele Facetten und Interpretationen. Gern würde ich „Diesseits der Mauer“ mit meinem Vater, der vor fünf Jahren verstorben ist, gemeinsam lesen. Ich bin mir sicher, auch er könnte zu vielen darin angesprochenen Themen wertvolle Erinnerungen beitragen. Mein Vater gehörte zu den enthusiastischen Jugendlichen nach dem Krieg, die sich für die Idee des Sozialismus begeisterten. Als Dreizehnjähriger mit seiner Familie aus Schlesien ins ausgebombte Dresden umgesiedelt, weinte er nicht der verlorenen Heimat nach, sondern packte mit an, dieses neue Leben aufzubauen. Sicher würde er mir heute Details „von hinter der Bühne“ berichten, für die ich Ende der 80er-Jahre, am Ende der DDR, zu jung war und die er sicher auch nicht weitergeben durfte.

Katja Hoyer: Diesseits der Mauer. Eine neue Geschichte der DDR 1949 – 1990. Hoffmann und Kampe, 2023.

„Diesseits der Mauer“ erzählt meiner Ansicht nach keine neue Geschichte, wie im Untertitel proklamiert, sondern ist endlich eine umfassende, differenzierte, unvoreingenommene Aufarbeitung. Wer mir bis hierher gefolgt ist, sollte das Buch lesen. Es stellt eine absolute Bereicherung für alle dar, die sich für die Nachkriegsgeschichte ihres Landes interessieren und sich fragen, warum es im wiedervereinigten Deutschland immer noch eine Ost-West-Diskussion gibt.

Titelfoto: Symbolbild von Pexels

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

39 Kommentare zu „Perspektivwechsel

  1. Liebe Anke, danke für diese Darstellung. Ich werde gleich mal bei HoCa das eBook bestellen, du hast mich im positiven Sinn neugierig gemacht.
    Ich brauche noch ein passendes Buch für die herbstliche Vorstellungsrunde Ende Oktober in unserer Stadtbibliothek, ich glaube, jetzt habe ich eines.
    Im Übrigen gilt ähnliches wie du beschrieben hast, ja im Rückblick für viele Menschen während des NS-Regimes. Und wenn man es richtig konsequent zu Ende denkt, wird es auch aktuell zumindest bei Einigen in die Richtung gehen. Angst, sein Leben irgendwann nicht mehr bestreiten zu können. Und nicht jeder hat den vollen Durchblick (wenn man ihn denn überhaupt haben kann…). Auch das darf man nicht vergessen.

    Gefällt 1 Person

    1. Liebe Annuschka, es freut mich, dass ich dein und das Interesse einiger hier wecken konnte. Das Buch ist im Mai dieses Jahres erschienen und schon in der sechsten Auflage, las ich kürzlich bei der Berliner Zeitung. Ich bin gespannt, welche neuen Aspekte du für dich darin findest.

      Gefällt 1 Person

  2. Liebe Anke, das ist eine interessante Buchbesprechung. Zwar habe ich die DDR nie so richtig erlebt wie die früheren Jahrgänge, aber selbst Jahre nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung habe ich noch viel vom Geist des Sozialismus erfahren können. (Das wurde auch nicht von heute auf morgen abgedreht, obwohl viele Menschen in der DDR besonders in der frühen Nachwendezeit alles „Ossimäßige“ abstreifen wollten. Das war, bevor die sogenannte „Ostalgie“ anrollte.)
    Ich konnte nie etwas mit dem 3. Oktober anfangen. Als ich noch in Deutschland gewohnt hatte, war er mir ein willkommener Feiertag, mehr aber auch nicht.
    Für den 9. November hege ich starke Emotionen. Aber weil es auch einen anderen 9. November gibt, wurde der 1989er wahrscheinlich nicht zum Feiertag erkoren.

    Gefällt 2 Personen

    1. Dankeschön!
      Stimmt, da geht es mir genauso, und sicher vielen anderen. Der 3. Oktober ist eine formale Sache, und damals im Jahr 1990 war die Stimmung auf beiden Seiten auch längst nicht mehr so euphorisch wie am 9. November 1989. Sicher erklärt das Buch, warum die Menschen ihre heute immer als Ostsozialisation bezeichnete Vergangenheit nicht so einfach abstreifen können. Müssen sie auch nicht. Sie sollte als ein allseits anerkannter Teil der Biografie gesehen werden, ohne Vorurteile oder Rechtfertigungszwang.

      Gefällt 2 Personen

  3. Auch ich sage DANKE für die Vorstellung des Buches., die mich sehr neugierig gemacht hat. 
    Das Buch kann ich in drei Wochen in unserer Bibliothek ausleihen👍 und werde dann aus einer anderen Perspektive über mein Leben in der DDR nachdenken können.  

