Parksünden

Mit dem Parken ist es in Italien so eine Sache. Es braucht oft Geduld, einen Platz zu finden, nicht selten Geschick, sich da einzufädeln, und hin und wieder die Frechheit, sich auch mal in die zweite Reihe zu stellen. Nur für einen Moment, versteht sich. In Italien wird das Nervenkostüm deutscher Autofahrer in Parkplatzangelegenheiten ähnlich wie im Kreisverkehr ordentlich strapaziert. Ich erinnere mich gut an eine Episode mit Besuchern, als ich selbst erst kurze Zeit in Italien lebte und noch nicht Auto fuhr, also weder mit Ortskenntnis punkten konnte noch mit Parksitten Bescheid wusste. Ausgerechnet meinem Schwager wurde ein Abendessen am idyllischen Comer See zu einem magenverstimmenden Erlebnis. Man konnte von unserem Tisch aus den kleinen Hof, der zum Parken zur Verfügung stand, gut einsehen. Als Deutsche gehörten wir selbstverständlich zu den ersten Gästen im Lokal, also hatte er sogar die Wahl gehabt und bequem geparkt. Schnell waren die wenigen Autoplätze besetzt, aber die Plätze an den Tischen noch lange nicht. Peu à peu kamen weitere Besucher vorgefahren. Wo sollten sie parken? Natürlich hinter uns. Immer rein in die Einfahrt, einer geht noch, dachten sich die späten Gäste offensichtlich. Während meine Schwester und ihr Gatte zunächst besorgt waren, ein anderes Vehikel könnte dem ihren beim Manövrieren Kratzspuren zufügen, mussten sie schließlich mit ansehen, vollkommen zugeparkt zu werden. In Deutschland nennt man das wohl Freiheitsberaubung. Im Angesicht einer solchen war es um den kulinarischen Genuss geschehen. Nie zuvor waren meinem Schwager die Spaghetti so widerspenstig von der Gabel gerutscht, während er ungläubig den Kopf schüttelte. Ich versprach ihm, es würde sich schon eine Lösung finden, obwohl ich (damals) selbst verunsichert war. Wir ließen uns viel Zeit und dehnten das Essen aus. Erst nahmen wir einen Nachtisch, anschließend einen Espresso und wir Beifahrerinnen zu guter Letzt einen Amaro. Als der ausgetrunken war und wir zu fortgeschrittener Uhrzeit gerne aufbrechen wollten, blockierte nur noch ein Auto unseres. Der Kellner regelte das schnell.  

Mit der Zeit und mit Erfahrung lernte ich, das Parken entspannter zu sehen. (Solange ich nicht selbst verzweifelt einen freien Platz suche.) Das hält mich freilich nicht davon ab, entsprechende Situationen zu kommentieren. Wenn man selbst fein raus ist ‒ beziehungsweise schon irgendwo drinsteht ‒ kann man die anderen armen Sünder köstlich kritisieren. Es ist beispielsweise ein Unding (ihr Deutschen gebt mir vermutlich recht), ganz oder zur Hälfte auf einem Fußweg zu parken. Macht der Italiener aber, wenn sonst alles besetzt ist. Wer geht schon zu Fuß? Und selbst wenn, dann ist es nicht des Autofahrers Problem. Eine nette Begegnung mit peinlichem Auftakt werde ich in diesem Zusammenhang nie vergessen. Ich holte meine Tochter abends aus der Palestra (Turnhalle) vom Geräteturnen ab. Um diese Zeit gibt es immer reichlich Autogedränge vor der Halle. Ich fahre dann entsprechend weiter, bis sich im Umkreis ein legaler Platz am Straßenrand bietet. Die paar Schritte tun mir gut und meiner Tochter werden sie, obwohl sie beim Training schon genug geleistet hat, auch nicht schaden. Allerdings sehen das nicht alle Abholenden so, es wird auf Gedeih und Verderb so nahe an der Turnhalle wie möglich geparkt. Einmal ging ich also mit meiner Tochter an der Hand in Richtung unseres entfernt geparkten Autos, als ein Wagen vor uns stand und den Fußweg versperrte. Ich wollte mich aufregen, schließlich musste ich mit meiner Kleinen auf die Fahrbahn ausweichen und in einem Moment des allgemeinen Vor- und Abfahrens ist das nicht die angenehmste Sache. Um meinem Unmut angemessenen Ausdruck zu verleihen, sagte ich zu ihr in Deutsch, so würde mich keiner verstehen:

„Nun gucke mal, wie dieser Idiot hier geparkt hat.“

Meine Tochter antwortete nicht. Sie enthielt sich wie üblich der Stimme, denn ihre Mutter hat ja immer was zu meckern. Stattdessen hörte ich hinter mir sagen:

„Das bin ich.“

Irritiert drehte ich mich um und sah, dass diese drei perfekt ausgesprochenen deutschen Worte aus dem Mund eines italienischen Vaters kamen, der genau wie ich seine Tochter an der Hand führte.

