Mit anderen Worten

Wer hier schon länger mitliest weiß, dass unsere beiden Töchter zweisprachig aufwachsen. Obwohl es für sie so schön bequem ist, daheim wie draußen Italienisch zu sprechen, nerve ich sie von klein auf und spreche Deutsch mit ihnen, wenn der Papa nicht dabei ist. Irgendwann werden sie es mir danken. Die Große tut das jetzt schon, hat sie doch bereits die Gelegenheit gehabt, nette deutsche Jungs kennenzulernen und wenn alles läuft wie geplant, geht es für sie im September per Erasmus ein paar Wochen nach Berlin.

Hatte ich selbst in meinen ersten Jahren in Italien mit italogermanischen Sprachwirren zu kämpfen, springen wir neuerdings immer öfter zwischen drei Sprachen hin und her. Die Große bringt Englisch ins Gespräch, wenn sie mit uns Italienisch palavert. Zum einen sind bestimmte englische Begriffe in Italien fester Bestandteil der Jugendsprache, zum anderen studiert sie nun schon im dritten Jahr am Sprachengymnasium. (Ein Glück, dass sie auf französische Einschübe weitgehend verzichtet, aber was nicht ist kann ja noch werden.) Es kommt also vor, dass ihr, während sie mir aufgeregt etwas in Italienisch berichtet, für eine bestimmte Situation nur ein englischer Ausdruck einfällt. Come si dice? Wie sagt man? Dann sagt sie es in Englisch und fragt mich nach dem Italienischen. Wenn ich währenddessen in meiner Muttersprache mitdenke, habe ich vielleicht das deutsche Wort parat. Also helfe ich ihr und sage, dass „Ease“ mit „Erleichterung“ übersetzt werden kann. Ja, genau. Trotzdem zögert sie und sucht weiter, denn sie möchte es in Italienisch ausdrücken, da nutzt ihr das deutsche Wort wenig oder nur zur Bestätigung, dass Mama verstanden hat, was sie sagen will. Nun ist mein Ehrgeiz geweckt, und ich triumphiere mit dem italienischen Begriff, noch bevor ihn meine Tochter findet: „Sollievo“. Si, esattamente. Das ist es. Wir nicken beide und lächeln erleichtert. Es ist ein „Sollievo“, endlich das richtige Wort gefunden zu haben, damit es weiter gehen kann im Text. Aber nicht immer gibt es in der anderen Sprache das Wort, das genau passt. Dann muss man es umschreiben.

„Schmatz nicht!“ Diesen Klassiker deutscher Mutter-Sprache bekamen auch meine Kinder zu hören. Aber wenn sie nicht wollten, verstanden sie mich nicht. Sie rollten dann nur mit den Augen. Da mir gute Tischsitten zu wichtig waren, um sie unverstanden unter den Tisch zu kehren, versuchte ich es in Italienisch: „Non fare rumore con la bocca mentre mastichi!“ Schmatzen ist so ein deutsches Wort, für das es im Italienischen keine direkte Entsprechung gibt. Wie so oft, muss man eine Sache umständlich beschreiben, statt sie kurz und knapp beim Namen zu nennen. Also sagt man: „Mach keine Geräusche mit dem Mund, während du kaust.“ Ihr ahnt es: Sie rollten daraufhin noch einmal mit den Augen.

Mit unserer Großen, gerade siebzehn geworden, gleicht die Kommunikation heute zuweilen einem unterhaltsamen Sprachenquiz und funktioniert prima. Mit der Jüngeren fehlen mir oft die Worte. In Zeiten, in denen die familiäre Verständigung pubertätsbedingt schwierig wird, ist keine Sprache die richtige. Ich spüre es manchmal selbst, dass ich für meine Gefühle nicht die passenden Worte finde, weder in Deutsch noch in Italienisch, aber dass auch die vermeintlich richtigen Worte bei ihr nicht ankämen. Das macht mich traurig und wütend. Unsere Kleine ist mit ihren knapp dreizehn Jahren kaum ein Teenager, aber offensichtlich bereits in ihrer Null-Bock-Phase in Sachen Kommunikationsbereitschaft. Ich könnte es auch in Chinesisch versuchen, ihr Gesichtsausdruck wäre der gleiche, und der sagt mir auch ganz ohne Worte: Was zum Himmel willst du von mir? Sicher kennt ihr das auch und glaubt mir, dass diese Probleme nicht sprachgemacht sind, auch wenn es sich danach anhört.

