Wirklich verboten

Der Italiener und gutgemeinte Hinweise

Die Italiener sind besonders streng, könnte man denken und sich als Deutscher wundern. Immer wieder lese ich auf Verbotsschildern, dass etwas nicht nur „proibito“ beziehungswiese „vietato“ (verboten) ist, sondern „severamente“ (streng) oder „assolutamente“ (absolut) verboten. Es reicht offensichtlich nicht, etwas nur zu verbieten. Vielleicht trifft zu, was mein Mann mir immer wieder erklärt: Ein Verbot ist in Italien ein gutgemeinter Hinweis, den man befolgen kann oder auch nicht. Schließlich besitzt man gesunden Menschenverstand und kann die Situation selbst einschätzen. Während diese Einstellung in Süditalien sogar bei roten Ampeln funktionieren soll (ich kann es nicht persönlich bestätigen, aber es wurde mir von verschiedenen Seiten zugetragen), gilt sie in Norditalien definitiv an Fußgängerüberwegen. Hier handelt es sich nicht um ein Ver- sondern um ein Gebot, und auch das wird gerne frei interpretiert. Man kann anhalten, muss aber nicht. Je nachdem. Krass ist der Unterschied im Vergleich zur nahegelegenen Schweiz. Im Tessin, wohin ich jeden Tag zur Arbeit fahre, werden Zebrastreifen „absolut“ respektiert. Beinah halten Autofahrer vorsichtshalber an, es könnte doch plötzlich ein Fußgänger aus dem Nichts auftauchen. Kommt man aber über die Grenze nach Italien, sind es die Fußgänger, die dem Autofahrer mit erhobener Hand danken, wenn er für sie bremst. Unseren Kindern trichterten wir deshalb ein: Geht ausschließlich an Fußgängerüberwegen über die Straße und erst dann, wenn tatsächlich alle anhalten. Bildet euch nicht ein, ihr seid im Recht und selbst wenn ihr das seid, besteht nicht darauf, sondern wartet ab. Im italienischen Straßenverkehr einigt man sich lieber, statt stur irgendwelche Regeln zu befolgen. Als ob der Italiener Ver- und Gebote zwar sieht, aber für sich selbst entscheidet und auf die jeweilige Situation bezogen anwendet. Am Fußgängerüberweg denkt er sich: Der kann warten, ich müsste bremsen. Oder: Nach mir ist kein Auto in Sicht, da hat er alle Zeit der Welt. In der Schweiz würde ein Wagen halten, der allein auf einer kilometerlangen geraden Straße fährt, um einen Fußgänger überqueren zu lassen. Vorschrift ist Vorschrift. Man könnte beide Phänomene abwertend beurteilen, den Schweizern blinden Gehorsam, den Italienern Anarchie vorwerfen.

Wie ist das bei euch in Deutschland? Ich frage, weil ich in meiner alten Heimat nie selbst Auto gefahren bin. Würde ich dort mit meiner italienischen Tendenz zum Sich-Arrangieren oder Sich-Einigen auf Protest stoßen, womöglich mit einem Bein im Knast stehen? Hier in Italien gilt am Ende, und zwar nicht nur im Straßenverkehr: Wo kein Kläger, da keine Strafe. Deshalb sind auch die strikten, strengen, absoluten, totalen Verbote nur ein Versuch, etwas zu regeln. Wenn keine Konsequenzen drohen, bleibt die Einhaltung der Vorschrift dem guten Willen überlassen. Und diesen hat man, oder man hat ihn nicht.

Titelfoto: Verbotsschild am Lago Ceresio: „È severamente vietato salire sugli scogli.“ Es ist strengstens verboten, auf die Felsen/Klippen zu klettern. Wo die sind? Egal! Hauptsache, es ist verboten.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

26 Kommentare zu „Wirklich verboten

  1. Eine wunderbare Alltagsbeobachtung,
    liebe Anke. ✨ Hier ist’s mal so, mal so. Doch seit wir Bianco haben und er in der Trage bei mir „mitfährt“, ist das eigentlich eine Garantie, dass Autofahrer anhalten. Vermutlich haben sie Angst, dass ich mit der Trage
    nicht hinter Signorino hinterherhechten kann. 😄

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    1. Auf jeden Fall stecht ihr als Dreigespann ins Auge und erhöht den Aufmerksamkeitsgrad der Autofahrer. Gebt trotzdem immer gut acht, ihr Lieben!