„Ähm, buonasera!“, stammelte ich. „Sie sprechen deutsch?“

Der Falschparker grinste: „Ja. Sie auch, wie ich höre. Adesso vado subito via, mi scusi.“ (Ich fahre sofort weg, entschuldigen Sie bitte.)

An dieser Stelle wollte ich liebend gern die Geschichte des Deutsch sprechenden Italieners, den ich in unserem Nachbarort und in diesem Umfeld nicht erwartet hatte, erfahren. Es schien mir nicht der richtige Moment. Ich lächelte verlegen, wünschte noch einmal einen guten Abend und verschwand im Halbdunklen. Die Gelegenheit, meine Neugier zu befriedigen, bot sich an einem der folgenden Abende, als wir gemeinsam im Vorraum der Turnhalle warteten. Es stellte sich heraus, dass er Italiener, aber in Deutschland geboren und erst vor kurzem nach Italien gezogen war. Wie spannend. Noch spannender fand ich seine Reaktion, als er mich fragte, wie es mir denn in Italien gefalle. Natürlich lobte ich das Leben hier in den höchsten Tönen, doch er schaute mich ungläubig an. „Tatsächlich?“ Er würde sofort wieder nach Deutschland zurückgehen, wenn es nach ihm ginge. Es war seine italienische Frau gewesen, die ihn zum Umzug überredet hatte. So kann es gehen. Ich hätte gern noch mehr erfahren, von meinem neuen Bekannten mit deutsch-italienischen Wurzeln. Und von meiner Sicht der Dinge erzählt, wenn es ihn interessiert hätte. Leider wechselte seine Tochter kurz darauf den Sportklub und ich traf ihn nie wieder. Aber, wie sagt der Italiener: Non si sa mai. Man kann nie wissen. Vielleicht liest er das hier und kontaktiert mich? Das wäre nett. Eins versichere ich an dieser Stelle gern: Sein nicht ganz korrektes Parken habe ich ihm längst verziehen.

Titelbild: Credits Bilanol bei Shutterstock

Veröffentlicht von Anke

La Deutsche Vita in Bella Italia auf meinem Blog tuttopaletti.com. Geboren in der DDR, lebte ich zunächst im wiedervereinigten Deutschland und habe in Norditalien meine Heimat gefunden. Ein Leben zwischen den Welten und Kulturen, schreibend, lesend, neugierig und immer auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten.

38 Kommentare zu „Parksünden

  1. Dein Artikel kommt genau zur rechten Zeit, liebe Anke. Und dann spricht der italienische Vater auch noch Deutsch. 😅 Auch noch eine Sprache, die man nicht freiwillig und “mal eben so” lernt. 😄

    Erst heute schwitzte ich Blut und Wasser bei dem Gedanken, das Kind an einem Donnerstag (!) mit dem Auto von der Kita abzuholen. Donnerstag ist der lange Tag des angrenzenden Bürgeramtes. Einen legalen Parkplatz gibt es somit nicht. So stand ich peinlich berührt und 10 Minuten zu früh auf dem Behinderten-Parkplatz. Den Bericht der Erzieherin wie Signorinos Tag war, nickte ich eifrig ab, schnappte das Kind, lief mit gesenktem Kopf zum Auto zurück und düste davon. Der Römer sieht hingegen überhaupt kein Problem darin, sich auf einem freien Parkplatz vorübergehend niederzulassen, egal ob Behinderten- oder Frauenparkplatz. “Solo un attimo.”, murmelt er dann und weist mich in den Parkplatz ein. Auch die zweite Reihe scheint eine sinnvolle Option zu sein. “Es ist ja nicht so, als ob du eine Wahl hättest.”, sagt er dann und das ist Rechtfertigung genug. 😉
    Eben wie bei der Parksituation mit deinem Schwager. Es ist ja nicht so, als hätten die anderen eine Wahl gehabt. 😄