Was unsere binationale Ehe betrifft, fragen mich Freunde zuweilen, ob es denn das Gleiche sein und funktionieren kann, wenn der eine nicht die Sprache des anderen spricht. Und der andere deshalb, wie in unserem Fall, eine Sprache benutzt, die nicht seine Muttersprache ist. Geht da nicht zu viel verloren? Auch hier sage ich, dass es eine Frage des Wollens ist. Eine Frage der Empathie. Wenn die Kommunikation auf der Strecke geblieben ist, kann man auch in derselben Sprache aneinander vorbeireden. Man muss zuhören können und sich für den anderen interessieren. Dann sucht und findet man gemeinsam, auch mit Gesten und Umschreibungen, die richtigen Worte. Das klappt mal fantastisch und mal weniger gut. Beim Streiten muss man besonders aufpassen. Dann sind es oft „Sfumature“, Nuancen, die den Unterschied machen und darüber entscheiden, ob man kritisiert oder schon verletzt. Auch in schwierigen Situationen zählt am Ende die Bereitschaft, auf den anderen zuzugehen, seine vielleicht ungeschickt gewählten Worte nicht überzubewerten.

„Wir verstehen uns ohne Worte“ ist ein beinah geflügeltes Wort, das man immer wieder hört und liest. Kann es das geben? Ist es nicht eine Illusion, geboren aus dem Wunsch, mit jemandem „in sintonia“ ‒ ich möchte sagen „in Syntonie“, aber das wäre auch so ein Wort, das es im Deutschen gar nicht gibt ‒ vielleicht, auf einer Wellenlänge, zu sein? Ich meine, es sind höchstens Momente, in denen es keiner Worte bedarf, weil man dasselbe erlebt und assoziiert und folglich annimmt, auch dasselbe zu denken.  

Bei allen Abstrichen, die ich zuweilen bei den Ausdrucksmöglichkeiten gegenüber Menschen, die nur Italienisch sprechen (einigen Kolleg*innen zum Beispiel) im Vergleich mit meiner Muttersprache machen muss, würde ich immer wieder ein mehrsprachiges Leben vorziehen. Ich schrieb bereits früher auf diesem Blog, dass eine andere Sprache wie ein anderes Leben ist. Eine Bereicherung, die einem über Begriffe und sprachliche Bilder mitunter vollkommen neue Sichtweisen eröffnet. Mit den meisten Menschen (einigen anderen Kolleg*innen zum Beispiel) kann ich in mehreren Sprachen nach den passenden Worten suchen. Und oft kommt es am Ende gar nicht auf das eine, richtige Wort an. Sondern einfach darauf, dass und wie man miteinander gesprochen hat.

Titelfoto: Symbolbild von Pexels.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

21 Kommentare zu „Mit anderen Worten

      1. Wäre ich nicht interessiert, hätte ich dich ja nicht abonniert! 😀 Nein wirklich, ich fand das sehr interessant zu lesen, wie unterschiedlich das mit dem Umgang der verschiedenen Sprachen ist, und dennoch kommt ihr ja gut klar! 🙂
        Und das Nesthäkchen wird sicher auch noch „nachrücken“. 🙂 LG Bea

        Gefällt 1 Person

      2. Da bin ich auch zuversichtlich. Englisch und Spanisch gehören in der Schule zu ihren Lieblingsfächern. Mamas Deutsch ist in ihrem Abnabelungsprozess gerade nicht so cool. 🤷‍♀️ Hab einen schönen Abend, liebe Bea!

