Klischees vor der Linse

Einen ähnlichen Titel gab es hier schon einmal? Richtig! Denn wieder geht es um einen Film, der mich auf eine Zeitreise einlud. Überraschend und spontan an einem Sonntagnachmittag, aber lest selbst:

Manchmal sind auch interessante Zeitschriften schnell durchgeblättert und vom verregneten Wochenende ist immer noch zu viel übrig. Da trifft es sich gut, wenn der Gatte vorschlägt, gemeinsam einen Film zu schauen. Leider ist es oft mühselig, bei den vielen On-Demand-Anbietern einen Titel zu finden, auf den wir uns mit Enthusiasmus einigen können. Es ist wie die Suche nach dem einen Baum, den man vor lauter Wald nicht sieht. Nach einer gefühlten halben Stunde nicke ich eine beliebige italienische Komödie ab. Als mein Mann bereits das erste Überraschungsmoment voraussagt, kommt der Verdacht auf, dass wir sie bereits kennen. Ich hätte nicht sagen können, wie es weiter- oder ausging. Aber der Witz war so vorhersehbar, dass ich wohl schon beim ersten Mal geistig abgeschaltet hatte. Nicht noch einmal, bitte! Verzweifelt und wild entschlossen, den angebrochenen Nachmittag nicht filmlos zu verbringen, greife ich zum Smartphone. War da nicht dieser neue Film, der zum Ende der DDR in Ostberlin spielt? Genau: „In einem Land, das es nicht mehr gibt.“ (Für mich ist der Titel leicht zu erinnern, denn so heißt das Verzeichnis auf meinem PC, in dem ich Argumente für meinen Roman „Mensch, Manu!“ gesammelt hatte.) Ich wäre bereits im November gern in Dresden ins Kino gegangen, aber der Beitrag hatte an jenen zwei Abenden nicht auf dem Spielplan gestanden. Damals bestand noch keine Chance, ihn im Netz zu finden. Während ich denke, dass ich ihn jetzt garantiert irgendwo sehen kann, navigiert der andere Filminteressierte weiter auf dem Fernsehbildschirm. Ich schaue kurz hoch, um zu checken, welches Genre er da am Wickel hat … und traue meinen Augen nicht. Es sind haargenau dieselben Bilder, die ich gerade auf dem Handy habe. „In un paese che non esiste più“ ‒ auf RaiPlay gibt es meinen Wunschfilm bereits in italienischer Fassung. Perfetto!

Ehe mein Schatz weiß, wie ihm geschieht, drücke ich die Abspieltaste. Durch den Vorspann flimmern winzige Bilder und Videoaufnahmen aus den 70ern und 80ern. Da sieht man lachende Frauen, feiernde Männer und spielende Kinder, in blauen Hosen, weißen Blusen und bunt gestreiften Pullis, vorm Zelt beim Camping oder mit dem Moped unterwegs. Ich hatte gelesen, dass es in diesem Film endlich mal nicht um das graue Ostdeutschland, sondern um das echte Leben gehen sollte. In Farbe und sogar mit Glanz und Glamour der Modewelt. Dann läuft die Handlung an, und es wird dunkel. Wenn nicht grau, so sind es doch Farben, die wie mit einem speziellen Filter behandelt zu sein scheinen (DDR-Stimmung, Überleben in der Zone, Keine Sonne hinter der Mauer … so oder ähnlich muss der Filter heißen). Also braun, beige, graugrün, graublau. Schmutzig, trist. Hin und wieder dieses gräulich blasse Kommunistenrot, mit dem der Film auch auf den Plakaten beworben wird. In einer Fabrikhalle, die die „sozialistische Produktion“ repräsentiert und in die die junge Protagonistin wegen eines Aufnähers der Friedensbewegung auf der Jacke und einem verbotenen Roman in der Tasche von der Schule zwangsversetzt worden war, sieht es wie in einem Straflager in Sibirien aus (oder wie man sich ein solches vorstellt). Mein Mann nickt dazu. „Schön war das bei euch!“ Er weiß alles von damals. Unser Leben war das, was er in einer Handvoll Filmen gesehen und verstanden hat. „So waren sie, deine Freunde von der Stasi“, kommentiert er süffisant. Er mag es, mich zu provozieren. Was ich erzähle, meine Erinnerungen, seien geschönt oder unbewusst verzerrt, ich war schließlich ein Kind. An die Kindheit hat man immer schöne Erinnerungen. Ich war siebzehn, als die Mauer fiel. Ich kannte Berlin, meine Oma wohnte da. Die alten Häuser mit ihren Hinterhöfen sind im Film in einem Zustand, dass es unvorstellbar scheint, dort zu leben. (Ganz zu schweigen vom zugewachsenen Hexenhaus in einem bewaldeten Vorort, wo die junge Heldin mit Vater und Schwester wohnt.) Klar, da haben sie mit Mühe einige unsanierte Häuser gefunden, in denen sie drehen konnten. Doch die Handlung spielt vor 35 Jahren. Verlassene Gebäude von heute sind die heruntergekommenen Häuser von damals. Da gab es abgeblätterte Farbe, durchgetretene Stufen und das Klo auf dem Flur. Aber es sah gewiss nicht dermaßen vergammelt aus, wie es im Film rüberkommt. Wer in diesen Altbauten wohnte, der hielt sein Zuhause so gut es ging in Stand. Was in den letzten 35 Jahren keiner mehr getan hat. Ich lese in einem Artikel bei Deutschlandfunk Kultur, dass sich die Regisseurin Aelrun Goette, die in ihrem Werk auch eigenes Erleben verarbeitet, „erst wieder in die Leichtigkeit hineinbegeben müsse, die sie damals auch gespürt habe“. Leichtigkeit? Wo bitte atmet dieser Film Leichtigkeit? In den Szenen, in denen Menschen russischen Sekt aus der Flasche trinken? Vor der tristen Kulisse und im Angesicht ihres aussichtslosen Daseins? Ganz sicher nicht im Studio der Modezeitschrift Sibylle, wo die Chefredakteurin ihrem neuen Mannequin erklärt, dass es Schönheit im Sozialismus gibt, aber das Schönheit immer einen Preis habe. Dabei schiebt sie ihr einen Block und einen Kugelschreiber über den Tisch. Man versteht, dass es sich um eine Vereinbarung mit der Stasi handelt.

