Altmodisches zum Fest

„Jetzt können Sie die Kartoffeln aufsetzen!“ Diese Ansage während einer Fernsehshow ‒ mittags gegen dreiviertel eins (für westdeutsch sozialisierte Leserinnen und Leser: Viertel vor eins) ‒ war womöglich eine der meistbefolgten Anweisungen in dem Land, in dem sich alle bevormundet und fremdbestimmt fühlten. Die Menschen, die im Osten lebten und Westfernsehen sahen, saßen am 25. Dezember vereint vor dem Bildschirm und guckten DDR-Fernsehen, vormittags in der Zeit „Zwischen Frühstück und Gänsebraten“. Oder ließen das Programm zumindest im Hintergrund laufen. Wenn Margot Ebert und Heinz Quermann zum Kartoffeln Aufsetzen riefen, gingen Koch oder Köchin gehorsam in die Küche. Weihnachten war es kein Problem, Vorgaben zu folgen, selbst wenn sie vom DDR-Fernsehen kamen. Schließlich sollten die Kartoffeln zum Gänsebraten gar sein. Eine Frage stelle ich mir heute jedoch: Was taten die Leute in Gegenden, wo man Klöße statt Kartoffeln zum Festtagsbraten servierte? In Thüringen und Sachsen zum Beispiel. Vielleicht schimpften sie, dass sie wie immer nicht berücksichtigt wurden, und selbst bei den Kochzeiten am Weihnachtstag im Tal der Ahnungslosen hockten. Kartoffeln oder Klöße, das war eine Prise Individualität, die man beibehielt, regionalen Traditionen sei Dank.

Meine Familie gehörte im Brandenburgischen zur Kartoffelfraktion.  Aber nicht nur zu Weihnachten war in Deutschland „Du kannst jetzt Kartoffeln aufsetzen!“ das, was in Italien „Butta la pasta!“ (Schmeiß die Nudeln (ins Wasser)!) ist. Heutzutage ist es der Anruf mit dem Handy, von denen, die unterwegs sind an die, die daheim das Essen kochen. Butta la pasta, wir sind gleich da. Damit meint man in etwa, dass in zehn Minuten gegessen werden kann. Beinah wollte ich schreiben, dass wir damals „Setz die Kartoffeln auf!“ in den Höhrer riefen, aber wie hätte das funktionieren sollen. Ohne Handy kein Anruf von unterwegs. Kein flexibles Rückmelden, kein Zeitoptimieren à la „Ich habe hier gerade den und den getroffen und wir trinken schnell noch einen Kaffee, aber danach mache ich mich gleich auf den Weg.“ Früher bestimmte der Koch oder die Köchin, wann es zu essen gab und wann die Meute daheim zu sein hatte. Man nannte es Verbindlichkeit, glaube ich. Das, was uns heute fast ausnahmslos abgeht. Punkt zwölf wurde gegessen. Oder um halb eins. Die unterwegs mussten sich einrichten und ihre Abläufe optimieren, nicht der Koch, der heute im Unsicheren bleibt, wann er servieren soll. Wir leben auf Zuruf. Gerade in Italien sind „Ci sentiamo“ (Wir hören uns), „Ti faccio sapere“ (Ich gebe dir Bescheid) und „Ci aggiorniamo“ (Wir halten uns auf dem Laufenden) gang und gäbe. Auch deshalb bin ich ungern die, die kocht. Wenn ich unterwegs bin, nenne ich vorher eine Zeit, zu der ich zurück bin. Und versuche, mich daran zu halten. Ist das altmodisch? Ich nenne es Respekt.

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern und Leserinnen entspannte Feiertage, mit gegenseitiger Rücksichtnahme und gern befolgten Ritualen. Auf dass zum Weihnachtsessen alle pünktlich sind. 😉

Frohe Weihnachten! Buon Natale!

Beim MDR gibt es auch dieses Jahr am 25. Dezember 2025 wieder „Zwischen Frühstück und Gänsebraten – Das Beste!“ mit Höhepunkten der legendären Weihnachtsshow des DDR-Fernsehens.

Titelfoto: Symbolbild von Pexels.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

7 Kommentare zu „Altmodisches zum Fest

  1. Team „Thüringer Klöße“ wünscht Dir und Deinen Lieben schöne Feiertage.
    Auch wenn ich nicht jedes Mal kommentiert habe, ich lese Deine Beiträge sehr gern und freue mich, wenn es im nächsten Jahr weitergeht.

    Herzliche Grüße aus Wien!

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