        Gefällt 1 Person

  1. Wieder mal ein hervorragender Text, liebe Anke, der mich sehr berührt hat, vor allem die beiden letzten Sätze.
    Ich habe mich (und ich glaube auch dich) das auch schon mal gefragt: Wie es sich anfühlt, mit jemandem zusammen zu sein, mit dem man sich nicht in der eigenen Muttersprache unterhalten kann. Es ist vielleicht komisch, dass ich überhaupt darauf gekommen bin. Denn als ich als Austauschschülerin ein Jahr in Argentinien verbracht habe, konnte ich Spanisch am Ende auch so gut wie fließend sprechen und hatte einen Freund, mit dem die Kommunikation vollkommen unproblematisch verlief. Es kommt wohl eben nicht auf jedes Wort an, es ist also genau so, wie du schreibst.
    Und ja: Man kann auch aneinander vorbeireden, wenn man dieselbe Sprache spricht. Und das ist dann sogar noch schlimmer.
    Meine Töchter wachsen übrigens auch zweisprachig auf (Deutsch und Rumänisch), aber da wir in Deutschland leben, ist ihnen Deutsch viel näher. Mein Mann spricht aber seinerseits immer in seiner Muttersprache mit ihnen. Auf diese Weise habe ich wahnsinnig viel gelernt und ich verstehe mittlerweile wirklich viel. Meine Schwiegermutter spricht mit mir manchmal auch einfach Rumänisch. 🙂
    Nun gut, das war ja ein ziemlicher Roman, den ich dir geschrieben habe. Da kannst du sehen, was dein Text bei mir ausgelöst hat: viele Gedanken. Das ist gut. Danke fürs Teilen.

    Gefällt 1 Person

    1. Gern, liebe Sophie. Von der rumänischen Sprache hast du noch gar nicht berichtet, ich wusste nur, dass dein Mann von da stammt, obwohl in Deutschland geboren, nicht wahr? Leider gibt es für Rumänisch außerhalb der Familie wenig Anwendung im bisherigen Leben der Kinder, oder? Es ist euer Familienschatz, aber wer weiß, was noch kommt … und es ist ja bekannt, dass Kinder, die mit zwei Sprachen aufwachsen, weitere Sprachen viel leichter lernen. Da ist einfach gleich ein Hebel auf „Das kann man auch anders sagen“ eingestellt. Mit der Schwiegermutter über ihre Muttersprache einen besonderen Draht zu haben, ist bestimmt auch nicht verkehrt. 😉 Wie spannend, danke für deine Gedanken zum Thema. Liebe Grüße!

      Gefällt 1 Person

      1. Mein Mann ist erst mit knapp 12 Jahren nach Deutschland gekommen und hat Deutsch auch erst hier gelernt. Dennoch spricht er es wie seine Muttersprache.
        Ja, Rumänisch begegnet den Mädchen im Alltag so gut wie gar nicht, sie haben es leider einfach nicht im Ohr, so wie es zum Beispiel bei Englisch der Fall wäre. Aber tatsächlich sind alle drei sehr sprachbegabt, was bestimmt damit zu tun hat, dass sie zweisprachig aufwachsen. Meine beiden Großen lernen in der Schule Englisch, Französisch und – tada! – Italienisch. Sollten wir uns mal alle treffen, werden wir jedenfalls eine Sprache finden, in der sich alle verständigen können. 😉
        Herzliche Grüße und ein wunderschönes Wochenende!

        Gefällt 1 Person

      2. Klasse! Und sie lernen auch Italienisch, che bello! 🤩
        Danke, und dir auch ein schönes Wochenende! (Bei uns scheint sich heute endlich der Regen verzogen zu haben, zu schön, um wahr zu sein.)

        Gefällt 1 Person

  2. Doch, liebe Anke, nach mehr als 30 Jahren Ehe kann ich sagen, wir verstehen uns ohne Worte. Natürlich sind es Momente oder Situationen, aber darauf zielt ja das geflügelte Wort ab. Besonders gut ohne Worte verstehen wir uns übrigens, wenn laut unserer Tochter ihre fürchterlich konservativen Eltern die Zeichen der Zeit einfach nicht (an)erkennen wollen. Dann sagen unsere Blicke: Achtung, ganz heißes Eisen, vielleicht doch lieber schweigen 🤫😉. Liebe Grüße, Bettina

    Gefällt 1 Person

    1. Das freut mich zu lesen. Oh ja, diese Momente kann ich mir gut vorstellen, liebe Bettina. Auch wenn deine Tochter schon erwachsen ist, der Alters- und Erfahrungsunterschied bleibt, da gibt es wohl immer diese „Warum müssen die sich immer auf damals beziehen, das waren doch vollkommen andere Zeiten“-Situationen. 🙈 Liebe konservative Grüße zurück! 😉

      Gefällt 1 Person

      1. Nicht viele, weil (1) ich ein Unschuldslamm bin und (2) die Freundinnen meist sehr gut Englisch sprachen.
        Aber aus Südamerika bin ich immerhin mit passablem Spanisch zurückgekehrt.

