Maskenzeit

Oder: Von Weihnachtsmännerhänden und Hochzeiten

„Du, der Weihnachtsmann hatte Hände wie deine“, berichtete der Enkelsohn sichtlich aufgeregt seinem Großvater, der erst nach der Bescherung nach Hause gekommen war. „Weißt du“, erklärte der ihm, „es war ein Weihnachtsmann aus unserer Gegend, und die Hände der alten Männer hier sehen alle ähnlich aus.“ Ob der damals Vier- oder Fünfjährige, der mein Neffe und jetzt Mitte vierzig ist, meinem Vater diese Erklärung abgekauft hat? Ich selbst glaubte bereits im Vorschulalter nicht mehr an den Weihnachtsmann, jedenfalls nicht, dass ein echter zu uns kam. Es gibt mehrere Schwarzweißfotografien von mir und einem Weihnachtsmann in unserer Wohnstube und immer hatte er dasselbe, furchteinflößende Gesicht. Eine Maske, damals Larve genannt. Die falschen Weihnachtsmänner meiner Kindheit waren unkonventionell gekleidet. Rote Mäntel gab es keine. Meine Schwester trug zur Weihnachtsmannlarve einmal Omas braunen Mantel und die passende Pelzkappe, der Nachbar hatte einen schwarzen oder grauen Mantel an. Ich, die zu Bescherende, hatte Angst vor ihnen. Gegen die Angst würde es helfen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, muss ich mir gedacht haben. Die gruselige Larve habe ich irgendwann im Schrank gefunden und mutig aufgesetzt, auch wenn sie nach alter Pappe roch. Mit knapp sechs Jahren spielte ich selbst den Weihnachtsmann. Lesen konnte ich noch nicht, also kamen gelbe, blaue und rote Punkte auf die Geschenkanhänger, so dass ich wusste, ob ein Päckchen für die Mutti, für den Vati oder das Kind (wo war es nur?) gedacht war.

In Italien ist es nicht üblich, dass Babbo Natale zu jedem Kind nach Hause kommt. Die Geschenke sind am Morgen des 25. Dezember einfach da, es muss mit Jesus Geburt zu tun haben. Wir haben in unserer deutsch-italienischen Familie nach der Tradition meines Landes gefeiert und die Geschenke am späten Nachmittag des 24. kommen lassen. Leider gab es keinen Nachbarn, der sich für unsere Mädchen verkleidet hätte. Deshalb richteten wir es so ein, dass der Weihnachtsmann immer gerade dann vorbeikam, während wir eine Runde spazieren waren. Er ließ die Geschenke unterm Baum. Die Kleine glaubte mit neun Jahren noch, dass da ein anderer, den sie nicht kannte, seine Hände im Spiel hatte. Wir haben sie gerne in dem guten Glauben gelassen und bis dahin gehofft, dass ihre ältere Schwester dichthielt.

Für unsere Kinder zu spät, gibt es mittlerweile auch in unserer Gegend eine schöne Tradition, die von den Ortsvereinen organisiert wird. Im Dezember können Eltern und Großeltern Geschenke abgeben, die dann am heiligen Abend ausgetragen werden. Ein kleiner Lastwagen oder eine Pferdekutsche fährt zum Fest durch die Straßen und Babbo Natale und seine Elfen verteilen die Geschenke und kleine Süßigkeiten an die Kinder, die vor ihrem Wohnhaus auf sie warten. Im Titelbild seht ihr so ein extra eingerichtetes Weihnachtsmannhaus zur Geschenkabgabe: „Casa di Babbo Natale“ in unserem Nachbarort (dem mit den festlich geschmückten Kreisverkehren), fotografiert im Dezember 2024.

