„Nachhaltigkeit ‒ das ist eine Qualität, die wir heute in allen möglichen Bereichen des Lebens einfordern. Diese Biographie eines Jahrtausendbuchs handelt von einem ans Wunderbare grenzenden Fall von Nachhaltigkeit, nämlich von der erstaunlichen Wirkung, die nun schon seit 700 Jahren beinahe ununterbrochen von Dantes Göttlicher Komödie ausgeht und sich seit mehr als 100 Jahren über fast alle Teile unseres Globus erstreckt.“
Franziska Meier
Besuch in der Hölle*, Verlag C.H.Beck, 2021, Vorwort S. 7.

Was dem einen seine Hölle, das ist dem anderen sein Paradies, denke ich zuweilen. So kann es in den Sommerferien noch so heiß sein, als Urlauber nimmt man es gelassen. Touristen wie wir laufen sogar Mitte August bei an die 40 Grad durch die Altstadt von Florenz. Auch wenn man dort an jeder zweiten Ecke an Dantes Inferno erinnert wird, sei es durch Tafeln mit Zitaten aus der Göttlichen Komödie oder Lokale, die des Dichters oder seines Werkes oder der Hölle Namen tragen, nimmt man es leicht und fühlt sich wie im Paradies. Es ist schließlich alles so göttlich schön, historisch wertvoll und in der ganzen Welt berühmt. Und man ist im Urlaub. Im Jahr 2021 ‒ von jenem Sommer berichte ich hier ‒ feierte Italien das Dante-Jahr, zu Ehren des 700. Todestages des florentinischen Dichters. In Deutschland veröffentlichte die Romanistin Franziska Meier zu diesem Anlass ihre „Biographie eines Jahrtausendbuchs“, in der sie zu ergründen sucht, was den unerklärlichen Erfolg der Göttlichen Komödie erklärbar macht. Ein Ruhm, der im Mittelalter begann und sich bis in die Gegenwart fortsetzt, über Italien und Europas Grenzen hinaus in aller Welt. „Besuch in der Hölle“ ist ein reiβerisch anmutender Titel. Aber er liegt nahe, wird Dante doch vor allem mit dem Inferno assoziiert, selbst von Menschen wie mir, die das Werk nie gelesen haben. In welcher Übersetzung auch, da fängt das Dilemma schon an. Da ich nur einzelne Zitate und Anspielungen kenne, wollte ich mir zumindest einen kulturellen Zugang verschaffen und besorgte mir auf eine Empfehlung hin Meiers Buch. Vielleicht kann es auch meinen Töchtern einmal von Nutzen sein. Da jedes der 14 Kapitel einen bestimmten Aspekt beziehungsweise eine Epoche der Rezeption des Werkes behandelt, können sie unabhängig voneinander gelesen werden. Franziska Meier schreibt unterhaltsam und macht es auch Nicht-Literaturwissenschaftlern leicht, sich mit diesem kulturellen Phänomen von literarischer Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen.




Aus heutiger Sicht könnte man fragen: Welcher moderne Dichter (Poetry Slammer) würde sich nicht gern dem Traum hingeben, dass seine Verse (Texte) noch in hunderten von Jahren Geisteswissenschaften, elitäre genau wie populäre Kultur weltweit inspirieren und prägen werden. Und sei es nur, dass jemand eine Urlaubsreise mit den Handlungsorten seines Textes in Verbindung brächte. Wie in unserem Fall im Dante-Jahr. Waren die Fußmärsche unter der sengenden Mittagssonne in Florenz noch eine Art Fegefeuer, hin- und hergerissen zwischen Jammern ob der Hitze und Frohlocken ob der göttlichen Schönheit der Kunststadt, gestaltete sich die Rückfahrt im Auto streckenweise zu einer Höllentour. Als wir uns wegen Unfällen auf der Autobahn in den Hügeln über der Stadt wiederfanden, auf nur in der Theorie zweispurigen Wegen immer dicht am Abgrund entlang, da hoffte ich, dass wir dieser brenzligen Situation unbeschadet entkämen. So war es dann auch, aber selbst unser erfahrener Chauffeur, mein tapferer Gatte, gab zu, dass ihm mulmig zu Mute gewesen war und er höllisch hatte aufpassen müssen.