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    1. Parken und parken lassen. Solo un attimo. Genau, das ist die einzig vernünftige Einstellung, die wir von den Italienern lernen müssen.😎 Oh je, ich kann deine Panik nur allzu gut nachvollziehen, liebe Eva, wenn es KEINEN PLATZ gibt, man aber das Kind abholen MUSS, das ist für mich auch der Horror. Ich hatte da beim Hort immer so eine halbe Stelle, mein Auto stand zur Hälfte außerhalb des Parkplatzes, und es wäre eng geworden, wenn jemand dort um die Kurve hätte fahren müssen. Einmal hat mich einer angepflaumt, obwohl er rumkam. Ja ja ja verdammt, er hatte recht, aber ich … keine andere Wahl. 🙈 😉

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      1. Du sagst es: Parken und parken lassen. Eine Anzeige im Auto wäre trotzdem fein. Dort würde dann wahlweise „Solo un attimo.“ oder „Ich bin mir bewusst, dass ich hier nicht stehen sollte, aber ich habe ein Kind und muss es abholen“ stehen. 😄 Hab ein fantastisches Wochenende voller leerer Parkplätze. 😉

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      2. Eine Geschäftsidee, solche Schilder zu verkaufen.
        Danke, das wünsche ich dir auch. Und auch einen nächsten Donnerstag mit großer Parklücke nur für die Direktoren-Kutsch! 😉

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  2. Wenn es um mein Auto geht, dann bin ich sehr eigen. Das nervt natürlich meine gesamte Familie. Würde ich zugeparkt werden, müsste mir Sorgen um etwaige zu erwartende Schäden machen, könnte ich das beste Essen nicht genießen. Ich fühle mit deiner Schwester und ihrem Mann mit 😉🚘
    LG Bettina

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    1. Dann solltest du besser nicht in Italien mit dem eigenen Auto unterwegs sein. 😉
      Da fällt mir noch ein: In seinem allerersten Italienurlaub hatte mein Schwager einen riesengroßen Pinienzapfen auf die Motorhaube bekommen, mit entsprechender Einschlagstelle. Er ist in diesen Dingen auf Italien nicht gut zu sprechen. 😂
      Liebe Grüße an dich!

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  3. Eine sehr nette Geschichte, vieles kommt mir bekannt vor. Aber mir gefällt die italienische Lebensart, und ich denke immer wieder gerne an die vielen Aufenthalte dort zurück. Meine Cousine hat übrigens einen Italiener aus Salerno geheiratet und vier Töchter, die teilweise hier in Deutschland sind. LG Marie

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    1. Da kann deine Cousine sicher auch eine Menge erzählen, wenn es um die italienische Lebensart geht. Danke für deinen Kommentar und beste Grüße an dich, liebe Marie!

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  4. Angeblich konnte ich außergewöhnlich gut einparken in alle Parklücken – und wenn ich andere manchmal beobachte, dann muss das wohl stimmen. – Fahrschule hatte ich mit dem Abitur zusammen in Görlitz gemacht – da gab es so wenig Autos, da war das ganze Fahren überhaupt kein Problem und Parkplätze überall in Hülle und Fülle. In Berlin sah es dann schon anders aus.
    Beigebracht hat es mir mein Mann, der damals selbst noch gar nicht fahren konnte und durfte – und zwar mit Matchboxautos unseres Sohnes.
    Gute Nacht sagt Clara

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    1. Gut parken können war bis vor einigen Jahren anderen vorbehalten, erst jetzt, mit Rückwärtseinparkhilfe und Kamera, traue ich mich auch über meinen Schatten in (fast) jede Parklücke zu springen.
      Mit Matchboxautos die Theorie zu üben, ich weiß nicht, ob mir das in der Praxis geholfen hätte. 🙈😆

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  5. Ich habe wirklich geschmunzelt, als ich deine Geschichte gelesen habe, und grundsätzlich stimme ich dir zu, dass wir mehr gelassene Lebensart von den Italienern lernen sollten.
    Ich muss aber auch gestehen, dass meine Geduld spätestens bei Behindertenparkplätzen aufgebraucht ist, und zwar weil es mir einfach zu häufig schwergemacht wurde, meine Schwiegermutter mitsamt ihrem großen Rollstuhl irgendwo hinzubringen. Da sind zugeparkte Spezialparkplätze und auch Bürgersteige nicht nur ärgerlich, sondern Zeugen auch von Ignoranz gegenüber Menschen, die nicht mal eben so einfach mobil sind.

    Ganz davon abgesehen bin ich inzwischen sowieso der Meinung, dass wir Autos zu viel Platz zugestehen, aber das ist wieder ein anderes Thema.

