Oh Ostpaket

Natale und Weihnachten zusammen. Geht nicht? Und ob! Genau das ist die Herausforderung, der ich mich jedes Jahr gerne stelle. In meiner ersten Zeit in Bella Italia hatte ich die fantastische Gelegenheit, in Kalabrien einem süditalienischen Natale wie es im Buche steht beizuwohnen. So ein Natale, wo man am 24. Dezember gegen 17.00 Uhr mit einem Aperitivo anfängt und mit dem Essen und Trinken nicht vor dem Abend des 26. Dezembers aufhört. Zwar gab es zum Cenone della Vigilia (großes Abendessen am Heiligen Abend) alles auf Basis von Fisch, und am 25. und 26. Dezember dann hauptsächlich Fleisch, für Abwechslung war gesorgt, aber …  Es war alles köstlich, nicht, dass wir uns falsch verstehen. Von der hausgebackenen Spezialität Pitta ʼmpigliata schwärme ich noch heute. Aber es war schlicht zu viel. Als ich einige Jahre später in der Lombardei meine eigene kleine Familie gründete, stand fest: Den 24. Dezember würden wir in meiner deutschen Tradition mit gemütlichem Kaffeetrinken, anschließendem Spaziergang und Bescherung am frühen Abend feiern. Zum Abendessen sollte es, wie ich es von daheim kannte, Würstchen mit Kartoffelsalat geben. An den folgenden Feiertagen würde dann gespeist wie in Italien. Am 25. Dezember, il Pranzo di Natale, zuhause. Am Santo Stefano, dem in Deutschland zweiter Weihnachtsfeiertag genannten 26. Dezember, könnte man ins Restaurant gehen. Im Laufe der Jahre habe ich meinen Mann dazu gebracht, nicht auf alle Gänge zu bestehen. Auch er sah ein, dass man nach Aperitivo, diversen nicht gerade leichten Antipasti, Risotto oder Ravioli kaum noch Appetit auf das Secondo, den Hauptgang hat. Dabei hat ein mühevoll zubereiteter Braten Genuss und Wertschätzung verdient. So wie in Deutschland der Gänsebraten.

Doch zurück zum Heiligen Abend und meiner Idee, ihn in (ost-)deutscher Tradition zu begehen. Würstchen und Kartoffelsalat. Spätestens da fangen die Probleme an. Einen Stollen fürs festliche Kaffeetrinken kann man notfalls auch selbst backen. Aber ordentliche Würstchen? Gibt es hier nicht. Ich habe all den italienischen sogenannten „Wuster“ verschiedener Hersteller ihre Chance gegeben. Es war zum Heulen, eine geschmackliche Irrfahrt in den Katakomben der fleischverarbeitenden Industrie. Irgendwann stieß ich auf ein Südtiroler Produkt. Vorübergehend keimte noch einmal Hoffnung in mir auf. Was soll ich sagen: Sie schmeckten schon etwas besser, aber … Nun kann und will ich hier nicht behaupten, dass es in ganz Italien keinen Fleischer gibt, der ein anständiges, knackiges und geschmacklich zufriedenstellendes Würstchen herzustellen vermag. Aber in unseren örtlichen Supermärkten kaufe ich keine mehr. Diese Würstchenmisere hatte mir, so bedauerlich es war, die Lust auf das legendäre Festtagsmahl Würstchen und Kartoffelsalat genommen. Bereits die Zubereitung eines Kartoffelsalats stellt die deutsche Hausfrau in Italien vor gewisse Probleme, wenn sie nicht die richtigen festkochenden Pellkartoffeln hat, von Fleischsalat und Spreewälder Gewürzgurken ganz zu schweigen. Es ist eine logistische Herausforderung, aber sie ist nicht unlösbar. Man kann improvisieren, sich dem Ideal zumindest annähern. Bei den Würstchen jedoch stößt die Improvisationskunst an ihre Grenzen. Die muss man einfliegen lassen. Und deshalb ist mein schönstes Weihnachtsgeschenk in diesem Jahr das heute bei uns eingetroffene, liebevoll gepackte Ostpaket. Mit Halberstädter Würstchen* und ein paar anderen Leckereien, die mir hier in Italien so abgehen. Meine Schwester und mein Schwager haben es mir in Dresden zusammengestellt und auf den Weg gebracht. Das musste schnell gehen, denn erst am zweiten Advent hatte ich meiner italienischen Familie übermütig versprochen: Am 24. Dezember gibt’s diesmal wieder Kartoffelsalat und Würstchen. Man macht vor Weihnachten gerne mal so großspurige Versprechungen. A Natale puoi heißt es schließlich in einem populären italienischen Weihnachtssong, ursprünglich als Werbejingle für einen Panettone kreiert. Weihnachten kannst du all das machen, was du sonst nie hinbekommst. Meine Schwester half mir diesmal dabei, indem sie den rettenden Weihnachtsengel spielte und die fehlenden Zutaten für einen Heiligabend nach ostdeutscher Tradition besorgte. Bis vor einigen Jahren waren es noch meine Eltern, die diesen verantwortungsvollen Auftrag übernahmen und uns jeden Dezember ein Paket schickten. Ein Carepaket aus Ostdeutschland nach Italien, das hätte man uns mal vor vierzig Jahren prophezeien sollen.