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  2. Liebe Anke hier in D halten sich alle Verkehrsteilnehmer immer ein bisschen weniger gut an die Regeln, und ich sehe täglich mehr Fahrzeuge, die über deutlich rote Ampeln brettern! Und das, obwohl der gemeine Deutsche doch an und für sich so pflichtbewusst ist. :-/
    Und ganz besonders schlimm verstoßen Radfahrer gegen das Regelwerk … Da kann man in der Rushhour manchmal nur beten, dass es nicht alle Futte lang kracht!
    LG Bea

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      1. Die sind aber auch gefährliche oder besser gesagt, unsichere Elemente im Verkehr. Es wird nicht einfacher, gegenseitige Rücksichtnahme von allen ist die einzige Lösung.

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  3. „Übern Schutzweg geh mein Lieber schnellen Schrittes stets hinüber“ das sagt Robbilein zu Clown Ferdinand auf der Schallplatte „Ferdinand, paßt auf. Kannst du dich erinnern? Die habe ich mir in Auszügen aufgrund deines Beitrags angehört. Verkehrserziehung in der DDR. Fußgängerschutzweg hieß der Überweg damals bei uns. Und natürlich halte ich rechtzeitig 😉
    Bin dann mal im Urlaub. Mal gucken, wie die Österreicher bei den Verkehrsregeln so drauf sind.

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    1. Liebe Bettina, nein, diese Schallplatte kenne ich nicht, ich schaute den super sympathischen Clown Ferdinand immer im Fernsehen. Den Begriff Fußgängerschutzweg habe ich auch nicht parat. Nett, dass du diese Erinnerungen mit uns teilst. Hab einen erholsamen, straßenverkehrsberuhigten 😉 Urlaub!

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  4. In Österreich gilt es anzuhalten, wenn ein Fußgänger auf dem Gehsteig zum Zebrastreifen hintritt. So ist die Theorie, die Praxis kennt dann alle Spielarten. Wer als Fußgänger gesund bleiben will, schützt sich und steht selbst so lange, bis jedes Fahrgerät tatsächlich vorm Zebrastreifen still steht (Betonung auf „still“, also richtig still, null Bewegung in den Rädern, nicht einmal rollen darf es, ansonsten kann es sehr rasch gefährlich werden, wenn sich Bleifüße entkoppelt von Hirnsteuerung aufs Gaspedal senken!)

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  5. Schöne Beobachtung. Mir hat man als Kind beigebracht, dass im Recht und doch überfahren nichts bringt. Also kann es schon damals nicht so vorbildlich gewesen sein. Es gibt unter allen Verkehrsteilnehmern solche und solche. Am Zebrastreifen ist es meist ganz ok. Unbedachtes Autotür aufreißen neben Radwegen kommt auch vor.

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  6. In Berlin erlebe ich es als eine absolute Ausnahme, wenn Autos an einem Fußgängerüberweg ohne Ampel halten. Mich ärgert das und ich laufe manchmal bewusst auf die Straße – natürlich nur dann, wenn ich überzeugt bin, mich nicht in Gefahr zu bringen. Was mich besonders ärgert ist, wenn Autos nicht einmal anhalten und sehr langsam fahren, wenn weiter hinten eine Ampel rot ist. Oder wenn es stark regnet und Fußgänger völlig durchnässt an der Straße stehen und darauf hoffen, diese überqueren zu können. Schade ist das. Ich frage mich, warum so wenig Umsicht und Empathie vorhanden ist. Aber natürlich gibt es auch Ausnahmen und die bereiten besondere Freude.

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    1. So ist es liebe Roswitha, es gibt auch umsichtige Verkehrsteilnehmer. Und wenn ich halte und mir dankt der Fußgänger, ist es auch eine nette Geste.
      Herzliche Grüße nach Berlin!

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  7. Verlassen würde ich mich in Berlin auch nicht darauf, dass Autos am Zebrastreifen anhalten. Aber anders als Roswitha erlebe ich es nicht als Ausnahme, wenn Autos stehen bleiben. Kommt wahrscheinlich auf die Gegend an!
    Ich komme gerade aus einem Urlaub in den USA zurück – und da halten die Autos wirklich IMMER am Zebrastreifen. Da braust auch niemand auf eine Kreuzung zu. Hatte ich mir anders vorgestellt.
    In Deutschland gibt es übrigens auch Schilder, mit denen etwas „strengstens“ verboten wird. Das finde ich typisch deutsch. 😉

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    1. Interessant! Ich war in den 90er-Jahren ein paar Mal in den USA, und habe damals gar nicht darauf geachtet. Ich fuhr auch selbst noch kein Auto, um mich für die Verkehrsregeln und das Verhalten der Beteiligten zu interessieren.
      Und dass in Deutschland Verbote noch einen bekräftigenden Zusatz braucht, war mir ebenfalls nicht bewusst. Vielleicht ist das auch regional unterschiedlich.
      Danke für deine Gedanken und Erlebnisse zum Thema, liebe Sophie!

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