Unsere Große traf mit knapp zwei Jahren das erste Mal bei ihrer Tante in Dresden auf einen deutschen Weihnachtsmann. Der war glaubwürdig gekleidet, hatte ein nettes Weihnachtsmanngesicht und einen schönen roten Mantel. Ich weiß nicht mehr, ob er seine jungen Hände in Handschuhen verbarg. „Gali“ nannte unsere Tochter ihn freudestrahlend. Das war die Abkürzung von „regali“, Geschenke. Denn darum ging es schließlich, das hatte unser Kind schon gut erkannt. Ohne dabei den Weihnachtsmann selbst zu vergessen. Bei uns daheim platzierte sie in den folgenden Jahren vor unserem Spaziergang für Babbo Natale immer ein paar Kekse und ein Glas Milch, für die Rentiere eine Möhre unter dem Baum. (Pst! Die Kekse aß der Papa gerne, ein Bier wäre ihm lieber gewesen und die Möhre packte er vermutlich zurück in den Kühlschrank.)

Der junge Dresdner Weihnachtsmann von damals hat mittlerweile geheiratet. Seinen Lebenspartner. Ob der auch manchmal als Weihnachtsmann geht, das entzieht sich unserer Kenntnis. Aber es ist gut zu wissen, dass Weihnachtsmänner das jetzt auch dürfen: lieben und glücklich sein. Das vielleicht schönste Geschenk, zu Weihnachten und überhaupt.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

11 Kommentare zu „Maskenzeit

  1. Meine Schwester wusste, dass unser Onkel den Weihnachtsmann gab und amüsierte sich über mich, die ich immer voller Angst war. Auch, wenn unser Onkel es nicht gewesen wäre, hätte meine Schwester sich nicht gefürchtet. Sie ging immer mutig voraus. Liebe Grüße zum 3. Advent 🕯🕯🕯

    Gefällt 3 Personen

    1. Hatte der Onkel auch so eine gruselige Larve auf? Ich denke, wie bei allem in der DDR, gab es da nicht viele Modelle zur Auswahl.😉
      Danke und liebe Grüße für eine gute letzte Vorweihnachtswoche an dich!

      Gefällt 1 Person

      1. Keine Larve, er war eigentlich zu erkennen, aber nicht für mich oder ich glaubte, der Weihnachtsmann sah aus wie er 🤷🏻‍♀️. Wahrscheinlich aber dachte ich nichts vor lauter Angst 😅 Danke, dir auch eine gute letzte Woche vor Weihnachten 🎄

        Gefällt 1 Person

  2. Mir gefällt es, von den Traditionen in anderen Ländern zu erfahren. Manches mischt sich auch. Meine Enkelkinder stellen dem Nikolaus jedes Jahr Milch und einen Keks neben die geputzten Schuhe. Und in den USA kommt der Weihnachtsmann sehr früh am 25. Dezember durch den Kamin und platziert die Geschenke unter dem Baum. Na ja, einen Kamin gibt es nicht immer. Der Weihnachtsbaum steht oft schon Anfang Dezember reich geschmückt in den Wohnungen. Ich wünsche dir noch einen schönen 3. Advent.

    Gefällt 1 Person

    1. Na, da wird den Eltern schon eine Geschichte einfallen, wie der Weihnachtsmann auch ohne Kamin in die Wohnung kommt. 😉
      Ich kann mir vorstellen, Italien gehört zu den Ländern, die den (künstlichen) Baum am längsten in der Wohnung stehen haben. Traditionell am 8. Dezember aufgestellt, oft auch gleich Anfang Dezember, wird er erst nach Epifania am 6. Januar abgebaut. Danke und liebe Grüße nach Berlin!

      Like

    1. Hai ragione. Quello originale ci manca. Magari andremo un giorno con i nipotini?
      Stimmt, wir sollten mal nach Rovaniemi in Lappland kommen, um den echten Weihnachtsmann zu treffen. Vielleicht schaffen wir es mit den Enkelkindern.

      Gefällt 1 Person

  3. Liebe Anke, wie immer spannend erzählt! Der“Samichlaus“ bei uns trägt keine Maske, nur einen künstlichen Rauschebart, der das Gesicht mehr oder weniger verbirgt. Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen, obwohl ich noch ganz klein war. Ich sass auf dem Töpfchen, als der Weihnachtsmann erschien und mit tiefer Stimme ‚Guten Abend‘ sagte. Da rief ich überrascht: „Aber das ist doch der Papa!“ Hierauf mussten sich meine Eltern etwas anderes einfallen lassen! 😃

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse eine Antwort zu rossitext Antwort abbrechen