Das Schönste an Weihnachten sind bekanntlich die Erinnerungen. An die eigene Kindheit, an das Fest mit der Familie. Seit ich in Italien lebe und solange es ihnen möglich war, kamen uns meine Eltern immer im Sommer besuchen, da war die Bahnreise angenehmer für sie. Einmal kamen sie aber auch zu Weihnachten, darauf hatte ich bestanden. Oma machte damals mit unserer Großen, die klein und noch ein Einzelkind war, Kartoffelsalat. Der war fantastisch. So wie früher. Wahrscheinlich zählen ja nicht nur die „richtigen“ Zutaten, sondern vor allem die Hände, die ihn zubereiten. Ich gebe mir Mühe, auch morgen wieder. Aber ich weiß schon, dass er nie so sein wird wie in meiner Erinnerung. Wie der meiner Mutter.

*Werbung, unbeauftragt und unbezahlt.

Titelfoto: Symbolbild von Pexels.

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

32 Kommentare zu „Oh Ostpaket

  1. Auf Südtirol als Ultimo Ratio hätte ich jetzt auch getippt, liebe Anke. Doch von der Familie liebevoll gepackt und nah am Geschmack der Kindheit, kann kein Südtiroler Wurstel mithalten. Ich hoffe, ihr habt ein zauberhaftes Weihnachtsfest und deine Mädels werden sich als (junge oder alte) Erwachsene an eure Weihnachtstradition erinnern. “Weißt du noch wie Mama den Kartoffelsalat gemacht hat?” werden sie sagen und sich selig angrinsen. 😃

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  2. Bei uns in Görlitz gab es Heiligabend UND Silvester wohl bei 90% der Familien Stampfkartoffeln = Kartoffelbrei, Sauerkraut und Bratwurst. Denn nur für diese beiden Tage machte der Fleischer oder alle Fleischer ganz besondere Bratwürste – die zergehen mir jetzt noch auf der Zunge – und ich habe sie in Berlin sehr vermisst, aber den Schmerz überlebt.
    Lieben Gruß von Clara

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    1. Weihnachtsbratwürste, das klingt gut. In Berlin gibt es dafür Buletten! Die habee wir immer mit Kartoffelbrei und Sauerkraut gegessen, aber nicht zu den Feiertagen. Alles Gute und schöne Feiertage wünsche ich dir! Ciao Anke

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  3. Jetzt weiß ich, welches Stichwort Du meintest. 😉 Schön, dass das Paket rechtzeitig vor dem Heiligabend eingetroffen ist. Dann wünsche ich von ganzem Herzen frohe Weihnachten, ein schönes, geruhsames Fest und natürlich buon appetito!

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    1. Grazie, Luisella. È venuto buonissimo, il Kartoffelsalat. Purtroppo ho trovato solo oggi il tuo commento, nello spam. Strano.
      Spero anche tu hai trascorso un buon e buonissimo Natale. 😊

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  4. Auch bei uns gibt’s Kartoffelsalat und Würstchen, wie seit Jahrzehnten. Nur die Qualität der Würstchen hat sich geändert. Es darf, laut unserer Tochter, nur noch Bio sein. Am Geschmack gibt es nichts auszusetzen. Wir haben uns auch nicht träumen lassen, dass wir einmal ein Päckchen mit Geschenken aus dem tiefsten Osten nach Hamburg schicken zur Schwester meines Mannes 😏. Zeiten ändern sich. Ein frohes Weihnachtsfest, liebe Anke und guten Appetit. Liebe Grüße Bettina

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    1. Das kannst du laut sagen, Zeiten ändern sich. Aber vor allem liebt man wohl immer die Sachen aus seiner Heimat, gerade zu Weihnachten. Danke für deine Wünsche, lasst es euch schmecken und habt erholsame Feiertage, liebe Bettina!