    Gefällt 3 Personen

  4. Liebe Anke! Vielen Dank fürs Verlinken – Michela Marzanos Buch ist wirklich sehr zu empfehlen und absolut lesenswert. Ich bin schon gespannt auf Deine Meinung.
    Ich hoffe, Du hast diesen wichtigen und denkwürdigen Tag (wenn auch in Italien kein Feiertag) heute gebührend gewürdigt (was ja Dein heutiger Blogbeitrag schon beweist) und ein wenig gefeiert. Sonnige und herzliche Feiertagsgrüße nach Italien! A presto e buona serata! Barbara

    Gefällt 1 Person

    1. Liebe Barbara,
      sehr gern geschehen! Ich bin noch am Abwägen, ob ich die deutsche Übersetzung oder Marzanos Original hole. Vielleicht wage ich mich mal wieder an ein Original, dann kann ich es hier auch im Freundeskreis weitergeben.
      Ja, ich würdige den Tag, im Büro gab es weniger Anfragen, weil die Deutschen ja nicht arbeiteten, aber ansonsten feiern wir nicht. Der Mauerfall ist da schon was anderes, die Kolleg*innen erinnern sich noch daran, dass ich 2019 Kekse in Form von Mauerstücken mitgebracht hatte. Vielleicht im nächsten Jahr wieder, zum 35. Jahrestag.
      Herzliche Grüße ins sonnige Bayern!

      Gefällt 1 Person

  5. Dankeschön, Anke, gehört habe ich natürlich schon viel über das Buch. Gelesen habe ich es nicht und es steht nun auf meiner Liste. Es gibt noch oft Situationen, in denen man sich ärgert. Freunde, die sich nicht trauen in die Öffentlichkeit zu treten, weil sie glauben, Dinge aus der Vergangenheit werden ans Licht geholt, überprüft, bewertet und dienen zum Nachteil. Ob das jemals aufhören wird, das Beäugen der Menschen, die friedlich einen Umbruch geschafft haben und sich am Ende rechtfertigen müssen, wofür auch immer?! Wem steht es zu, zu urteilen? Jeder Mensch strebt doch nach einem sinnerfüllten Leben. Dazu gehört es, sich den Gegebenheiten anzupassen. Wie könnte man sonst einen wahrhaften Sinn finden? Und in vielen Nachhineinbetrachtungen wird der Boden ins Wanken gebracht, worauf der Sinn entstanden ist. Ich betrachte das als unfair. Die derzeitige Situation in Europa hat innerdeutsche Gegensätze kontrastiert, die eigentlich allmählich verblassten.
    Liebe Grüße, Bettina

    Gefällt 2 Personen

    1. Liebe Bettina,
      ja, so ist das mit Betrachtungen im Nachhinein immer, vor allem, wenn sie von Außenstehenden kommen. Die, die dabei waren, sollte man hören, wenn sie berichten wollen und nicht drängen, wie du richtig sagst, sich zu rechtfertigen. Dass die neuen Probleme in Europa gerade die Trennung der Deutschen eher befeuern als die Einheit stärken, ist schon sehr traurig. Ach Mensch, ich hoffe sehr, ihr kriegt das gemeinsam hin, damit nicht die Falschen von den Zwistigkeiten profitieren.
      Liebe Grüße Anke

      Gefällt 2 Personen

    1. Sehr gern, liebe Clara. Ich bin gespannt, was du zu den verschiedenen Aspekten meinst, die da erörtert werden. Du hast schließlich eine Menge miterlebt und durchgestanden. Liebe Grüße nach Berlin!

      Like

      1. Ein bisschen geschichtsbuchmäßig ist es schon, ja. Aber gut gemischt mit geschildertem Erleben von Zeitzeugen und spannenden Hintergründen zu den Querelen innerhalb der Partei und im Land, im Verhältnis zur UdSSR, zu der Bundesrepublik …