    Es gibt ja noch genügend Bereiche, wo uns Deutschen ein bisschen mehr mediterrane Gelassenheit sehr gut zu Gesicht stünde…

    Liebe Grüße aus dem Norden
    Anja

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    1. Da hast du natürlich recht, ich beziehe mich auch nur auf Situationen, wo mit Gelassenheit allen geholfen ist. Rücksichtslosigkeit ist Mist, und es gibt auch hier bei uns eine Satiresendung, da verteilen sie immer „Preise“ an Falschparker, speziell auf Behindertenparkplätzen, um sie öffentlich vorzuführen. Liebe Grüße aus dem Süden!

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      1. Ach ja, Gelassenheit. Die hätte ich oft auch gern mehr. Es ist schon so, uns Deutschen scheint manchmal so ein kleiner Besserwisser statt Kuscheltier in die Wiege gelegt zu werden. Darüber könnten wir bestimmt einen Briefroman schreiben…

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      2. Oh ja, einen mit Fortsetzungen. Manchmal hilft es vielleicht, sich die Sache aus der Perspektive von einem Jahr später vorzustellen (oder nur einem Tag), und das eigene Rechthabenwollen oder Besserwissen war echt unnötig und hat nur Nerven gekostet. Na ja, wir üben noch. 😆

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  6. Liebe Anke,
    ich habe deinen Text wieder sehr gern gelesen. Ein gelungener Start in den Tag für mich mit viel Schmunzelei. Besonders lustig fand ich deine Anmerkung, dass ihr – typisch für Deutsche – zu den ersten Gästen im Restaurant gehört habt. So geht es uns auch immer, wenn wir in Italien sind. Auf Sizilien haben wir sogar schon mal eine halbe Stunde vor einer Pizzeria gewartet, weil sie noch gar nicht geöffnet hatte. Wir hatten uns auf die Information der Website verlassen – auch das wieder typisch deutsch. 🙂
    Liebe Grüße, Sophie

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    1. Das freut mich, liebe Sophie. Die Deutschen müssen lernen, dass man sich die Zeit bis zum (späten) Abendessen mit einem Aperitivo wunderbar vertreiben kann. Gerade im Sommer ist es schön, noch ein wenig in der Abendsonne auf der Piazza oder am Lago oder am Lungo Mare zu sitzen, am Sprizz oder leichten Wein zu nippen und Häppchen und Oliven zu genießen. Manchmal gibt es so viele Häppchen, dass man im Anschluss kaum noch Appetit auf das Abendessen hat.🙈
      Ciao und ein schönes Wochenende in Berlin!

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  7. Mir fällt es wie Schuppen von den Augen – in meinem Mann schlummert ein kleiner Italiener! Auch er hat eine Vorliebe für illegale Parkmanöver und treibt mich damit regelmäßig in den Wahnsinn. Aber wahrscheinlich bin ich im Geheimen einfach nur ein wenig neidisch auf seine Gelassenheit und genervt von meiner Überkorrektheit!

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  8. Oh ja, Parken in Italien. Herrlich. Ich musste mal einen vollbeladenen Kombi mit Dachgepäckträger rückwärts eine Auffahrt rauf einparken. Comer See, Platzmangel. Ich schwitze heute noch 😉

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    1. Ja, eng ist es hier oft, und verwinkelt, und steil und … alles was die Nerven kitzelt. Auch in Ligurien ist Parken fast unmöglich. So nett es wäre, mal sonntags ans Meer zu fahren, in zwei, zweieinhalb Stunden wären wir da, aber den (Park-)Stress sparen wir uns.

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  9. Immer wieder hübsch die italienschen „Vergehen“. Da kann man doch echt niemandem böse sein. Aber so wundervoll ich es finde (und auch andere Urlaubsgebiete), so gerne lebe ich tatsächlich auch in Deutschland.
    Jedem das seine eben….

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    1. Na klar, wo man zuhause ist, da schlägt das Herz. Und für die Abwechslung gibt es dort in einem neuen Stadtviertel wieder andere Sitten und Gebaren. Du weißt das am besten. 😉 Leb dich weiter gut ein in deinem neuen Kiez!

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    1. Ich drücke die Daumen. Und bitte nur auf weiß (gratis) oder blau (Parkgebühr) markierten Plätzen abstellen. Gelb gekennzeichnete Flächen sind privat und es droht Abschleppung oder Strafzettel, beides würde die Urlaubsstimmung sicher trüben. 😉

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