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    1. Ich probiere diesmal (In Ermangelung von Fleischsalat), einen „Insalata Russa“ drunterzurühren. Das sind schon kleine Stücke Kartoffeln, aber auch Karotten, Erbsen und Eier in Mayonnaise. Als Fleisch dann Truthahnschinken. Ich sag ja, Improvisation ist gefragt.
      Mit Hering ist eine interessante Variante!
      Gutes Gelingen und leckere, entspannte Feiertage dir und deinen Lieben!

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  5. Von Ost nach Süd…das klingt lustig und herausfordernd und seeeehr charmant, wie alle Deine schönen Beiträge in 2021. Danke dafür. Ich muss immer lächeln!
    Bei uns im Westen gibts übrigens auch Kartoffelsalat und Würstchen. Ihr seid herzlich eingeladen 🙂

    Frohe Weihnachten und bis nächstes Jahr,
    Nicole

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    1. Ihr habt dann sicher auch „im Westen“ eure spezielle Sorte Würstchen, auf die ihr nichts kommen lasst. Ein bisschen ist es wohl wie mit dem Brot, da sind die Deutschen einfach unschlagbar. In meinem Ostpaket waren auch Brotbackmischungen, eine Ersatzlösung in der Ferne.
      Es freut mich, dass dich meine Beiträge aus dem Süden gut unterhalten.😊 Ich wünsche dir auch erholsame Feiertage und einen guten Rutsch, liebe Nicole! Wir lesen voneinander! Anke

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  6. Schön, dass jeder so seine Erinnerungen hat und diese, egal wo er/sie is(s)t, weiter pflegt.

    Ich kann das gut nachvollziehen, habe mit meiner Family mal lange fernab der Heimat gelebt, da muss schon sehr kreativ werden, um ein paar Dinge aus der Heimat zu ergattern oder gar selber zu „produzieren“.

    Schöne Weihnachten nach Italien (… es gibt Wein aus der Toskana 😉

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    1. Man isst was man ist. Oder so.
      Oh, da stoße ich in Gedanken mit dir an. Wir haben uns im Sommer in der Toskana mit Wein bevorratet, und auch wenn mein Mann vermutlich morgen das (im Ostpaket mitgeschickte) Weihnachtsbier trinken wird, bleibe ich beim Vino Rosso. Salute und Auguri nach Berlin! 🍷

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    1. Als meine Eltern noch regelmäßig für längere Zeit zu uns kamen, brachten sie sich ihren Kaffee für die Filtermaschine, die ich damals noch hatte, mit.😊 Meinen Espresso kaufe ich lieber hier.

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  7. Bist Du denn bei den Halberstädtern immer treu geblieben oder hast Du sie dann erst nach ein paar Jahren „wiederentdeckt“?
    Kartoffelsalat und Würstchen/ alternativ Frikadellen ist aber nicht nur im Osten Tradition… aber das nur nebenbei. Ich muß übers Ostpaket schmunzeln. Was ich mir gelegentlich bestelle, sind Othellino von Wikana. Saulecker, die habe ich mal irgendwo im Laden entdeckt in Magdeburg, glaube ich. Sehr empfehlenswert.

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    1. Halberstädter waren schon immer beliebtin unserer Familie. Genau kann ich es aber nicht sagen, es könnte auch gut sein, dass es sie zu DDR-Zeiten nur über Beziehungen gab. Aber bei Würstchen sind wir immer den Ostmarken treu geblieben, wenn du das meinst. Bei vielen Produkten ließ man sich ja durch die Werbung zunächst von Alternativen im Westen verführen, ehe man wieder auf Ostmarken zurückkam. Othello-Kekse kannte ich, Othellino ist neu, werde ich gerne mal probieren, danke für den Tipp.😊

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