Klischees. Gefühlt immer dieselben, als ob man das mit der Unfreiheit nicht auch anders, subtiler erzählen könnte. Wie stereotyp die Szene, in der die Truppe nackt im Meer badet und anschließend von der Polizei mit Hunden durch den Wald gejagt wird. Bitte? Nacktbaden war als FKK (Freikörperkultur) allgemein beliebt und offiziell toleriert. Hatten sie sich etwa einen Strand in einem militärischen Sperrgebiet ausgesucht? Frau Goette erklärte dem Deutschlandfunk: „Sehr häufig werden wir mit Bildern konfrontiert, die sehr Schwarz-weiß sind. Und so habe ich die DDR nicht erlebt.“ Ach nein, möchte ich fragen, und warum erzählen Sie sie dann (wieder) genau so?

Eine inszenierte Leichtigkeit kommt nur in der Schlussszene zum Tragen beziehungsweise Fliegen: Wie ein Engel schwebt das schöne Mädchen, das ihre Berufung als Kleidervorführerin gefunden hat, über den Zuschauern der Underground-Modenschau. Drei Monate später, so heißt es im Abspann, fällt die Mauer. Mir kommt unweigerlich Tucholsky in den Sinn: „Und darum wird beim happy end im Film jewöhnlich abjeblendt.“

„Entweder du bist frei, dann bist du’s überall, oder du bist es nicht, dann nützt dir auch der Westen nichts.“ Der stärkste Satz im Film und womöglich das Beste an ihm. Neben den Schauspieler*innen, die ihre bedeutungsschweren Sätze überzeugend rüberbringen. Mir gefielen besonders Jördies Triebel in der Rolle der sympathischen Arbeitskollegin mit Berliner Schnauze und Herz auf dem rechten Fleck, Claudia Michelsen als toughe Chefredakteurin der „Vogue des Ostens“, bei der man schließlich „nicht bei der Brigitte sei“ und Sabrin Tambrea als schriller Modedesigner, der seine offen gelebte Homosexualität gegen alle Konventionen verteidigt.

Titelfoto: Symbolbild von Pexels.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

17 Kommentare zu „Klischees vor der Linse

  1. Tja, diese Filme werden entweder von Leuten gemacht, die zu der Zeit nicht in der DDR waren oder von welchen, die damals noch seeeehr jung waren. Scheint aber immerhin etwas wohlwollend zu sein. Mal sehen, ob der bei uns läuft. Danke für die Vorauswahl 😊.
    Liebe Grüße
    Ilka

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    1. Liebe Ilka, gern geschehen. Interessant ist es allemal, vor allem für uns, die wir innerlich abhaken, nicken oder heftig mit dem Kopf schütteln. Vielleicht magst du dich dann noch einmal melden, wie er dir gefallen hat. Hab ein sonniges Wochenende!