Viel später als geplant näherten wir uns am Abend heimatlichen lombardischen Gefilden. In Aussicht auf einen leeren Kühlschrank hielten wir an einer Pizzeria am Weg. Ratet, welchen Namen sie trug? Richtig: Paradiso. Wir riefen vorher an: „Buonasera, Paradiso …“, meldete sich die nette Wirtin. „Buonasera, c’è ancora posto da voi?“, fragte mein Mann und wir mussten grinsen. Schließlich hatten wir gerade im Paradies angerufen und gefragt, ob dort noch Platz für uns sei. Das Lokal stand an diesem Abend in besonderer Gunst der Anwohner, und so setzte man uns nicht wie erhofft in den Bar-Bereich, in dem wir uns bei früheren Besuchen wohlgefühlt hatten, sondern in einen Nebenraum. Das war ein lieblos bestuhlter Saal mit Neonlicht und ratternder Klimaanlage und der Akustik einer Schulmensa. Uff! Die Ankunft im Paradies hatte ich mir anders vorgestellt. Und dachte mit Wehmut an die infernalische Sonne und dantesk betitelte Lokale in Florenz zurück. Aber wir nahmen es gelassen, denn wir wussten ja, dass es den Himmel auf Erden nur in uns selbst gibt und er nicht von einem improvisierten Abendessen auf dem Heimweg aus dem Urlaub abhing.

*Werbung, unbeauftragt und unbezahlt.
Ja – das mit den Temperaturen ist schon erstaunlich. Im Urlaub in zum Beispiel Italien ist es herrlich, wenn es heiß ist und man schleppt sich begeistert über den Asphalt, um die örtlichen Attraktionen zu bestaunen. ist man jedoch in Deutschland bei 40° unterwegs, wird über die Hitze geschimpft…..selbst wenn man Urlaub hat.
Gut, ich nicht, denn meine Wohfühltemperatur beginnt erst ab 25° aufwärts – aber man hört so den einen oder anderen stöhnenden Ausruf. 🙂
Tolle Bilder übrigens und den Beitrag habe ich sehr gerne gelesen….
LG Bea 🙂
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Liebe Bea, stimmt, bei Sonne und im Süden lässt sich die Hitze wohl besser ertragen. Ich habe sie früher immer gehasst, wenn es nur ein, zwei Wochen so extrem war. Mittlerweile habe ich mich darauf eingestellt, nützt ja alles nichts. 🤷♀️
Danke, und liebe Grüße an dich!
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Vielleicht muss man den Nebenraum als purgatorio sehen ;). Ein Anruf und einfach ins Paradies wäre zu schön um wahr zu sein :). In Verona war Dante auch sehr präsent und ich wollte unbedingt sein Meisterwerk auf Italienisch lesen….ich bin natürlich gescheitert. Mittlerweile habe ich es auf deutsch gelesen und habe langsam einen Zugang dazu gefunden. Die italienische Variante liegt hier immer noch und ich fürchte, es wird eines der weniger Bücher sein, die ungelesen im Regal stehen 🙂
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Hallo Mitzi, so ein Original im Schrank schindet Eindruck bei Besuchern, hm? 😉 Meine größte Hochachtung, dass du dir eine deutsche Fassung „angetan“ hast. Leicht verdaulich war die sicher auch nicht.
Aber ich glaube, es ist wie bei Faust oder anderen großen Klassikern: Entweder man muss, oder es ist der richtige Moment im Leben. Ich habe mir vorgenommen, Faust irgendwann ein drittes Mal zu lesen. Weil man immer wieder so viel mehr hineininterpretieren kann, mit wachsender Lebenserfahrung. Eine schöne alte Ausgabe meiner Eltern steht auch dekorativ in meinem Schrank. Der richtige Moment wird kommen. Vielleicht auch noch für Dante, eines Tages.
Liebe Grüße Anke
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Naja ob das nun Eindruck schindet möchte ich bezweifeln. Ich habe herrliche triviale italienische Bücher daneben stehen die gleichen das dann wieder aus. 😂 Leicht war die deutsche Fassung nun wirklich nicht zu lesen, aber interessant fand ich es schon. Zum Lesen total schwierig, aber das durchschreiten der verschiedenen Höllenkreise und wie viel Dante da doch eigentlich reingepackt hat, das ist schon toll. Mit Faust dagegen tue ich mich immer noch schwer. Ich mag das Buch einfach nicht besonders gerne. Vielleicht hat man aber irgendwann auch das Alter, dass man zugeben kann, dass einem manche Weltliteratur schlicht nicht gefällt. Ein bisschen Banause darf sein.😉
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Na aber, und für die Trivialliteratur müssen wir uns auch nicht schämen. Die haben wir natürlich geschenkt bekommen. 😉
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Na wie einladend … aber immerhin gibts Pizza im Paradies
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Himmlisch, nicht wahr. Was will man mehr?
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