        Like

  6. Danke. Das Buch ist direkt auf meine Leseliste in Libby gewandert. Ich bin 1971 in der DDR geboren. Letzter Abiturjahrgang der DDR, ich habe gerade noch ein Semester in der DDR studiert und dann gut „die Kurve“ in den Westen gekriegt. Mir geht es heute gut, mir wäre es auch ohne die Wende gut gegangen. In meiner Kleinstand lief das Leben entspannt, man quatschte in der Pause mit den Lehrern über die Vorabendserien aus dem Westfernsehen. Trotzdem hatte man gelernt, sich nicht zu politischen Äußerungen provozieren zu lassen. Meine Eltern haben, wenn es darauf ankam ihre Meinung laut und deutlich gesagt, ohne dass es Repressionen gab. Sie mussten nach der Wende mühsam die Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse/Studium durchsetzen, die Betriebe gingen den Bach runter. Auch sie haben die Kurve gut gekriegt. 
    Als ich vor Jahren in Berlin in der Hitler-Ausstellung war, war ich entsetzt. Da hieß es, „ die DDR sei der deutschere Staat gewesen“. Und wirklich all die Halstücher, Trommeln, Appelle, Fackeln usw. waren mir mächtig vertraut, die Bilder waren quasi die meiner Kindheit. Was mir davon heute fehlt, ist die gemeinsame Arbeit, mal sich selbst hinter dem „Kollektiv“ zurückstellen und tun, was getan werden muss und dann gemeinsam auf das Geschaffte stolz sein können. Das war bestimmt nicht schlecht und fehlt uns m.E. heute.

    Gefällt 2 Personen

    1. Ah, interessant! Du warst also eine Klassenstufe über mir. Wir hatten die Wende mittendrin, während des Abiturs musste plötzlich improvisiert werden, na ja, eigentlich nur in Bezug auf Staatsbürgerkunde. Zum Glück galten Naturwissenschaften, Sprachen usw. ja uneingeschränkt weiter. 😉
      Vielen Dank für deinen interessanten Beitrag zum Thema und eine gute Lektüre!

      Gefällt 1 Person

  7. Hallo Anke, danke für den Hinweis zu dem Buch. Ich will es mir besorgen und lesen.
    Ich bin in der bayrischen Rhön groß geworden. Nur 6 km von der Grenze entfernt. Es gab viele Geschichten und die „Welt“ hörte an der Grenze für mich einfach auf. Als die Mauer fiel war das für mich befreiend. Als hätte man Türen eingerissen, in meinem Haus. Ich kriege noch immer eine Gänsehaut, wenn ich daran denke.
    Leider ist die Stimmung im Westen ganz schnell gekippt. Nach einer Woche war die Euphorie vorbei.
    Schade

    Gefällt 2 Personen

    1. Hallo Gretl,
      da hast du ähnlich empfunden, so nah an der Grenze zur „anderen Seite“, wie wir damals in Berlin, wenn wir die Hochhäuser in Westberlin im Vorbeifahren aus der S-Bahn sahen. Ich verstehe gut, dass es für dich ein Gänsehautmoment war, als die Grenze geöffnet wurde. Und ich verstehe auch deine Enttäuschung über die schnelle Ernüchterung. Schön, dass ich dich zur Lektüre dieses Buches anregen konnte. LG Anke

      Gefällt 1 Person

  8. Liebe Anke, dein Text, der in vielerlei Hinsicht ganz anders ist als die Beiträge, die ich sonst von dir kenne, hat mich berührt und nachdenklich (und neugierig auf das Buch) gemacht. Er passt thematisch sehr gut zu deinem Artikel, der neulich in der Berliner Zeitung erschienen ist, und zu deinem Buch, das ich – wie du ja weißt – sehr gern gelesen habe.
    Diese kritischeren Töne stehen dir gut. Langsam lerne ich die ganze Bandbreite deines schriftstellerischen Talents kennen. Das beeindruckt mich. Weiter so!!!
    Herzliche Grüße aus Berlin! Sophie

    Gefällt 1 Person

    1. Danke, liebe Sophie. Dein Lob tut mir sehr gut, du weißt ja, man hat immer mal Krisen, in denen man nicht so recht an seine Sachen glaubt. Oder es passiert sowas, wie auf den Artikel bei der BZ. Da hat doch tatsächlich eine sich die Mühe gemacht, mich aufzufinden und mir eine Hass-Mail zu schreiben. Ich habe sie schnell gelöscht, aber einige irre Formulierungen sind noch im Kopf. Da sieht man, was es mitunter bedeuten würde, als (Meinungs-)Journalistin zu arbeiten, die müssen richtig viel in der Art aushalten. Deshalb schreibe ich auch lieber „tuttopaletti“-Beiträge, die nicht direkt kritisieren, sondern unterhalten und dann und wann leichte Denkanstöße geben. 😊
      Dieser Text hier, der so anders ist, lag mir am Herzen und ich fing schon an, ihn zu schreiben, bevor ich das Buch ganz ausgelesen hatte. Es hat so viel im Kopf in Gang gesetzt. Ich freue mich, dass es auf meinen Beitrag hin nun noch ein paar Menschen mehr lesen wollen. Ich werde mal bei Frau Hoyer Provisionen anfragen. 😉 Aber es ist ohnehin schon ein Bestseller und in der 6. Auflage, stand neulich in der BZ.
      Danke für dein Kompliment und deine Unterstützung! Sie bedeuten mir sehr viel.
      Liebe Grüße nach Berlin!