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  2. Liebe Anke, für mich ist dein Land, sind deine Erlebnisse, etwas sehr Fremdes, und wohl auch für viele andere, die den Film anschauen werden. Da ist es bedenklich, wenn mit so vielen Klischees gearbeitet worden ist – denn wie sollten Menschen, die die Tatsachen nicht kennen, diese hinter den Klischees erkennen? Da werden Falschinformationen höchstens zementiert. Ich verstehe Deinen Frust. Schade! Lieben Gruss, Elisa

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    1. Liebe Elisa, das Fremdeln glaube ich dir gern. Weißt du, es ist nun mal interessanter, Dramen zu erzählen über Täter und Opfer, und es gab da sehr gute Werke, wie „Das Leben der Anderen“ oder auch den TV-Mehrteiler „Weißensee“. Einige Filme bedienen für mein Empfinden jedoch auf zu banale Art und nicht wirklich zweckdienlich immer wiederkehrende Klischees, was den Blick auf die Vielfalt der Realitäten und zwischenmenschlichen Beziehungen, aber auch das einfache Glück vieler Menschen in der DDR verschleiert. Das ist sehr schade.
      Ich will damit sagen, es ist keine Falschinformation, dass es bestimmte Dynamiken und Gebaren der Institutionen und Sicherheitskräfte gab, aber nicht immer und überall und hinter jeder Ecke und sicher auch nicht immer so übertrieben dämlich, wie es manchmal dargestellt wird.
      Liebe Grüße in die Schweiz!

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  3. Hallo Anke, sofort habe ich bei mir zurück geblättert, denn ich hatte diesen Film ja vorigen November in einem Artikel beschrieben. Und darauf hin habe ich unsere ausführlichen Kommentare noch einmal gelesen. – Auch ich kann deinen Ärger verstehen.

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  4. Ich bin jetzt etwas verwirrt, weil ich den Film vor einiger Zeit zwar gesehen habe, mich aber nicht mehr richtig erinnern kann. Ich weiß allerdings, dass ich ihn anders gesehen und beurteilt habe als du. Diskutiert habe ich mit Elke darüber, aber wir sind beide in „Westdeutschland“ aufgewachsen, haben also einen anderen Blick. Dass, was du geschrieben hast, kann ich gut nachvollziehen. Ich glaube, ich schaue mir den Film noch einmal an – mit deinen Gedanken im Kopf. Danke für dein Statement! Liebe Grüße Roswitha

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    1. Liebe Roswitha, das ist verständlich. Mein Problem bei Filmen, die zum Ende der DDR spielen, zumal in Berlin, ist der unvermeidliche Abgleich mit den eigenen Erinnerungen. Ich war damals ein Jahr jünger als die Protagonistin. Liebe Grüße an dich in den Westen Berlins! 😉

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  5. Dieser Film stand bereits auf meiner To-do-Liste, ist aber in Vergessenheit geraten. In drei Tagen erscheint er als Prime-Video. Ich kann mir vorstellen, und nun noch besser, was ich zu erwarten habe. In meinem Blog wurde kürzlich auch munter über die DDR diskutiert. Auf den Kommentar einer Dame aus Sachsen über den Schulunterricht in der DDR, antwortete eine Dame aus Westdeutschland, sie wisse genau, was und wie in den Schulen der DDR unterrichtet wurde. Das könne jeder bei Wikipedia nachlesen. Natürlich, der oberflächliche Blick, die Klischees, die immer wieder bedient werden und schon ist alles sonnenklar, als hätte man es hautnah erlebt. Ich bin gespannt, liebe Anke und grüße dich aus unserem sonnigen Garten in Ostdeutschland 😉

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    1. Liebe Bettina, zu diesem Thema passt auch ein Buch, das gerade erschienen ist, sicher hast du davon gehört: „Diesseits der Mauer: Eine neue Geschichte der DDR 1949-1990“. Die Autorin Katja Hoyer ist wie ich in Strausberg geboren, allerdings erst 1985. Ich werde es mir bestellen.
      Ja, schau dir den Film an, vielleicht magst du dann auch darüber schreiben oder meldest dich hier mit deinen Eindrücken zurück.
      Liebe Grüße aus dem sonnigen Süden (wo gerade wieder ein Gewitter aufzieht).

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