Rausch der Gefühle

Alice Master Songs January 2025

Für treue Leser ist es kein Geheimnis, dass ich Fan italienischer Popmusik bin. Ich meine sogar, dass es diese Musik war, die mich in der Kindheit insgeheim auf meine künftige Heimat eingestimmt hat. Im Laufe der Jahre habe ich das Gefühl dafür verloren, welche Songs ich damals kannte und welche mir erst hier, nicht zuletzt dank des interessierten Gatten, zu Ohren gekommen sind. Milva, Ricchi e Poveri, Adriano Celentano sind Namen, die auch in der DDR bekannt waren. Von meinem besonderen Verhältnis zu Adriano Celentano und seinem Lied „Soli“ schrieb ich hier auf dem Blog bereits. Das 35-jährige Mauerfall-Jubiläum inspirierte mich dazu, Milva und ihrem Song „Alexanderplatz“ einen Artikel zu widmen. Heute möchte ich euch nach einem wunderbaren Konzerterlebnis eine weitere Top-Künstlerin in Erinnerung rufen. Alice, bürgerlich Carla Bissi, gehört mit ihrem „Per Elisa“ definitiv auf die Liste der musikalischen Inspirationen aus dem Süden, die es bis zu uns in den Osten geschafft haben. Die Gewinnerin des Festivals von Sanremo 1981 ist allerdings nur einmal in der DDR zu Gast gewesen. Das erfuhr ich in einem Interview für die Leipziger Volkszeitung: „… ich bin einmal in Ost-Berlin aufgetreten, aber das war es dann auch.“ Dem allwissenden Internet, in diesem Fall Wikipedia, verdanke ich die Information, dass es sich dabei um einen Auftritt beim Kessel Buntes im Februar 1986 gehandelt hat. Ich möchte wetten, dass sie dort neben dem berühmten Siegertitel des italienischen Liedfestivals auch „Una notte speciale“ auf die Bühne brachte. Dieser Song ploppte neulich in einem musikalischen Silvestergruß meiner Schwester auf, und wie schon einmal mit Marco Mengoni, zauberte sie mir damit ein Lächeln ins Gesicht. Im Fernsehprogramm ihrer Wahl lief eine Aufzeichnung des WDR von „Una notte speciale“, also schickte sie kurzerhand ein Video vom Video nach Italien. Das war zwei Tage, nachdem ich uns Konzertkarten für Alice gekauft hatte. Gedankenübertragung oder magischer Zufall? Schwesterliche Verbundenheit!

Nach dem Konzert in Varese am vergangenen Sonntag war ich neugierig und schaute mir einige Interviews mit der Künstlerin an, die auch mit 70 Jahren kaum stimmliche Stärke und nichts von ihrer berührenden Bühnenpräsenz verloren hat. Ihre Lieder höre ich mittlerweile anders und achte auf die Texte. Von „Per Elisa“ verstand ich damals, bis auf den Namen, kein Wort. Erst jetzt erfuhr ich, dass man den Text* in Italien diskutierte und darin eine übertragene Bedeutung sehen wollte. Geht es um die blinde Liebe eines Mannes zu einer Frau mit dem Namen Elisa, oder geht es um Drogenkonsum? Es geht, soviel steht fest, um einen Rausch der Gefühle, um Abhängigkeit und das sich Verlieren, beschrieben aus der Sicht der Verlassenen. Hat sie ihren Partner an eine Frau, oder an Drogen verloren? Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre war auch in Italien Heroinkonsum ein gesellschaftlich relevantes Thema. An diese Auslegung hätte sie beim Schreiben des Textes nicht gedacht, versicherte Carla Bissi auf Nachfrage (u.a. im Interview Alice für Rolling Stone, 2021).

Wie auch immer: Oft sind die unsterblichen Songs diejenigen mit Texten, die Spielraum für Interpretationen lassen. Bei „Per Elisa“ ist es auch die Künstlerin, die das Lied nicht nur sang, sondern es interpretierte, spielte, und mit ihrer so wundervollen, berauschenden Stimme ein Werk für die Ewigkeit schuf.

Danke, Alice, für „Per Elisa“ und all die anderen wunderbaren Canzoni, eigene oder in Hommage an große italienische Liedermacher.

Titelfoto: Alice in ihrem „Master Songs“ Konzert am 3. Januar 2025 in Rom, Auditorium Parco della Musica. Credits: IMAGO/ Gruppo LiveMedia.

*Neugierig geworden? Hier geht es zum Text mit einer freien deutschen Übersetzung: Liedtext Per Elisa

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

14 Kommentare zu „Rausch der Gefühle

  1. Ich mag italienische Popmusik auch gern. Sie erinnert mich in erster Linie an Restaurantbesuche in meiner Kindheit, die ich immer irgendwie als besonders empfunden habe. Vielleicht, weil wir nicht so oft essen gegangen sind.
    Für Deutsche recht untypisch, war ich mit meinen Eltern nie in Italien im Urlaub. Das fällt mir gerade auf. Umso besser, dass ich das Land jetzt für mich entdeckt habe.
    Gerade gestern bin ich übrigens mit Nek und Laura non c’è im Ohr aufgewacht und habe es gleich x-mal übers Handy gehört. 🙂

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  2. „Per Elisa“ lief in den achtziger Jahren auch häufig im öffentlich-rechtlichen österreichischen Radio (dazumals gab es hier nichts anderes). Insofern schließe ich die Drogen-Variante in der Textinterpretation aus. Das hätte der ORF nie an die Ohren von uns Jugendlichen damals kommen lassen wollen oder dürfen.

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  3. Lange nicht gehört, aber die markante Stimme nicht vergessen. Ich mochte italienische Popmusik als Kind/Jugendliche auch sehr gern. Ich wollte immer viel lieber italienisch als russisch lernen, bin aber mit so einem Schallplattenkurs allein nicht weit gekommen.

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    1. Das glaube ich dir gern.
      Dabei stand Italo-Pop gerade in der UdSSR hoch im Kurs. Ich schrieb hier ja bereits von der Brieffreundin aus Rostow am Don, die mir einmal eine Fankarte von Adriano Celentano mit in einen Brief legte. Ich habe sie heute noch.

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  4. 70 ist die schon? Wie die Zeit vergeht…
    Ich finde es ja generell schade, dass in den Charts nicht mehr italienische, französische oder meinetwegen auch im Dialekt gesungene Stücke auftauchen. Irgendwann waren die weg…

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