      Gefällt 1 Person

      1. Hass-Mail?!?! Das finde ich wirklich krass und ich kann vielleicht sogar ein bisschen nachvollziehen, wie du dich fühlst. Bei meinem Job bekomme ich auch ab und zu Lesermails, normalerweise solche, in denen ein Leser einen Fehler in meinem Artikel aufdeckt (meistens übrigens nur vermeintliche). Ich habe aber auch schon richtig schlimme Nachrichten bekommen, zum Beispiel auf einen Artikel, wie man als Familie seinen CO2-Ausstoß verringern kann. Ich finde es schwer, sich davon nicht beirren zu lassen, ich habe kein besonders dickes Fell. Aber ich sehe es so: Eine Hass-Mail sagt nur etwas über den Verfasser aus, nichts über einen selbst.
        Ich finde es toll, was du machst!!! Lass dich nicht unterkriegen.

        Gefällt 1 Person

      2. Mach ich!
        Da hast du Recht. Denn Kritik oder eine gegensätzliche Meinung kann man auch mit Respekt vortragen. Solche Schreiberlinge disqualifizieren sich nur selbst. Hier bei uns in Italien nennt man sie „i leoni della tastiera“, die Löwen der Tastatur, die digital mit Verunglimpfungen um sich werfen und im wahren Leben vermutlich nicht in der Lage wären, offen zu diskutieren.

        Like

  9. Liebe Anke, danke für diesen sehr engagierten und nachdenklich stimmenden Text. Das Thema Ost-West und wie wir uns gegenseitig sehen und einordnen, ohne unsere Leben damals wirklich zu kennen, bewegt mich auch immer wieder. Ich hatte dir- wenn ich mich richtig erinnere – in Zusammenhang mit einem anderen Beitrag schon mal davon berichtet, dass E. und mich das Thema auch umtreibt, weil wir kurz nach der Wende im Ostteil von Berlin gearbeitet haben, sozusagen dorthin geschickt wurden, völlig unvorbereitet. Wir wollten dazu eine Blog-Reihe veröffentlichen. Dein Text hat mich sofort daran erinnert, dieses Projekt nicht zu vergessen und mit Kolleginnen und Kollegen von damals aus Ost und West ins Gespräch zu kommen. Danke für deinen Beitrag! Und auf das Buch bin ich auch sehr neugierig geworden..
    Liebe Grüße aus Berlin, Roswitha

    Gefällt 1 Person

    1. Liebe Roswitha, vielen Dank für deinen netten Kommentar! Dein Projekt klingt hochinteressant, bitte setze es um, ich bin sehr gespannt auf die Berichte. Diese Zeit damals war für beide Seiten nicht einfach. Liebe Grüße nach Berlin!

      Like

      1. Hallo lieber Gerald, leider habe ich deine Antwort auf meinen Kommentar aus irgendwelchen Gründen übersehen. Entschuldige daher bitte meine späte Reaktion. Wir haben seit einiger Zeit vor, uns auf unserem Blog mit dem Thema zu beschäftigen. Direkt nach der Wende waren meine Freundin und Kollegin und ich im Ostteil von Berlin tätig. Über unsere Erfahrungen und auch die Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen aus den damaligen Ostberliner Bezirken würden wir gern eine Art Schwerpunkt machen. Rückblickend und selbstkritisch betrachtet haben wir einiges zu erzählen und würden gern verschiedene Perspektiven darstellen. Wir können gern darüber in Kontakt treten. Herzliche Grüße Roswitha

        Like

  10. Ich danke ganz sehr für diese Buchbesprechung.

    Ich bin insofern bezüglich des Buches verunsichert, als es in den institutionalisierten Rezensionen nach meiner Wahrnehmung eher verrissen wurde. Wenn ich aber nun lese, wie Du, liebe Anke es siehst, scheint mir eine andere Wahrheit auf dem Tisch zu liegen, als jene derer, die den Verriss zu ihrer Meinung machen.

    Du schreibst aus der Perspektive einer offensichtlich originär anderen Herkunfts-Perspektive als jene anderen Kritiker. Und nun werde ich es wohl selbst lesen müssen, weil ich auch vom Schlag „in Strausberg geboren, Vater geboren in Oberschlesien und in der DDR Offizier“ bin. Uns unterscheidet diesbezüglich nur noch, dass ich 1972 eingeschult wurde und männlichen Geschlechts bin.

    Gerne Direkt-Nachricht an mich.

    Muschelschale97

    Like

Hinterlasse eine Antwort zu Gerald G. Antwort abbrechen