        Gefällt 1 Person

  3. Ich arbeite als Scheidungsanwalt hauptsächlich mit binationalen (Ex-)Paaren. Nach der Trennung schieben die das Scheitern der Beziehung gerne auf „kulturelle Unterschiede“.

    Fast immer ist das eine faule Ausrede, damit sie nicht über ihre persönlichen Macken nachdenken müssen.

    So ist es natürlich auch einfacher, die Trennung nach außen zu rechtfertigen: „Mein Ex-Mann ist Türke, Ihr wisst ja, wie die sind.“ Oder „Japanerinnen ticken einfach ganz anders als wir Europäer.“ Und schon nicken alle, weil sie ihre Vorurteile bestätigt sehen.

    Gefällt 2 Personen

    1. Ja, die kulturellen Unterschiede … zum Anfang womöglich reizvoll, dann gut als Ausrede, wenn das Boot auf hoher See ins Schwanken gerät. Da passt es wieder: Kommunizieren und Fronten klären vor der Eheschließung wäre eine clevere Strategie gewesen. Aber da verstand man sich ja ohne Worte.

      Gefällt 2 Personen

  4. Ein toller Artikel, liebe Anke. 😃 Genau, es ist eine Frage des Wollens. Man kann sich auch ohne Worte verständigen. Einfacher stelle ich es mir manchmal schon vor, wenn man die selbe Muttersprache hat. Wie oft haben wir das gleiche gemeint, aber den anderen sprachlich nicht verstanden.
    Und wie oft hat die Ungenauigkeit der italienischen Sprache (Stichwort nipote) oder die Übergenauigkeit der albanischen Sprache (dajë – Onkel mütterlichererseits, xhaxha – Onkel väterlicherseits) uns zu Diskussionen angeregt? Man kann in einer binationalen Ehe nicht behaupten, dass einem die Themen ausgehen.
    Dabei ist jede Sprache (besonders für Kinder) eine Bereicherung.
    Sonst hätte ich nie gelernt, dass Albaner die Erdbeere in der wortwörtlichen Übersetzung „Pressblume“ nennen. 😄

    Gefällt 1 Person

    1. Danke dir! Die Ungenauigkeit der italienischen Sprache … mein Mann bringt mich oft zum Lachen, weil er immer wieder harmlose Sätze in einen vollkommen anderen Zusammenhang stellt.
      Ist denn dein Mann eigentlich eher dem exakten Albanischen anhänglich oder drückt er sich gern vage in Italienisch aus? Und Signorino, lernt der auch ein wenig Albanisch? Mir ist, als schreibst du bei ihm nur von Deutsch und Italienisch. Wie aufregend und anregend es für ihn sein muss! 😍

      Gefällt 1 Person

      1. 😄 Die Doppeldeutigkeit der Wörter – hätte man es nicht, es würde einem fast fehlen.
        Er drückt sich am liebsten vage auf Italienisch aus. Wobei er so häufig Deutsch redet, dass es meist ein buntes Kuddelmuddel ist. Wenn er in Albanien ist, fehlen ihm die Wörter. Seine Standardantwort: „Das Wort gibt es auf Albanisch nicht.“ Sein Neffe, Anfang 30, sagt dann, wie das Wort auf Albanisch heißt. 😉
        Signorino kann Italienisch verstehen, spricht vier Wörter, wenn er muss und ansonsten unterhält er sich nur auf Deutsch mit allem und jedem. Nur, wenn albanische Verwandte sich ankündigen oder wir dorthin fliegen, bekommt er zwei Tage vor dem Ereignis einen römischen Albanisch-Crashkurs. Selbstredend bringt es gar nichts, außer Frust und „Papa! Red endlich normal!“.
        Es bleibt also spannend! Hab einen guten Start ins Wochenende und liebe Grüße, Eva

        Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar